»Geben Sie mir nur weiter Ratschläge, wenn ich sie be-nötige.«
Diesmal machte sie eine überraschte Miene. »Das gehört zu meinen Aufgaben, Sir, auch wenn ich sagen muss, dass Sie wesentlich besser darauf reagieren als Admiral Block.«
Er überprüfte die Zeit. Noch immer kein Zeichen von ihren Verfolgern, und nach wie vor dauerte es noch über eine Stunde, ehe sie die Verlustflotte erreichten. Ganz gleich, was geschah, es würde auf jeden Fall ein langer Tag werden.
»Captain!«, rief plötzlich ein Wachhabender Desjani zu.
»Wir haben Rettungskapseln entdeckt, die von den Reparaturschiffen in der Verlustflotte ausgestoßen werden.«
»Was?«, riefen er und Desjani gleichzeitig und sahen auf ihr Display. Tatsächlich war dort ein ganzer Schwarm an Rettungskapseln zu erkennen, der die Reparaturschiffe verließ.
»Die verlassen jetzt schon ihre Schiffe?«
Desjani betrachtete skeptisch die Anzeige. Offenbar versuchte sie dahinterzukommen, welchen Trick die Syndiks ihnen damit zu spielen versuchten. »Haben die etwa durchschaut, wie dringend wir die Vorräte benötigen, die die Reparaturschiffe an Bord haben? Werden die alles in die Luft sprengen, bevor wir irgendetwas plündern können?«
Ehe Geary darauf antworten konnte, leuchtete seine interne Komm-Leitung auf. Es war Lieutenant Iger von der ge-heimdienstlichen Abteilung. Dass er sich während eines Gefechts meldete, war höchst ungewöhnlich, ging es bei seiner Arbeit doch darum, über längere Zeiträume hinweg Daten zu sammeln und zu analysieren, während alles von taktischer Bedeutung automatisch auf den Displays vor Geary und den anderen Commandern erschien. »Ja, Lieutenant?«
Iger, dessen Kopf in einem kleinen Fenster zu sehen war, verneigte sich leicht. »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie ausgerechnet jetzt störe, Sir, aber…«
»Reden Sie, Lieutenant. Was gibt es?«
Der Geheimdienstoffizier wirkte erschrocken, dann fuhr er hastig fort: »Wir haben die Bestätigung, dass es sich um standardmäßige Reparaturschiffe der Syndiks handelt.«
Geary wartete, aber so wie die Ingenieure auf den Hilfsschiffen ging wohl auch dieser Mann davon aus, dass ein Stichwort genügte, ihn wissen zu lassen, was gemeint war. »Und was heißt das? Warum verlassen sie jetzt schon ihre Schiffe?«
»Weil sie nicht zum Militär gehören, Sir.«
»Nicht?«
Desjani, die die Unterhaltung mitbekommen hatte, warf ihm einen erstaunten Blick zu.
»Richtig, Sir«, erwiderte Iger. »Die logistische Versorgung wird bei den Syndiks nicht vom Militär geleistet. Darum kümmert sich ein separates Direktorat, das die Aufträge aus-schreibt und an Privatunternehmen vergibt. Unsere Flotte hat diese Reparaturschiffe bislang nie zu Gesicht bekommen, weil sie gar nicht dort unterwegs sein sollten, wo sie Kriegsschiffen der Allianz begegnen könnten.«
»Das sind Zivilisten?«, hakte Geary nach.
»Ja, Sir«, bestätigte der Geheimdienstoffizier. »Natürlich solche mit Bezug zum Militär, und damit stellen sie völlig legitime Ziele dar. Aber an Bord befindet sich kein Militär, die Leute sind nicht für ein Gefecht ausgebildet, sie sind nicht in der Lage sich zu verteidigen. Darum verlassen sie die Schiffe.
Die Leute und ihre Arbeitgeber werden nicht dafür bezahlt, sich an Kampfhandlungen zu beteiligen. Soweit wir wissen, droht den Besatzungen sogar Arger, wenn ihr Verhalten zur Folge hat, dass die Reparaturschiffe stärker beschädigt werden als nötig. Darum ergreifen sie jetzt die Flucht.«
»Augenblick mal. Die wollen damit sicherstellen, dass die Schiffe möglichst unversehrt bleiben?« Iger nickte eifrig. »Ist das sicher?«
»Ja, Sir. Das wissen wir aus Aufzeichnungen, die in unseren Besitz gelangt sind, und aus Verhören. Das Flottenpersonal hat für diese Zivilisten nicht viel übrig, weil man der Ansicht ist, dass sie von ihnen nicht angemessen unterstützt werden.
Außerdem werden die Privatunternehmen deutlich besser bezahlt, was wohl in erster Linie den Unmut beim militärischen Personal hervorruft.«
»Nicht zu fassen«, murmelte Geary und überlegte kurz.
»Dann haben die auf den Reparaturschiffen keine Sprengfallen oder Ähnliches für uns hinterlassen?«
Iger zögerte, da er erkennbar nachdachte, dann unterhielt er sich kurz mit jemandem, der sich mit ihm in der Abteilung aufhielt, und nickte schließlich. »Das halte ich für unwahrscheinlich, Sir. Diese Leute würden ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn ihr Unternehmen glaubt, sie hätten den Schaden an einem Schiff zu verantworten. Man kann davon ausgehen, dass sie alle Systeme runtergefahren haben und die Schiffe treiben lassen, weil sie hoffen, dass wir sie ganz ignorieren oder im Vorbeiflug nur ein paar Schüsse auf sie abgeben.
»Die werden sehr enttäuscht sein. Vielen Dank, Lieutenant.
Sie und Ihre Leute haben hervorragende Arbeit geleistet.«
Als das Bild Lieutenant Igers verschwand, wandte sich Geary an Desjani und Rione zugleich, dann wiederholte er, was er soeben erfahren hatte. »Sie haben solche Reparaturschiffe noch nie gesehen?«, fragte er Desjani.
Sie schüttelte den Kopf. »Nur in Informationsunterlagen über die verschiedenen Schiffstypen der Syndiks. Begegnet bin ich noch nie einem, und ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich jemals in einer Simulation damit zu tun hatte.«
Er sah Rione an. »Ergibt das, was Lieutenant Iger gesagt hat, für Sie einen Sinn?«
»Für mich als Zivilperson?«, fragte sie spitz.
»Ja.« Wichtiger noch: als Zivilperson nach einem Jahrhundert Krieg. Gearys letzter Kontakt mit Zivilisten lag gut hundert Jahre zurück, in einer Zeit, bevor der Krieg gegen die Syndiks begonnen hatte. Er hatte gesehen, was nach einem Jahrhundert Krieg aus den Offizieren und Matrosen der Flotte geworden war. Es musste auch Auswirkungen auf Zivilpersonen gehabt haben.
Rione musterte ihn und schien zu überlegen, welchen Grund er für seine Frage hatte. »Sicher. So sehr sie sich den Sieg ihrer Militärstreitmacht wünschen und so sehr sie den Feind inzwischen hassen, sind Zivilisten nach wie vor nicht bereit, in eine Schlacht zu ziehen. Selbst wenn ein paar Individuen an Bord sein sollten, die Widerstand leisten wollen, würden sie von der Masse der Kollegen mitgezerrt, die einfach nur mit dem Leben davonkommen wollen.« Rione entging Desjanis Gesichtsausdruck nicht. »Sie sind aber deshalb keine Feiglinge«, machte sie in frostigem Tonfall klar. »Wer nicht für den Kampf ausgebildet und geistig abgehärtet ist, der kann sich nicht erheben und so kämpfen, wie Militärs das können.
Sie sind aber klug genug, um zu wissen, dass sie gegen uns keine Chance haben.«
Desjani zuckte mit den Schultern und sah Geary an. »Diese Syndik-Kriegsschiffe, die unsere Flotte abfangen wollen, haben auch keine Chance, und doch sind sie auf dem Weg hierher.«
Geary schüttelte den Kopf. »Wenn diese Leute auf den Schiffen bleiben, ohne dass sie eine Gefechtsausbildung erfahren haben, können sie damit überhaupt nichts erreichen.
Sie und ich, wir würden zumindest dafür sorgen, dass die Schiffe dem Feind nicht unversehrt in die Hände fallen, wenn wir den Verdacht hätten, dass er es darauf abgesehen hat. Aber sinnlos zu sterben, würde unserer Sache nicht dienen.« Mit dem Kinn deutete er auf Richtung Display, das die beiden herannahenden Kriegsschiffe zeigte, die noch Stunden entfernt waren. »Der Syndik-Kommandant schmeißt diese Schiffe mit ihren Besatzungen weg, weil er das kann. Weil die Besatzungen jedem sinnlosen Befehl folgen, auch wenn der ihnen den sicheren Tod bringt. Mögen die Lebenden Sterne mir beistehen, wenn ich jemals entscheiden sollte, Leben zu vergeuden, nur weil ich das kann.«
Desjani legte die Stirn in Falten und kniff ein wenig die Augen zusammen. Für jemanden, der so erzogen worden war, dass er glaubte, seine Ehre verlange von ihm den Kampf bis zum Tod, musste das ein schwieriges Konzept sein. Immerhin war es genau das, was sie tun würde, wenn die Umstände es von ihr erforderten. Aber diese Verpflichtung war sie bereits eingegangen, noch bevor sie zur Flotte gegangen war, und seitdem lebte sie damit. »Ja, Sir«, entgegnete sie schließlich. »Ich versiehe, was Sie meinen. Wir erwarten Gehorsam von unseren Untergebenen, und im Gegenzug verdienen sie unseren Respekt für ihre Bereitschaft, einen Befehl auch dann zu befolgen, wenn er ihren Tod bedeutet.«