«Ach…«Ein langgezogener Seufzer.»Nein. Ich wollte eigentlich nichts Bestimmtes kaufen. Wir hatten uns nur in der Melbourne Art Gallery mal umgeschaut. Die haben da einen Munnings… und als wir uns den ansahen, kamen wir mit einer Frau ins Gespräch, die auch da stand, wie das in Kunstgalerien so geht. Sie meinte, in einer kleinen Galerie ganz in der Nähe hinge ein Munnings zum Verkauf, den man sich auf jeden Fall ansehen sollte, auch wenn man kein Geld ausgeben wolle. Da wir Zeit hatten, sind wir hingegangen.«
Maisie war die Kinnlade heruntergefallen.»Aber, mein Lieber«- sie fing sich wieder —,»genauso war das bei meiner Schwägerin und mir, nur nicht in Melbourne, sondern in der Sydney Art Gallery. Die haben da ein wunderschönes Bild, Heraufziehender Sturm, und wir waren gerade dabei, das zu bewundern, da kommt so ein Mann und stellt sich zu uns…«
Donald wirkte plötzlich viel erschöpfter, wie ein Kranker, dem die gesunden Besucher zuviel zumuten.
«Hör mal, Charles… du willst doch damit nicht etwa zur Polizei? Denn ich glaube… noch so ein Kreuzfeuer von Fragen… könnte ich nicht aushalten.«
«Ich gehe nicht zur Polizei«, sagte ich.
«Aber… was soll das dann?«
Maisie trank ihren Gin-Tonic aus und lächelte etwas zu fröhlich.
«Wo ist denn hier für kleine Mädchen?«fragte sie und verschwand in die angedeutete Richtung.
Donald sagte schwach:»Ich kann mich nicht konzentrieren… entschuldige, Charles, aber ich kriege nichts auf die Reihe. Solange Regina nicht zum Begräbnis freigegeben, sondern einfach… gelagert wird…«
Statt dem Schmerz die Schärfe zu nehmen, hatte die Zeit ihn offenbar konserviert, als sei durch Reginas Aufbewahrung unter Eis der natürliche Verlauf der Trauer gestoppt worden. Ich hatte gehört, daß in ungeklärten Fällen die Leichen von Mordopfern ein halbes Jahr und länger zurückbehalten werden konnten. Ob Donald so lange durchhalten würde, war fraglich.
Er stand plötzlich auf und ging hinaus auf den Flur. Ich folgte ihm. Er durchquerte den Flur und trat ins Wohnzimmer.
Zögernd ging ich hinter ihm her.
Das Wohnzimmer war immer noch leer bis auf die chintzbezogenen Sitzmöbel, die jetzt übertrieben ordentlich den Wänden entlang standen. Der Fußboden, auf dem Regina gelegen hatte, war blank poliert. Es war kühl im Zimmer.
Donald stand vor dem leeren Kamin und betrachtete mein Porträt von Regina, das auf dem Sims stand.
«Ich bin meistens hier bei ihr«, sagte er.»Sonst halte ich es nirgends aus.«
Er ging zu den Sesseln und setzte sich direkt dem Porträt gegenüber.
«Ihr findet ja selbst hinaus, nicht wahr, Charles?«sagte er.»Ich bin wirklich furchtbar müde.«
«Paß auf dich auf. «Unnützer Rat. Es war klar, daß er das nicht tun würde.
«Mir geht’s gut«, sagte er.»Das geht schon. Mach dir keine Gedanken.«
An der Tür drehte ich mich noch einmal um. Er saß regungslos da und betrachtete Regina. Ich wußte nicht, ob es besser oder schlechter gewesen wäre, wenn ich sie ihm nicht gemalt hätte.
Maisie schwieg, ein einsamer Rekord, während der ganzen ersten Stunde der Rückfahrt.
Von Donald aus waren wir zunächst zu einem der Nachbarn gefahren, die ihm als erste ihren Beistand angeboten hatten, denn jetzt brauchte er Hilfe nötiger denn je.
Die Nachbarin hatte verständnisvoll zugehört, aber den Kopf geschüttelt.
«Ja, ich weiß, er braucht Gesellschaft und müßte mal aus dem Haus kommen, aber er will ja nicht. Wie oft hab ich’s versucht. Ihn angerufen. Und nicht nur ich, auch viele andere. Er sagt immer nur, es geht ihm gut. Er will sich nicht helfen lassen.«
Maisie fuhr konzentriert Meile um Meile. Schließlich sagte sie:»Wir hätten ihn nicht damit behelligen sollen. Noch nicht…«
Drei Wochen, dachte ich. Erst drei Wochen war es her. Donald kamen sie vielleicht wie drei Monate vor, vergangen im Zeitlupentempo. In drei Wochen Schmerz steckt manchmal soviel Leid wie in einem ganzen Leben.
«Ich fahre nach Australien«, sagte ich.
«Sie haben ihn sehr gern, was?«fragte Maisie.
Gern? So hätte ich das nicht ausgedrückt, dachte ich, aber vielleicht stimmte es sogar.
«Er ist acht Jahre älter als ich, aber wir sind immer gut miteinander ausgekommen. «Ich dachte zurück.»Wir waren beide Einzelkinder. Seine Mutter und meine waren Schwestern. Sie haben sich immer besucht, mit Donald und mir im Schlepptau. Er hatte viel Geduld mit seinem kleinen Vetter.«
«Er sieht sehr schlecht aus, Charles.«
«Ja.«
Sie fuhr wieder zehn Meilen schweigend. Dann sagte sie:»Wäre es nicht doch besser, zur Polizei zu gehen? Wegen der Bilder, meine ich. Sie sind ja überzeugt, daß die etwas mit den
Einbrüchen zu tun haben, und die Polizei kommt vielleicht eher an Informationen heran als Sie.«
Da gab ich ihr recht.»Sicher, Maisie. Aber was soll ich der Polizei sagen? Sie haben ja gehört, daß Donald meint, er könne eine weitere Befragung nicht durchstehen. Oder trauen Sie ihm das zu, nachdem Sie ihn heute kennengelernt haben? Und für Sie selbst wäre es nicht damit erledigt, daß Sie eine kleine Schmuggelei zugeben und ein Bußgeld zahlen, sondern Sie wären ein für allemal vorbestraft, hätten bei jeder Reise den Zoll am Hals und müßten tausend andere Komplikationen und Demütigungen in Kauf nehmen. Wenn man heutzutage auf einer schwarzen Liste steht, kommt man so gut wie nicht mehr runter.«
«Ich dachte, das wäre Ihnen egal. «Sie hängte ein Lachen an, aber es klang nicht echt.
Wenig später tauschten wir die Plätze. Ich fuhr den Wagen gern, zumal ich seit meinem Verzicht auf ein festes Einkommen vor drei Jahren kein eigenes Auto mehr besaß. Der Motor schnurrte leise unter der hellblauen Haube und fraß die Meilen Richtung Süden.
«Können Sie sich denn die Flugkosten leisten, mein Lieber?«fragte Maisie.»Und die Hotels und das alles?«
«Ich habe einen Freund drüben. Ebenfalls Maler. Bei ihm werde ich wohnen.«
Sie sah mich zweifelnd an.»Sie können aber nicht per Anhalter hinfahren.«
Ich lächelte.»Ich komme schon zurecht.«
«Ja, gut, das glaube ich Ihnen, aber trotzdem — und da dulde ich jetzt keine dumme Widerrede — bin ich dank Archie mit weltlichen Gütern reichlich gesegnet, Sie aber nicht, und da Sie unter anderem deshalb fahren, weil ich etwas geschmuggelt habe, bestehe ich darauf, Ihnen Ihr Flugticket zu bezahlen.«
«Nein, Maisie.«»Doch, mein Lieber. Und jetzt seien Sie schön brav und tun Sie, was ich Ihnen sage.«
Sicher war sie eine gute Krankenschwester gewesen, dachte ich. Schön brav die Medizin schlucken, mein Lieber. Es fiel mir nicht leicht, ihr Angebot anzunehmen, aber auf der Bank hätte ich das nötige Geld wirklich nicht gehabt.
«Soll ich Sie dafür malen, Maisie, wenn ich zurückkomme?«
«Das fände ich sehr nett, mein Lieber.«
Ich hielt vor dem Haus in der Nähe von Heathrow, wo ich im Dachgeschoß wohnte und wo Maisie mich am Morgen abgeholt hatte.
«Wie halten Sie bloß diesen Lärm aus, mein Lieber?«sagte sie und zuckte zusammen, als ein riesiger Jet im Steilflug über uns hinwegzog.
«Ich denke an die günstige Miete.«
Sie lächelte, öffnete die Krokodilhandtasche und zog ihr Scheckbuch hervor. Der Betrag auf dem Scheck, den sie mir ausstellte, überstieg die Flugkosten bei weitem.
«Wenn es Ihnen peinlich ist«, entgegnete sie auf meine Einwendungen,»können Sie mir zurückgeben, was Sie übrig haben. «Ernst sah sie mich aus ihren graublauen Augen an.»Sie werden doch vorsichtig sein?«
«Ja, Maisie.«
«Es könnte nämlich sein, mein Lieber, daß Sie da ein paar wirklich üblen Leuten in die Quere geraten.«
Fünf Tage später, gegen Mittag, landete ich auf dem Flughafen Mascot, nachdem ich von hoch oben schon einen Blick auf die berühmte Oper und die Hafenbrücke von Sydney hatte werfen können.