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Sie deutete auf ein Foto auf dem Schreibtisch, es zeigte einen jungen Mann, der Geary irgendwie bekannt vorkam.

»Ich hatte einen Bruder, der vor langer Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Jedenfalls dachte ich das. Jetzt habe ich einen Bruder, und jetzt weiß ich auch, dass ein Unternehmen, das sehr eng mit einem sehr hochrangigen Führer der Syndikatwelten verbunden ist, den Entschluss fasste, meinen Bruder und Hunderte seiner Kollegen im Wendig-System zurückzulassen, weil so die Ausgaben im Jahresbericht des Unternehmens ein klein wenig niedriger ausfielen. Ich habe jetzt auch eine Schwägerin und einige Nichten und Neffen, von deren Existenz ich bislang nichts wusste. Dass sie leben, verdanken sie alle Ihnen.«

Plötzlich konnte Geary das Foto auf dem Schreibtisch zuordnen. Es zeigte den um Jahrzehnte jüngeren Bürgermeister von Alpha.

Die Offizierin schüttelte den Kopf. »Ganz zu schweigen von all den anderen, die in dem System umgekommen wären, hätten Sie stattdessen den Planeten bombardiert. Aber ich habe von Leuten aus Systemen wie Corvus, Sutrah und sogar Sancere gehört, und daher weiß ich, dass Sie überall auf die gleiche Weise vorgegangen sind und Ihre durch unsere Angriffe ausgelösten Vergeltungsschläge ausschließlich gegen militärische Ziele oder Industrieanlagen gerichtet haben. Ich weiß nicht, wie viele Millionen oder Milliarden Bürger der Syndikatwelten Sie bislang mühelos hätten töten können, aber ich weiß, dass Sie das nicht getan haben.«

Mit einem Mal begann die Frau finster zu lächeln. »Ich finde mich jetzt in der Situation wieder, dass ich der Allianz-Flotte danke, weil so viele Leben gerettet wurden, aber gleichzeitig verlangen meine Befehle von mir, dass ich alle notwendigen Maßnahmen ergreife, um so viele Ihrer Schiffe wie möglich zu zerstören und um Sie so lange wie möglich aul-zuhalten, ganz gleich, welche Verluste die Bewohner dieses Sternensystems dafür hinnehmen müssen. Ich bin mir durchaus der Situation bewusst, in der Sie sich befinden. Man hat uns mindestens ein halbes Dutzend Mal erzählt, dass Ihre Flotte in eine Falle geraten ist und bald vernichtet werden wird. Wie Sie es bis hierher schaffen konnten, das wissen allein die Lebenden Sterne. Dass Sie das Kommando führen, Captain Geary — und die Syndikatwellen haben Ihre Identität offenbar bestätigen können -, veranlasst mich zu der Frage, ob die Lebenden Sterne wohl in diesen Krieg eingegriffen haben. Wenn sie das getan haben, dann bin ich ihnen sehr dankbar, weil Sie eine für den Krieg geschaffene Streitmacht dazu benutzten, das Leben Ihrer Feinde zu retten. Ich bin Ihnen etwas schuldig, Captain Geary, und ich glaube daran, dass man Gutes mit Gutem vergelten sollte. Ihre Flotte ist auf dem Weg zu einer Konfrontation mit einer großen Streitmacht der Syndikatwelten, aber Sie sind ihr zahlenmäßig weil überlegen. Auch wenn unsere Führer versuchen, alles über Sie und Ihre Flotte geheimzuhalten, kursieren zahlreiche glaubwürdige inoffizielle Berichte über Sie. Mit Blick auf diese Berichte glaube ich nicht, dass die Syndik-Flotte Erfolg haben wird, aber angesichts der Dinge, die Sie bislang getan haben, erfüllt mich diese Aussicht nicht mit Furcht. Ihre Flotte wird für die Menschen hier eine geringere Bedrohung darstellen als eine Flotte, die dem Exekutivrat der Syndikatwelten unterstellt ist.«

Abermals schüttelte die Frau den Kopf. »Ich werde nicht vergessen, was Sie getan haben, Captain Geary. Viele von uns sind längst zu der Ansicht gelangt, dass dieser Krieg an dem Tag sinnlos wurde, an dem er begann. Wir sind es leid, in unseren Sternensystemen mit Mühe und Not über die Runden zu kommen, während unsere Führer den Wohlstand der Syndikatwelten in einem Krieg verpulvern, der nicht gewonnen werden kann. Wenn Sie heimkehren, richten Sie Ihren Führern aus, dass es hier Menschen gibt, die genug vom Krieg haben und die verhandeln möchten.« Nach einer kurzen Pause fügte die Frau an: »Als unsere Einrichtungen in Dilawa vor gut zwanzig Jahren eingemottet wurden, da hielt man es für unwirtschaftlich, die in den Bergbauanlagen gelagerten Vorräte abzutransportieren. Vieles wurde dort zurückgelassen. Sie sollen nur wissen, dass es dort Vorräte gibt, falls Sie noch Bedarf haben.«

Ihr Bild verschwand vom Display, und Geary lehnte sich nachdenklich zurück.

»Können wir ihr vertrauen?«, fragte Desjani.

»Ich weiß nicht. Wo ist Co-Präsidentin Rione?«

»In ihrem Quartier, vermute ich.«

»Schicken Sie ihr eine Kopie und bitten Sie sie um eine Einschätzung.« Desjani verzog den Mund und zögerte gerade lange genug, dass Geary es noch bemerkte. »Schon gut, ich erledige das selbst.«

Fünf Minuten später kam Rione auf die Brücke. »Ich glaube, sie meint es ehrlich.«

»Sie will über einen Friedensschluss reden, sie rechnet damit, dass wir die Syndik-Flotte in diesem System besiegen, und sie sagt uns, wo wir Rohstoffe für unsere Hilfsschiffe finden können«, machte Geary klar. »Wenn die Syndik-Behörden das herausfinden, wird sie das ihren Kopf kosten.«

Rione nickte nachdenklich. »Eine CEO eines Sternensystems sagt uns ohne Umschweife, dass sie den Krieg nicht länger unterstützt. Das Ganze deutet auf größere Probleme in der Syndik-Hierarchie hin als von uns erwartet.«

»Und sie sympathisiert mit uns gegen ihre eigenen Streitkräfte«, betonte Desjani, die zwischen Dankbarkeit und Abscheu zu schwanken schien.

Anstatt ihr zu antworten, wandte sich Rione an Geary. »Die Syndik-Flotte war stets ein wichtiges Instrument, mit dem die Führer der Syndikatwelten die Kontrolle über ihr Territorium gewahrt haben. Wer versuchte, Unabhängigkeit zu de-monstrieren, sah sich im Handumdrehen mit einer Flotte Kriegsschiffe konfrontiert, die den Willen des Exekutivrats durchsetzten. Je größer die Verluste sind, die Sie dieser Flotte zufügen, umso mehr bieten sich Gelegenheiten für lokale Führer, aus eigenem Antrieb zu handeln.«

»Diese Flotte setzt sich aus ihren eigenen Leuten zusammen«, sagte Desjani zu Geary. »Dass sie bereit ist, uns anzu-feuern, aber nicht sie, sollte eine Rolle bei unserer Beurteilung dieser CEO spielen.«

Rione schüttelte den Kopf, während sie sich wieder an Geary wandte. »Ein vom Hypernet übergangenes Sternensystem ist wahrscheinlich nicht mit vielen Bürgern in der Flotte vertreten und fühlt sich dadurch auch nicht in gleicher Weise als Teil der Syndikatwelten.«

Geary sah zu Desjani, und erst in diesem Moment begriff er, dass beide Frauen nur mit ihm redeten und sich dabei gegenseitig ignorierten, so als würden sie sich in zwei verschiedenen Räumen befinden und könnten nur ihn direkt ansprechen.

»Die Syndik-CEO«, fuhr Desjani fort, »die wir gesehen haben, ist eine Politikerin, und ich nehme an, eine Politikerin verspürt weniger Gewissensbisse, wenn es um die Verluste von Militärpersonal geht.«

Diese Bemerkung sorgte dafür, dass Rione die Lippen auf-einanderpresste, doch auch jetzt nahm sie Desjani mit keinem Blick zur Kenntnis. »Sie haben meine Einschätzung gehört, Captain Geary. Wenn Sie mich nun entschuldigen würden, ich muss mich um andere Dinge kümmern.« Mit diesen Worten machte sie kehrt und verließ die Brücke.

Unwillkürlich presste er die Fingerspitzen gegen seine Stirn, um drohende Kopfschmerzen zurückzudrängen. »Captain Desjani«, murmelte er so leise, dass nur sie ihn hören konnte. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie davon Abstand nehmen könnten, sich einen offenen Schlagabtausch mit Co-Präsidentin Rione zu liefern.«

»Einen offenen Schlagabtausch?«, wiederholte sie genauso leise. »Ich verstehe nicht, Sir.«

Er warf ihr einen wütenden Blick zu, doch Desjani betrachtete ihn mit einer Miene, die vorgab, schlichtweg ahnungslos zu sein. »Ich möchte wirklich nicht ins Detail gehen.«

»Ich fürchte, das werden Sie aber müssen, Sir.«

Desjani schien der Meinung zu sein, dass er von den Lebenden Sternen geführt wurde, wenn es um das Kommando über die Flotte ging, doch was Rione betraf, da war sie ganz offensichtlich anderer Ansicht.