Sie schüttelte den Kopf und machte eine noch ernstere Miene. »Sie sagten gerade, das ist Ihre Flotte, und Sie sind der Allianz loyal verbunden. Diese Dinge wurden Ihnen nicht genommen.«
Erstaunt musste Geary erkennen, dass er das so noch nicht gesehen hatte.
Desjani schaute ihn eindringlich an. »Sie wurden uns geschickt, als wir Sie brauchten. Wir haben eine zweite Chance bekommen, und Sie haben ebenfalls eine zweite Chance bekommen. Anstatt Sie bei der Schlacht von Grendel oder danach sterben zu lassen, hat man Sie in der Rettungskapsel überleben lassen. Uns wird Gnade gewährt, wenn wir uns als würdig erweisen.«
Erneut verblüffte sie ihn, indem sie einen Standpunkt aussprach, der ihm selbst nie in den Sinn gekommen wäre: Er war kein losgelöster Held aus den Mythen, sondern einer der ihren.
»Vielleicht haben Sie ja recht«, entgegnete Geary. »Wir können diesen Krieg nicht durch die Zerstörung der Gegenseite gewinnen, es sei denn, wir lassen alle Hypernet-Portale hochgehen und begehen als Spezies Selbstmord. Wenn dieser Krieg ein Ende nehmen soll, dann müssen wir sie nicht nur auf dem Schlachtfeld besiegen, sondern auch bereit sein, den Syndiks zu vergeben, wenn sie echte Reue zeigen. Vielleicht hat man uns ein Beispiel vorgegeben, dem wir folgen sollen.«
Eine Zeit lang standen sie beide schweigend da und sahen zu, wie sich die inneren Hangartüren schlossen, damit die äußeren geöffnet werden konnten. Der Vogel hob ab und brachte seine Passagiere zu der Syndik-Einrichtung. Schließlich schaute Desjani ihn wieder an. »Ich habe lange Zeit damit verbracht, die Syndiks bestrafen zu wollen. Ich wollte ihnen so wehtun, wie sie uns wehgetan haben.«
»Ich kann verstehen, warum Sie das wollten«, sagte Geary.
»Danke, dass Sie mich diesen Zivilisten haben helfen lassen.
Ich weiß, das hat gegen vieles verstoßen, woran Sie glauben.«
»Woran ich geglaubt habe«, korrigierte sie ihn. Wieder schwieg sie, aber Geary wartete geduldig ab, da er spüren konnte, dass sie noch etwas sagen wollte. »Aber dieser Teufelskreis der Vergeltung kennt kein Ende. Mir ist etwas bewusst geworden. Ich möchte nicht eines Tages diesen Jungen töten müssen, wenn er alt genug ist zum Kämpfen.«
»Ich auch nicht. Und auch nicht seinen Vater oder seine Mutter. Und ich will auch nicht, dass der Junge eines Tages Bürger der Allianz tötet. Wie können wir dem ein Ende setzen, Tanya?«
»Sie werden schon eine Lösung finden, Sir.«
»Na, herzlichen Dank.«
Er meinte das sarkastisch, und ganz sicher hatte es auch so geklungen, dennoch lächelte Desjani ihn an. »Haben Sie gemerkt, wie sie uns angesehen haben? Erst waren sie verängstigt, dann ungläubig, und schließlich waren sie sogar dankbar.« Sie wurde ernst und sah nach draußen. »Ich mag den Kampf. Ich mag es, mich mit dem Besten zu messen, was die Syndiks aufzubieten haben. Aber ich habe genug davon, Menschen wie diese zu töten. Können wir die Syndiks davon überzeugen, nicht länger zivile Ziele zu bombardieren?«
»Wir können es versuchen. Unsere Waffen sind präzise genug, um bei einem Bombardement industrielle Ziele zu treffen und die Verluste unter der Zivilbevölkerung auf ein Minimum zu reduzieren.«
Nun machte sie eine finstere Miene. »Die ermorden unsere Leute, aber wir lassen ihre am Leben?«
»Es muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Wenn wir zurück sind, werden wir ihnen sagen, dass sie aufhören sollen, unsere Leute zu bombardieren, und wir werden ihre Leute auch weiterhin verschonen.«
»Aber warum sollten sie…?« Desjani unterbrach sich mitten in ihrer Frage, dann sah sie Geary lange an. »Sie könnten uns glauben, dass wir uns an unser Versprechen halten, weil Sie demonstriert haben, dass Sie das tun wollen.«
»Vielleicht ja.«
»Und wenn sie trotzdem nicht aufhören?«
»Dann zerstören wir weiterhin ihre industriellen und militärischen Ziele.« Als Desjani daraufhin den Mund verzog, erklärte er: »Sehen Sie, Tanya, wenn diese Leute nichts mehr herstellen können und sie keine Waffen mehr haben, um zu kämpfen, dann werden sie für die Syndiks zu einer Last, weil die sich dann um sie kümmern und sie mit Lebensmitteln und allem anderen versorgen müssen.«
»Die werden neue Fabriken bauen, und neue Militäranlagen.«
»Und die werden wir auch wieder dem Erdboden gleichma-chen«, sagte Geary und deutete mit einer Kopfbewegung auf das All jenseits der Hülle der Dauntless. »Seit die Menschheit routinemäßig das All bereist, sind wir in die Lage versetzt worden, Steinblöcke aus dem All auf Planeten zu werfen und damit Bauwerke auf Planeten viel schneller und müheloser zu zerstören, als sie von den Menschen wiederaufgebaut werden können. Die Syndiks können rund um die Uhr das wiederauf-bauen, was wir zerstört haben, und trotzdem werden wir auch das im Handumdrehen wieder vernichten.«
Desjani dachte über seine Worte nach und nickte bedächtig. »Sie haben recht. Aber diese Logik traf doch auch schon zu, als wir anfingen, neben militärischen und industriellen Zielen auch zivile Ziele zu bombardieren. Warum haben wir vor vielen Jahrzehnten überhaupt damit angefangen?«
»Das weiß ich nicht.« Geary versuchte sich vorzustellen, wann im vergangenen Jahrhundert der Punkt erreicht worden war, an dem sich die Menschen verändert hatten, um zu dem zu werden, was sie heute waren. Aber es hatte keinen solchen Punkt, kein einzelnes Ereignis gegeben. Vielmehr war das geschehen, was Victoria Rione als ein allmähliches Abglei-ten bezeichnete, bei dem eine vernünftig erscheinende Entscheidung, immer noch einen Schritt weiter zu gehen als der Gegner, von der nächsten gefolgt wurde. »Vielleicht war es die Rache für ein Bombardement der Allianz-Welten gewesen. Vielleicht eine aus Verzweiflung geborene Taktik, weil der Krieg kein Ende nehmen wollte. Ein Versuch, der Moral des Gegners einen Todesstoß zu versetzen. Wir haben uns mit solchen Dingen beschäftigt, als ich noch Junioroffizier war, allerdings als Lektion für etwas, das nicht funktioniert.
Immer wieder haben in der Vergangenheit Menschen versucht, einen Feind so unter Beschuss zu nehmen, dass er aufgibt. Aber sobald der Feind glaubt, dass seine Heimat oder seine Überzeugungen in Gefahr sind, gibt er nicht auf.
Es ist völlig irrational, aber wir sind nun mal alle menschlich.«
»Die Bombardements durch die Syndiks haben uns nie dazu bewegen können, einfach aufzugeben«, bestätigte Desjani seine Worte. »Wir sind unzufrieden mit unseren Führern, aber wir wollen, dass sie siegen. Wir wollen nicht, dass sie sich ergeben. Allerdings gibt es vor allem in dieser Flotte nicht mehr viele Leute, die noch an einen Sieg glauben wollen. Deshalb hat Ihnen…«
Er horchte auf, als sie verstummte. »Deshalb hat mir Captain Badava dieses Angebot gemacht? Wollten Sie das sagen?
Sie wissen auch davon?«
»Ja, Sir. Natürlich, Sir. Fast alle reden darüber.«
»Ich werde das nicht machen, Tanya. Ich'werde der Allianz nicht auf diese Weise in den Rücken fallen, indem ich das Angebot annehme und mich zum Diktator aufschwinge. Das habe ich Badaya auch gesagt.« Desjani senkte den Blick, ihr Gesicht verriet keine Gefühlsregung. »Das würde nicht funktionieren, außerdem wäre es grundverkehrt.«
Sehr leise fragte Desjani daraufhin: »Ich muss Ihnen die Frage stellen, ob Ihnen sonst noch etwas versprochen worden ist. Für den Fall, dass Sie annehmen, meine ich.«
Er versuchte sich an die Unterhaltung zu erinnern, da er Tanya ansah, dass es ihr sehr zu schaffen machte, doch ihm wollte nichts einfallen. »Nein, nichts Spezielles. Es war alles sehr allgemein gehalten.«
»Ganz sicher?« Ihr Tonfall klangjetzt verärgert, aber immer noch sehr leise. »Ist Ihnen wirklich nicht irgendetwas versprochen worden, Captain Geary?« Er schüttelte ratlos den Kopf.