Es ist allerdings gar nicht so leicht, in den Sterne-Läden dazuzugehören. Wem die goldenen Löffelchen nicht in die Wiege gelegt wurden, der muss sich das Entree erst einmal erarbeiten. Zwar kommt jeder rein, der ein paar hundert Euro für ein Dinner for two übrig hat. Es ist die Schere im Kopf, die Angst zu versagen, als Unwissender entlarvt zu werden, die Stress bereitet. Man oder frau braucht einen Paten, der die Türen öffnet und vor Peinlichkeiten bewahrt. Genießen will gelernt sein.
Mich hat Freund Michael in die hohe Schule des Genusses eingeführt. Der Ältere, immer gut gelaunt bei einem Schluck Sancerre, schob mich vor Jahren durch die Türen des »Schiffchens« in Düsseldorf oder - zur Filmfestspiel-Zeit - des »Maitre« in Berlin. Das Restaurant gibt es leider nur noch in meiner Erinnerung, sonst würde ich gerne einmal wieder dort einkehren.
Dank Michael blieben mir die Fauxpas erspart, die gern als Anekdoten die Tischreden der Gourmets schmücken. Im sonnigen Süden Frankreichs, beim weltberühmten Bocuse, geschah es, dass ein Möchtegern den Kellner um mehr und mehr Parmesan-Schnipselchen für die Spaghetti bat. Der schnitt gerne und reichlich ab; erst beim Essen entpuppte sich der Käse als weißer Trüffel. Teuer war's und peinlich -wie immer, wenn Drei-Sterne-Esser Fehler machen.
Ein Mann besucht ein Feinschmecker-Restaurant. Die Kellnerin ist besonders hübsch. Er kann sich kaum auf die Speisekarte konzentrieren. Schließlich fragt die Kellnerin nach seinen Wünschen.
Der Mann verlangt: »Einmal Quickie!«
Die junge Frau dreht sich empört um und rauscht davon. Fünf Minuten später hat sie sich von der frechen Bemerkung erholt und fragt ihn noch einmal. »Einmal Quickie!«, wiederholt er.
Sie gibt ihm eine Ohrfeige und geht wieder. Da lehnt sich ein Herr am Nachbartisch zu dem Gast herüber, zeigt auf das Quiche-Gericht in der Speisekarte und sagt: »Entschuldigen Sie, aber man spricht das >Kisch< aus.«
Wer in den Top of the Topfs verkehrt, muss sich zwischen Herd und Kühlschrank nicht auskennen - nur zeigen sollte er das nicht. Wohl bekomm's:
Ein Sachse und Hobby-Gastronomie-Kritiker besuchen eine Fischgaststätte.
Der Ober: »Mechdn se dän Gorpfen blau essen?« Der Gast empört: »Nee, gäbn se mor erschd dän Fisch, de Gedränge gomm hindorher.«
»Mein Teller ist ganz feucht«, beschwert sich der Reisende im Restaurant des Luxushotels. »Die kriegen hier von mir keinen Stern.«
»Sei ruhig«, flüstert seine Frau, »das ist die Suppe!«
Als ich Freund Michael eines Tages scherzhaft einen »Drei-SterneEsser« nannte, sah er mich irritiert an, als hätte ich ihn, den leidenschaftlichen Zocker (Skat und Fußballwetten), bei einem verbotenen Spielchen erwischt. Echte Gourmets werden gern als solche erkannt -aber nicht so genannt. Es sind stille Genießer, und ihre Entlarvung bei Perlhuhn an Balsamico-Salatblättchen empfinden sie als so gravierend, als hätte man einem Betriebsratsvorsitzenden nachgewiesen, dass er die Mehrheitsaktien an der eigenen Firma besitzt.
Die Welt der Sterne-Esser gleicht einem Geheimbund, über den zwar immer wieder gern geschrieben wird, deren Mitglieder aber in geradezu angeborener Anonymität ihr Süppchen schlürfen. Joschka Fischer gehört dazu. Er hat, ganz Sportler seit seinem Nahkampftraining für eine Frankfurter Sponti-Truppe, den Sprung an den edel gedeckten Tisch geschafft und »entdeckte im Laufe der Jahre die Freuden der Haute cuisine und der Grands crus, der edlen Küche und der edlen Weine . . . ein echtes Erlebnis, das Ergebnis eines kunstvollen Handwerks und ein sehr alter Bestandteil unserer Kultur«.
Der ehemalige AKW-Demonstrant und heutige Bundeskanzler Gerhard Schröder hängt zwar immer noch an der Currywurst -trotzdem parkt er Wagen und Bodyguards gern vor dem Berliner InRestaurant »Borchardt«.
Ja selbst Kohl, offiziell Deutschlands Saumagen-Repräsentant, verkehrte und verkehrt mit Vorliebe in einem Edelrestaurant italienischer Provenienz im Berliner Grunewald - in aller Stille selbstverständlich.
Von den meisten Edelessern, wen wundert's, gibt es keine Fotos bei Tisch. Wo edle Zungen zwischen New York & Rom, Paris & Madrid, München & London mit ihren Spitzenköchen zusammenkommen, da herrscht Diskretion.
Altkanzler Helmut Schmidt besucht ein feines Restaurant in seinem Wohnort Hamburg. Der Kellner erkennt den ehemaligen Politiker, der dafür bekannt ist, leidenschaftlich gern zu rauchen. Er weist den Prominenten darauf hin, dass er sich in einem Nichtraucher-Lokal befinde.
»Können Sie keine Ausnahme machen?«, fragt Schmidt. Antwortet der Kellner: »Wir haben nichts dagegen, dass Sie rauchen, aber bitte atmen Sie nicht aus!«
Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Trost für jene ist, die sich die fröhliche Völlerei nicht leisten können: Es ist nicht immer die beste Gesellschaft, in der man sein teures Milchkalbskotelett an Sahnechampagnerschaum genießt. Gute Gerüche locken auch jene an, die sich mit ganz anderen Gerichten besonders gut auskennen. Manchmal sitzen 50 Jahre Knast Tisch an Tisch mit 50 Jahren Unternehmertum -doch darüber spricht man nicht. Bei Preisen zwischen 20 Euro für die Sauerampfercreme mit Quarkklösschen, 35 Euro für Carpaccio vom Reh mit Steinpilztartar und edlem Wein für 30 bis 300 Euro die Flasche kann es einem wirklich die Sprache verschlagen.
»Herr Ober«, erkundigt sich der Gast, »warum heißt dieses Gericht denn Räuberspieß?«
»Warten Sie ab, bis Sie die Rechnung bekommen, mein Herr.«
Wo so viel Geld locker sitzt wie in den feinen Restaurants der Nation, bitten böse Buben nicht nur zu Tisch, sondern gelegentlich auch zur Kasse. Wie in Berlin, wo eine genüsslich dinierende Runde wintertags plötzlich in die Mündungen von Maschinenpistolen blickte: Pelzmäntel, Schmuck, Schecks und viele tausend Mark Schwarz- & Bargeld wechselten den Besitzer. Die Maskierten hatten schwer an ihrer Beute zu tragen und die Damen an ihren Verlusten nicht minder - zumal am nächsten Tag darüber nichts in der Zeitung stand und kein Wort über den Verlust verloren werden durfte. Diskretion - versteht sich. Normalerweise geht es in den Restaurants und Gaststätten weniger kriminell zu. Ab und an fallen höchstens die Leistungen von Küche oder Kellnern nicht zur vollen Zufriedenheit der Gäste aus, wie die vielen Ober-Witze beweisen:
Gast: »Herr Ober, mein Wein ist trüb!«
Kellner: »Das kann nicht sein. Wahrscheinlich ist nur das Glas schmutzig.«
Gast: »Herr Ober, hier ist eine Fliege in der Suppe.«
Kellner: »Mein Herr, es tut mir leid, dass es nur eine ist. Fliegen sind in diesem Jahr knapp.«
Gast: »Herr Ober, in meinem Bier schwimmt eine Fliege!«
Kellner: »Wünschen der Herr einen Rettungsring?«
Gast: »Herr Ober, ich würde gern dinieren!«
Kellner: »Tut mir leid, mein Herr, die Nieren sind leider aus.«
Gast: »Herr Ober, die Rechnung bitte!«
Kellner: »Wie fanden Sie Ihr Schnitzel, mein Herr?«
Gast: »Mit einer Lupe.«
Gast: »Herr Ober, in dem Kirschkuchen sind ja gar keine Kirschen!«
Kellner: »Was denken Sie — im Hundekuchen sind ja auch keine Hunde . . .«
Gast: »Herr Ober, meine Suppe ist kalt!«
Kellner: »Kein Wunder! Sie haben die ja auch bereits vor einer Stunde bestellt!«
Gast: Herr Ober, dieses Schnitzel schmeckt wie ein alter Hauslatschen, den man mit Zwiebeln eingerieben hat!« Kellner: »Donnerwetter! Was Sie schon alles so gegessen haben!«