»Oder irgend jemand, Captain Geary?«
Irgendjemand? Was sollte denn…? Er war davon überzeugt, dass sie ihm seine Fassungslosigkeit ansah. »Reden Sie etwa von sich?«, flüsterte er ungläubig.
Sie sah ihn wieder an, betrachtete eingehend sein Gesicht, dann schien sie sich zu entspannen. »Ja. Einige Personen haben mich bedrängt, damit ich… mich Ihnen anbiete. Ich hatte mich gefragt, ob sie Ihnen dieses Angebot ohne mein Wissen gemacht haben.«
Verlegenheit und Wut brachten sein Gesicht zum Glühen.
Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal so zornig gewesen war. »Wer?«, zischte er. »Wer wagt es, mit einem solchen Ansinnen an Sie heranzutreten? Sie sind keine Trophäe, die man jemandem überreicht. Sagen Sie mir, wer das war, dann werde ich…« Diesmal musste er sich bremsen, da ein Flottenkommandant nicht damit drohen durfte, seine Untergebenen in Stücke zu reißen und durch die Luftschleuse ins All werfen zu wollen.
Desjani reagierte mit einem schwachen Lächeln. »Ich kann meine Ehre selbst verteidigen, Sir. Trotzdem danke. Vielen Dank, Sir.«
»Tanya, ich schwöre, wenn ich herausfinde…«
»Lassen Sie mich das in die Hand nehmen, Sir. Bitte.«
Widerstrebend nickte er. »Wir sollten auf die Brücke zurückkehren, Sir, um das Geschehen im Auge zu behalten.« Wieder nickte er. Desjanis Mundwinkel wanderte ein Stück weiter nach oben. »Sie wären kein guter Diktator, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Vielleicht auch das aus gutem Grund.«
Er wartete ungeduldig, ob noch irgendetwas schiefging, aber die Allianz-Shuttles setzten alle Syndik-Zivilisten ab, starteten und kehrten zu ihren Schiffen zurück, ohne dass auch nur ein Syndik versuchte, ihnen dazwischenzufunken.
»Haben wir tatsächlich diese Operation hinter uns gebracht, ohne dabei von den Syndiks in irgendeinen Hinterhalt gelockt zu werden?«, fragte Desjani.
»Sieht ganz so aus. Und bislang haben sich die Verschwörer in unseren Reihen auch zurückgehalten.« Geary betrachtete sein Display und verspürte den gleichen Unglauben wie Desjani. Alle Shuttles waren zurückgekehrt, und die Allianz-Flotte war wieder auf Kurs quer durch das Cavalos-System zu dem Sprungpunkt, der nach Anahall oder Dilawa führte. »Noch drei Tage bis zum Sprungpunkt?«
»Ja, Sir. Solange nichts Unvorhergesehenes passiert.« Desjani presste die Lippen zusammen, als der Alarm losging. »Was genau jetzt der Fall ist.«
Aus dem Sprungpunkt, auf den sie zusteuerten, kamen ihnen Syndik-Kriegsschiffe entgegen.
Zehn
»Zehn Syndik-Schlachtschiffe, zwölf Schlachtkreuzer, siebzehn Schwere Kreuzer, fünfundzwanzig Leichte Kreuzer, zweiundvierzig Jäger«, meldete der Ops-Wachhabende.
»Die Hälfte unserer Kampfkraft«, stellte Desjani fest. »Allerdings sind wir bei den leichteren Einheiten deutlich im Vorteil. Werden sie uns aus dem Weg gehen oder den Kampf suchen?«
»Sie müssen den Befehl haben, uns zu stoppen oder uns zumindest für eine Weile aufzuhalten«, erwiderte Geary. »In beiden Fällen müssen sie sich auf einen Kampf einlassen.«
»Nach dem, was diese Flotte bei Lakota erreicht hat, könnten sie zu viel Angst vor einer Auseinandersetzung haben.«
Dann ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. »Die wissen vielleicht noch gar nicht, was bei Lakota passiert ist. Womöglich nehmen sie an, dass die Verfolgerflotte, die wir bei Lakota vernichtet haben, uns auf den Fersen ist und jeden Moment auftauchen wird.«
»Damit könnten Sie recht haben, immerhin kommen sie von Anahalt oder Dilawa.« Geary betrachtete die acht Lichtstunden entfernten Bilder der Syndik-Formation, die auf einen neuen Vektor einschwenkte. Die Syndiks hatten bereits acht Stunden lang überlegen können, wie sie vorgehen sollten, und ergriffen längst die notwendigen Maßnahmen.
»Bislang ist das die standardmäßige Kastenformation der Syndiks.«
»Vielleicht ist dieser CEO genauso dumm wie der bei Kaliban«, gab Desjani zu bedenken. Jener feindliche Commander war einfach auf die deutlich überlegene Allianz-Formation losgestürmt, sodass Geary die feindliche Flotte mit seiner überlegenen Feuerkraft hatte eliminieren können.
»Das wäre wirklich schön«, stimmte Geary ihr zu. »Aber darauf können wir nicht bauen. Ich habe den Verdacht, dass wir die dummen CEOs schneller töten, als die Syndiks sie auf ihre Posten befördern können.«
»Mir fällt es schwer, die Fähigkeiten eines jeden Systems zu überschätzen, was die Beförderung der Dummen angeht.«
In Anbetracht des bevorstehenden Gefechts war Desjani so gut gelaunt, dass sie sogar in der Stimmung war, Witze zu reißen, auch wenn Geary zugeben musste, dass sie völlig recht hatte. »Gehen wir mal davon aus, dass er kein Dummkopf ist.
Glauben Sie, die werden versuchen, mit schnellen Vorstößen unsere Flanken zu attackieren? Oder werden sie auf eine der Unterformationen frontal losgehen, wenn ich die Flotte in Gruppen aufteile?«
Desjani dachte über seine Frage nach. »Man hat ihnen beigebracht, so zu kämpfen, wie wir es bislang gemacht haben, nämlich stur drauflos. Selbst wenn sie etwas Ausgefallenes versuchen sollten, wird es wahrscheinlich doch darauf hinaus-laufen, dass sie auf uns losstürmen. Aber es wird wohl keine Attacke gegen eine Flanke oder eine Ecke werden, so wie Sie es uns beigebracht haben. Das ist das, was ich erwarten würde.«
Im Idealfall musste er seine eigene Flotte lediglich zu einer großen Formation zusammenziehen, auf die die Syndiks dann losgehen konnten. Aber bei einer solchen Formation würden nicht alle seine Schiffe das Feuer auf den Feind eröffnen können, womit sie einen Großteil ihrer Überlegenheit einbüßen würde. Falls die Syndiks andererseits nur eine Unterformation unter Beschuss nehmen wollten, würden Taktiken wie die bei Kaliban angewandten auch nicht funktionieren. Er würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
In dem Moment betrat Rione die Brücke und blieb kurz stehen, um einen Blick auf das Display vor ihrem Platz zu werfen, dann wandte sie sich an Geary: »Was beabsichtigen Sie zu tun?«
Geary zeigte auf sein eigenes Display, auf dem der ausholende Bogen, der den vorausberechneten Kurs der Syndik-Formation darstellte, auf einen Vektor einschwenkte, der den Bogen der Allianz-Flotte kreuzte. Am Schnittpunkt der beiden Linien sah es so aus, als würden zwei Säbel aufeinandertreffen.
»Ich beabsichtige, auf den Feind zu treffen, Madam Co-Präsidentin, und zwar in weniger als eineinhalb Tagen.«
Rione sah von ihrem Display auf, das die Zahl der gegnerischen Schiffe anzeigte, und schüttelte den Kopf. »Es ist so, als würde man gegen eine Hydra kämpfen. Wir können noch so viele Syndik-Kriegsschiffe zerstören, es tauchen immer neue auf.«
»Die bauen ja auch fleißig neue Schiffe, und im Gegensatz zu »ins können sie Verstärkung schicken«, betonte Geary.
»Ich empfehle, diesen CEO lebend zu fangen, Captain Geary.
Er könnte in der Lage sein, uns ein paar Fragen zu beantworten.«
»Ich werde mein Bestes tun, Madam Co-Präsidentin.«
»Captain, wir empfangen eine sehr stark gebündelte Übertragung aus der Richtung der vorrangig bewohnten Welt. Sie ist an Captain Geary gerichtet.«
Desjani sah ihn skeptisch an. Bis zum Kontakt mit der Syndik-Flotte dauerte es noch fast acht Stunden, und sie hatten bislang noch keine Gefechtsformation eingenommen. »Auf mein Display«, sagte Geary. »Und lassen Sie Captain Desjani mitschauen.«
In dem Fenster, das sich vor ihm öffnete, war eine ältere Frau zu sehen, die eine CEO-Uniform eines Syndiks im mittleren Dienstgrad trug. »Ich nehme an, Sie fragen sich, warum die Senioroffizierin der Syndikatwelten in diesem Sternensystem mit Ihnen Kontakt aufnimmt, Captain Geary, und das auch noch auf eine Weise, die die Gefahr gering hält, dass irgendjemand herausfindet, was sie getan hat.«