Desjani machte eine neutrale Miene, und auch ihr Tonfall verriet nichts. »Das ist richtig, sofern die Orion, die Majestic und die Conqueror nicht irgendwelche Schwierigkeiten damit haben, das Feuer auf den Feind zu eröffnen.«
Mit anderen Worten: Die Befehlshaber dieser Schiffe könnten einen Grund finden, sich vor einer Konfrontation zu drücken. Er musste zugeben, dass Desjanis diplomatisch formulierte Aussage durchaus begründet war. Captain Casia von der Conqueror hatte nichts geleistet, das es rechtfertigte, auch nur das mindeste Vertrauen in ihn zu setzen. Neben Commander Yin, die die Orion befehligte, seit Captain Numos seines Postens enthoben und in Haft genommen worden war, wirkte Casia sogar wie das Musterbeispiel eines Gefechtsoffiziers.
Und der derzeitige Befehlshaber der Majestic, der seinen Posten auch nur bekommen hatte, weil Captain Faresa als Verbündeter von Numos ebenfalls vom Dienst suspendiert worden war, hatte sich bislang als so völlig profillos erwiesen, dass Geary Mühe hatte, sich das Gesicht des Mannes einzuprägen.
Unter idealen Umständen hätte er die drei längst ausgetauscht, aber wenn eine Flotte um ihr Leben rannte, da sie sich auf feindlichem Territorium befand, lagen ganz sicher keine idealen Umstände vor — erst recht, wenn die Flottenpolitik Gearys Kommando an einem seidenen Faden hängen ließ und er es sich nicht leisten konnte, zu sehr von oben herab zu agieren. Einige Offiziere würden als Folge solcher Entscheidungen nur noch vehementer gegen ihn agieren, während sich bei anderen der Eindruck festigen würde, Geary sei auf dem besten Weg, in die Rolle des Diktators zu schlüpfen, was manche von ihnen erhofften, andere dagegen befürchteten.
Er legte die Stirn in Falten. »Ich möchte nicht auf mehrere größere Schiffe verzichten, nur weil die drei Schlachtschiffe Probleme verursachen könnten.«
»Wenn im Wrack der Audacious tatsächlich unsere Leute gefangengehalten werden«, betonte Desjani, »dann werden alle verfügbaren Shuttles benötigt, um sie von dem Schiff zu holen. Außerdem werden dann Schiffe gebraucht, die geräu-mig genug sind, um die befreiten Gefangenen zumindest vo-rübergehend an Bord zu nehmen.«
»Gutes Argument.« Damit blieb aber immer noch das Problem von zwei Schiffskommandanten, denen es nicht gefallen würde, bei den Hilfsschiffen zu bleiben und sich nicht an den Kämpfen beteiligen zu können. Kommandanten, die einen Weg finden würden, seinen ausdrücklichen Befehl zu ignorieren. Wenn sie das taten, um sich ins Kampfgetümmel zu stürzen, würden die meisten anderen Befehlshaber ihnen das nicht einmal übel nehmen, und sie würden auch nicht Geary den Rücken stärken, wenn er den Befehlsverweigerern die Hölle heiß machte, weil sie ihre Aufgabe als Eskorte für die Hilfsschiffe vernachlässigt hatten. Die Doktrin des Angriffs um jeden Preis war diesen Leuten in Fleisch und Blut überge-gangen und ließ sich so leicht nicht austreiben. Er warf einen Blick nach hinten, wo Co-Präsidentin Rione saß und dem Geschehen mit ausdrucksloser Miene folgte. »Madam Co-Präsidentin, ich würde Sie gern um einen Ratschlag bitten, wie man einen Befehl formulieren könnte, um…«
»Ich habe Sie gehört«, unterbrach Rione ihn. »Vielen Dank, dass Sie so gnädig sind, mich in Ihre Diskussion einzubeziehen.« Sie ließ eine Pause folgen, die gerade lang genug war, um ihre Worte wirken zu lassen. »Sie schicken diese Schiffe los, um sicherzustellen, dass unsere Leute, die vor Kurzem in Gefangenschaft geraten sind, befreit und in Sicherheit gebracht werden. Wenn ein Syndik-Kriegsschiff in die Nähe des Wracks der Audacious gelangt, könnte diese Rettungsmaßnahme ge-stört werden und sogar dazu führen, dass einige dieser Gefangenen gelötet werden. Welche Rechtfertigung benötigen Sie noch? Was kann für ein Schiff ehrenvoller sein als der Auftrag, für eine sichere Rettung unserer Leute zu sorgen?«
Geary nickte. »Sehr treffend formuliert, Madam Co-Präsidentin.« Damit blieb die Frage unbeantwortet, wen er losschicken sollte. Er ließ seinen Blick über das Display wandern und versuchte zu entscheiden, wem er vertrauen konnte und wer nicht über alle Maßen daran Anstoß nehmen würde, wenn ihm diese eigentlich ehrenvolle Aufgabe übertragen wurde, auch wenn sie ihn nicht an vorderster Front agieren ließ. Ihm war bereits die Meinung zu Ohren gekommen, er würde bestimmte Offiziere bevorzugt behandeln, und es half ihm nicht, wenn er diesen Eindruck noch verstärkte, auch wenn der in vieler Hinsicht sogar der Wahrheit entsprach. Er konnte verschiedene Commander besser leiden als andere, weil sie fähig und zugleich aggressiv waren, intelligent und tapfer, und weil ihre Loyalität der Allianz galt und sie nicht aus politischem Kalkül heraus handelten, um ihre Karriere voranzu-treiben. Beispielsweise Captain Cresida…
Deren Schlachtkreuzer Furious gehörte zusammen mit der Implacable zu den letzten Uberlebenden der Fünften Schlachtkreuzerdivision. Sie benötigte genau zwei Schiffe. »Ich schicke Cresida hin. Ihr Schiff und die Implacable.«
Desjani zuckte kurz mit den Augenbrauen. »Sie ist es gewöhnt, sich im dicksten Kampfgetümmel aufzuhalten.«
»Ganz genau. Sie hat unter Beweis gestellt, dass sie fähig ist, diese Aufgabe zu erledigen.«
»Da bin ich aber froh, dass ich nicht diejenige bin, die ihr das verkünden wird, Sir«, meinte sie ironisch.
»Wir sind fast eine Lichtminute von der Furious entfernt.
Das dürfte genügen, um vor der Druckwelle sicher zu sein«, gab Geary zurück und brachte Desjani damit zum Grinsen.
Er veränderte seinen Plan, ließ ihn von Desjani überprüfen, ob er auch nichts übersehen hatte, dann schickte er die Änderungen los. »Captain Oesida, ich übertrage der Furious und der Implacable die wichtigste Aufgabe der Flotte. Ich möchte, dass Sie sicherstellen, dass unsere Gefangenen und unsere Hilfsschiffe bestens beschützt werden.«
»Sagen Sie ihr, Sie zählen auf sie«, raunte Desjani so leise, dass er sie fast nicht gehört hätte. Als sie seine verwunderte Miene sah, fügte sie an: »Es stimmt. Sagen Sie es ihr, Sir.«
Die eingeworfene Bemerkung hatte nur ein paar Sekunden in Anspruch genommen, und Geary ergänzte die Übermittlung: »Ich zähle auf Sie, Captain Cresida.« Es kam ihm absolut schamlos vor, so etwas bei Oesida einzusetzen, aber es entsprach der Wahrheit, das musste er Desjani zugestehen.
Cresidas Antwort traf nach etwas mehr als zwei Minuten ein, was aber nur an der Entfernung zwischen den beiden Schiffen lag. Zu Gearys Erstaunen klang Cresida nicht wütend, sondern erfreut und entschlossen. »Jawohl, Sir. Die Furious und die Implacable werden die gefangenen Kameraden nicht enttäuschen — und Sie auch nicht, Sir.«
Geary warf Desjani einen Seitenblick zu, die ganz auf ihr Display konzentriert zu sein schien. Sie hatte ihm fast von der ersten Minute an auf eine solche Weise Ratschläge gegeben, wie ihm jetzt bewusst wurde. Vielleicht war sie ja der Meinung, dass die lebenden Sterne ihn tatsächlich geschickt hatten — aber wenn es etwas gab, von dem sie glaubte, er müsse das wissen, dann sagte sie es ihm und wiederholte es, bis er endlich auf sie aufmerksam wurde. Genauso wichtig war jedoch auch, dass Desjani nicht blindlings seine Pläne akzeptierte, sondern darauf hinwies, wenn es etwas gab, das ihrer Meinung nach geändert werden musste. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie jemals ein Vorhaben ohne zu hinterfragen akzeptiert hatte und ob ihr bedingungsloser Glaube an seine Mission sie auch nur ein einziges Mal davon abgehalten hatte, ihre Meinung zu äußern, wenn sie fand, dass etwas anders angegangen werden sollte. »Danke, Captain Desjani.«
Sie sah zu ihm und lächelte flüchtig. »Mit Captain Cresida muss man so umgehen, Sir.«