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Plötzlich flog ein großes Insekt von etwa zwei Zoll Länge mit scharfem Summen ins Zimmer... flog herein, zog im Kreise umher und setzte sich dann an die Wand.

Es glich einer Fliege oder Wespe. – Der Leib war von schmutzigbrauner Farbe, ebenso die flachen harten Flügel; die gespreizten Füßchen borstig und der Kopf eckig und groß wie bei einer Libelle; und dieser Kopf und diese Füßchen – waren leuchtend rot wie Blut.

Dieses seltsame Insekt drehte fortwährend den Kopf, nach unten und oben, nach rechts und links, bewegte die Füßchen... dann plötzlich flog es von der Wand ab, flog summend durchs Zimmer – setzte sich von neuem und machte wieder seine häßlichen, widerwärtigen Bewegungen, ohne sich von der Stelle zu rühren.

In uns allen erregte es Abscheu, Schrecken, ja sogar Furcht... Niemand von uns hatte bisher etwas Ähnliches gesehen, alle schrien: »Jagt doch dies Ungeziefer hinaus!« – alle schwenkten von weitem ihre Taschentücher... aber keiner wagte heranzukommen... und sooft das Insekt aufflog, wich alles unwillkürlich zurück.

Nur einer aus dem Kreise, ein noch junger, blaß aussehender Mann, blickte auf uns übrige mit unverhohlenem Erstaunen. – Er zuckte die Achseln, lächelte und konnte durchaus nicht begreifen, was mit uns vorging und weshalb wir so aufgeregt seien. Er selbst konnte überhaupt kein Insekt wahrnehmen – hörte nicht das unheimliche Schwirren seiner Flügel.

Plötzlich richtete sich das Insekt gerade auf ihn hin, flog auf, preßte sich an seinen Kopf und stach ihn dicht über den Augen in die Stirn... Der junge Mann stieß einen schwachen Schrei aus – und brach tot zusammen.

Die entsetzliche Fliege flog unmittelbar darauf hinaus... Da erst errieten wir, was dies für ein Gast gewesen war.

Die Kohlsuppe

Einer alten Witwe war ihr einziger, zwanzigjähriger Sohn gestorben, der beste Arbeiter im Dorfe. Die Gutsherrin, die Besitzerin dieses Dorfes, hörte vom Kummer der alten Frau und machte sich am Tage der Beerdigung auf, um sie zu besuchen.

Sie fand sie zu Hause.

Mitten in der Stube vor dem Tische stehend, schöpfte sie mit langsamer, mechanischer Bewegung mit der rechten Hand (die linke hing schlaff herab) dünne Kohlsuppe aus einem rauchgeschwärzten Topfe und schluckte einen Löffel nach dem andern davon hinunter.

Das Gesicht der Alten war abgehärmt und trübe; die Augen rot und verschwollen... aber sie hielt sich gerade und aufrecht, wie in der Kirche.

Herr des Himmels! dachte die gnädige Frau bei sich, in solchem Augenblick bekommt die es fertig zu essen... was haben doch all diese Leute für ein rohes Gefühl!

Und hierbei erinnerte sich die gnädige Frau, wie sie selbst vor einigen Jahren nach dem Verlust eines neun Monate alten Töchterchens vor lauter Kummer darauf verzichtet hatte, ein prächtiges Landhaus in der Nähe von Petersburg zu mieten – und den ganzen Sommer in der Stadt zugebracht hatte! – Die Alte dagegen löffelte weiter an ihrer Kohlsuppe.

Endlich verlor die gnädige Frau die Geduld. – »Tatjana!« rief sie aus... »Das ist unerhört! – Ich fasse es nicht! Hast du denn deinen Sohn gar nicht geliebt? Hast du denn nicht einmal den Appetit verloren? – Wie kannst du bloß jetzt diese Kohlsuppe essen!«

»Mein Wassja ist tot,« erwiderte leise die Alte – und von neuem rollten bittere Tränen über ihre eingefallenen Wangen. »Nun ist es auch mit mir bald zu Ende: bei lebendigem Leibe hat man mir den Kopf abgerissen. Darum kann ich aber doch die Kohlsuppe nicht umkommen lassen: sie ist ja gesalzen.«

Die gnädige Frau zuckte bloß mit den Achseln und entfernte sich. Für sie war das Salz billig.

Die Gefilde der Seligen

O Gefilde der Seligen! O Gefilde der Himmelsbläue, des Lichtes, der Jugend und des Glücks! Ich habe euch geschaut... im Traume.

Wir saßen zu mehreren in einem schönen, reichgeschmückten Nachen. Einer Schwanenbrust gleich schwoll das weiße Segel unter den spielenden Wimpeln.

Ich wußte nicht, wer meine Gefährten waren; allein, ich fühlte mit ganzem Herzen, daß sie ebenso jung, so froh und glücklich seien wie ich!

Ja, ich beachtete sie kaum. Ich sah rings nur ein uferloses, azurblaues Meer, dessen zitternder Spiegel wie mit goldigen Schuppen bedeckt war – und zu Häupten ein gleiches uferloses, gleich azurblaues Meer, – und darüberhin zog im Triumphe und gleichsam lächelnd die freundliche, heitere Sonne.

Von Zeit zu Zeit erscholl aus unserer Mitte ein lautes, fröhliches Lachen – wie das Lachen der Götter!

Dann auf einmal ertönten aus jemandes Munde Worte, Verse von wunderbarer Schönheit und begeisternder Kraft... es schien, als ob der Himmel selber deren Echo widerhalle und rings das Meer mitempfindend erzittere... Und dann wieder herrschte selige Stille.

Leicht in die weichen Wellen tauchend, glitt unser Nachen rasch dahin. Kein Lufthauch trieb ihn; ihn lenkten unsere eigenen freudig pochenden Herzen. Wohin wir begehrten, dahin schwamm er, folgsam, gleich als wäre er beseelt.

Inseln, zauberische, halbdurchsichtige Inseln, im Schimmer von kostbaren Edelsteinen, Rubinen und Smaragden, zogen an uns vorüber. Aus den sanft geschwungenen Ufern strömten berauschende Wohlgerüche; einzelne dieser Inseln überschütteten uns mit einem Blütenregen weißer Rosen und Maiglöckchen; von anderen flogen unvermutet regenbogenfarbige, langgefiederte Vögel empor. Und die Vögel kreisten hoch über uns, die Maiglöckchen und Rosen zertauten in den Schaumperlen, die längs der glatten Wandung unseres Nachens dahinschwammen. Zugleich mit den Blumen und den Vögeln schwebten süße, süße Töne herüber... Mädchenstimmen schienen darein verwoben... Und alles ringsumher: der Himmel, das Meer, das Rauschen des Segels über uns, das Gemurmel der Strömung hinter dem Nachen – alles redete von Liebe, von seliger Liebe!

Und sie, die ein jeder von Herzen liebte – sie war da... unsichtbar, doch nahe. Einen Augenblick nur – und ihre Augen erglänzen, es strahlt ihr Lächeln... Ihre Hand schließt sich in deine Hand und zieht dich mit sich in ein unverwelkliches Paradies!

O Gefilde der Seligen! Ich habe euch im Traume geschaut.

Zwei Reiche

Wenn man in meinem Beisein das Lob des reichen Rothschild singt, weil er ganze Tausende seines ungeheuren Einkommens für Erziehung von Kindern, für Heilung von Kranken und Unterhalt von Greisen spendet – dann erregt dies meinen Beifall und rührt mich.

Indessen vermag ich bei allem Beifall und aller Rührung doch die Erinnerung an eine arme Bauernfamilie nicht zu unterdrücken, welche eine kleine verwaiste Nichte unter ihr elendes Dach aufnahm.

»Nehmen wir Katja zu uns,« meinte die alte Frau, »dann geht unser letzter Groschen drauf – dann langts nicht mehr zum Salz für die Suppe...«

»Nun... dann essen wir sie eben ungesalzen,« gab ihr der Bauer, ihr Mann, zur Antwort.

Ein weiter Weg von Rothschild bis zu diesem Bauern!

Der Greis

Trübe, schwere Tage sind gekommen...

Eigene Leiden, Siechtum deiner Freunde, Kälte und Finsternis des Alters. Alles, was du geliebt, woran du mit ganzem Herzen gehangen – welkt und schwindet dahin. Der Pfad senkt sich bergab.

Was nun? Sollst du wehklagen? Dich härmen? Nein, damit dienst du weder dir selbst, noch den anderen... Wohl wird das Laub auf dem verdorrenden, sich krümmenden Baume immer dürftiger und seltener, – aber grün ist auch dieses noch.

So verschließe denn auch du dich in dein eigenes Selbst, weile bei deinen Erinnerungen, und dort, tief, tief unten auf dem Grunde deiner innersten Seele, wird dein vergangenes, dir allein zugängliches Leben in all seinem duftigen, immer noch frischen Grün und seiner quellenden Frühlingspracht vor dir erglänzen.