»Und wir können nichts dagegen unternehmen?«, wollte Geary wissen. »Wir müssen zulassen, dass sich dieses Ding in unsere Systeme eingenistet hat?«
Seine Bemerkung entlockte Oesida ein triumphierendes Lächeln. »Nein, Sir. Ich weiß zwar nicht, wie es arbeitet, aber ich weiß, wie ich es unschädlich machen kann.«
»Das ist das erste Mal, dass ich Sie wie einen Marine reden höre, Captain Cresida. Und wie machen wir das Ding unschädlich?«
Sie deutete wieder auf die sich wellenförmig bewegenden Ränder. »Ich bin mir sicher, dass wir Quanten-Wellenmuster erzeugen können, die die entgegengesetzten Eigenschaften dieser Wellen besitzen. Im Prinzip erzeugen wir eine zerstörerische Interferenz, um die modulierten Uberdeckungen aufzuheben. Wir müssen nicht wissen, was das Muster bewirkt oder wie es aufrechterhalten wird, wir können trotzdem ein sehr kurzlebiges negatives Abbild davon erschaffen.
Sobald die Uberdeckungen in einen Null-Wahrscheinlich-keitszustand versetzt worden sind, sollten sie nicht noch einmal wieder auftauchen können, abgesehen von einigen wenigen Zufallselementen, die unmöglich ihre ursprüngliche Funktion ausführen können.«
Geary stutzte. »Wie können überhaupt noch Zufallselemente auftauchen, wenn sie auf Null-Wahrscheinlichkeit reduziert worden sind?«
»Das ist… eine Quantensache, Sir. Für uns ergibt das keinen Sinn, aber so läuft das auf dieser Ebene.«
Der Sicherheitsoffizier nickte bestätigend. »Im Prinzip schlägt Captain Cresida vor, ein Antivirenprogramm zu ent-wickeln, mit dem Quantenwahrscheinlichkeitsmuster entdeckt und unschädlich gemacht werden können. Das ist zwar ein völlig neuartiges Konzept, aber die Entwicklung dieses Programms bewegt sich im Rahmen unserer Möglichkeiten.«
»Vielen Dank, Captain Cresida. Ich glaube nicht, dass ich übertreibe, wenn ich sage, dass die ganze Menschheit in Ihrer Schuld steht. Ich möchte, dass Lieutenant Iger vom Geheimdienst auch davon in Kenntnis gesetzt wird. Irgendeine Ahnung, wie das in unsere Systeme gelangen konnte?«
Die anderen sahen sich kurz an, dann antwortete Desjani:
»Ich habe darüber nachgedacht, seit Captain Cresida mir das hier gezeigt hat. Sie, Sir, vermuten, dass die Technologie für die Hypernet-Portale von den Aliens stammt. Die Dauntless hat so wie jedes Schiff in dieser Flotte einen Hypernet-Schlüssel der Allianz an Bord, der mit seinem eigenen Betriebssystem arbeitet.«
Cresida riss die Augen auf. »Das über eine Schnittstelle mit dem Navigationssystem des Schiffs verbunden ist. Sie könnten recht haben! Wir nehmen uns die Schlüssel vor und sehen, was wir herausfinden können.«
Nun machte der Sicherheitsoffizier eine besorgte Miene.
»Aber wenn das aus dem Hypernet-Schlüssel kommt, können wir es dann wagen, den Schlüssel zu säubern? Das könnte seine Funktionsweise beeinflussen.«
»Guter Gedanke«, stimmte Cresida ihm zu. »Wir müssen also sehr sorgfältig vorgehen. Aber wir können einen Antiviren-Schirm zwischen dem Schlüssel und den Schiffssyste-men errichten, sobald das Programm läuft.«
»Dann fangen Sie an«, befahl Geary. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, aber nicht bekommen, dann lassen Sie es mich sofort wissen.«
»Jawohl, Sir, allerdings möchte ich damit gern bis nach der Schlacht warten.«
»Nach der Schlacht?« Fast hätte sich Geary mit der flachen Hand an die Stirn geschlagen. Durch die Feinde in den eigenen Reihen und die feindseligen Aliens war für einen Moment das anstehende Gefecht völlig in Vergessenheit geraten.
»Ja, natürlich erst nach der Schlacht. Und falls Ihnen noch etwas auffällt, das nicht sofort in Angriff genommen werden muss, dann geben Sie mir anschließend Bescheid.« Ich kann es mir nicht leisten, mich noch mal so komplett ablenken zu lassen. Viele Schiffe in dieser Flotte könnten sterben, wenn ich mich nicht ganz und gar auf das Wesentliche konzentriere. Was Cresida entdeckt hatte, war ohne Auswirkungen auf den bevorstehenden Kampf gegen die Syndiks. Aber es war langfristig von erheblicher Bedeutung, weil es die Möglichkeiten der Aliens einschränkte, ihnen die Syndiks auf den Hals zu hetzen. Wir kommen euch schon auf die Schliche, ihr verdammten Mistkerle. Und wenn wir genügend von euren Tricks durchschaut haben, dann werden wir mit euch über diesen Krieg reden und euch mal erzählen, was Menschen mit Nichtmenschen machen, die sie zu manipulieren versuchen.
Noch eine Stunde bis zum Aufeinandertreffen beider Streitmächte, falls sie ihren momentanen Kurs und die Geschwin-digkeitsvektoren beibehielten. Nun konnte Geary die Syndik-Formation so sehen, wie sie sich vor zwölf Minuten gestaltet hatte: nach wie vor in der Kastenform, die sich mit einer kurzen Seite voran und damit einem Hammer gleich den Allianz-Schiffen näherte. »Bereit?«, fragte er Desjani.
»Jetzt?« Ihr Blick war bereits auf die feindliche Formation gerichtet.
»Ja. Früher ging es nicht, sonst hätte ich untypische Flugbewegungen anordnen müssen. Aber ich muss dem Syndik-CEO, der diese Flotte befehligt, Zeit geben zu sehen, was ich mache, damit ich wiederum Zeit genug habe, um beobachten zu können, wie der Gegner reagiert.« Geary tippte auf seine Kontrollen. »An alle Einheiten der Allianz-Flotte: Nehmen Sie bei Zeit null drei Formation Echo Four relativ zum Flaggschiff Dauntless ein.«
Bei Zeit null drei begann sich die Formation Delta aufzulösen, in der sich die Flotte bis dahin bewegt hatte. Kriegsschiffe bewegten sich in einem komplexen Tanz hin und her, um ihre Positionen in fünf Unterformationen einzunehmen. »Das ist die Formation, die Sie bei Lakota zum ersten Mal angewandt haben«, stellte Rione fest, als sich die Umrisse abzuzeichnen begannen.
»So in etwa«, bestätigte er. »Die münzenförmigen Unterformationen sind sehr flexibel. Wegen der Form und der ge-ringeren Größe kann ich sie leichter drehen lassen. Aber sie werden anders angeordnet sein als in der Formation Echo Five, die wir bei Lakota gewählt hatten.« Vier Münzen bildeten die Umrisse eines Diamanten, ihre Breitseite war dem Feind zugewandt, während in der offenen Mitte des Diamanten ein Stück weit nach hinten verlagert eine größere Münze positioniert war, zu der auch die Dauntless gehörte.
»Sind die Hilfsschiffe wieder der Köder?«
»Nein, ich versuche sie zu beschützen. Sie befinden sich im hinteren Teil der Formation, und wenn die Syndiks versuchen sollten, unsere Hilfsschiffe dort anzugreifen, steht ihnen ein sehr unangenehmes Spießrutenlaufen bevor.«
Er wartete so wie alle anderen, während die Minuten da-hinschlichen und die Syndiks näher kamen. Ganz sicher würde der Syndik-Commander nicht mitten durch die Formation hindurchfliegen, allerdings hatten die Syndiks bislang ihren Kurs nicht geändert und zielten nicht auf einen bestimmten Teil der Allianz-Flotte. Zwanzig Minuten bis zum Kontakt. Fünfzehn Minuten. Waren die Syndiks vor Unentschlossenheit wie gelähmt, waren sie zu dumm zu handeln, oder wollten sie tatsächlich bis zur allerletzten Sekunde warten, ehe sie den Kurs ihrer Formation änderten?
Allmählich wurde es knapp. Die Syndik-Kastenformation konnte noch immer in jede Richtung schwenken, aber Geary wusste, dass er nicht länger warten konnte. Im Geiste ging er die möglichen Maßnahmen der Syndiks durch, und überlegte sich Allianz-Manöver, die besonders knifflig waren, da sich die Triebkraft auf die Kursvektoren auswirken würde, wenn die Flugrichtung geändert wurde. In der Hoffnung, alles richtig gemacht zu haben, gab er seine Befehle aus. »Formation Echo Four Two, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach Backbord null acht fünf Grad, nach oben eins null Grad bei Zeit eins fünf.« Damit würde sich Echo Four Two von einer flachen Formation, bei der alle Schiffe wie bei einer Mauer nach vorn zeigten, zu einer Messerklinge verändern, bei der die Schiffe zur schmalen Seite hin ausgerichtet waren und sich aufwärts durch die Syndik-Flotte schneiden würden, sofern die zum gleichen Zeitpunkt dort eintraf. »Formation Echo Four Three, drehen Sie sich gemeinsam und ändern Sie den Kurs nach Steuerbord null acht eins Grad, nach unten eins null Grad bei Zeit eins sechs.« Die Unterformation auf der linken Seite des Diamanten würde sich damit nach rechts unten bewegen.