Hinter dem Zoll empfing mich Jik mit einem breiten Grinsen und einer Flasche Champagner.
«Hundsfott Todd«, sagte er.»Wer hätte das gedacht. «Seine Stimme drang mühelos durch den Lärm.»Jetzt wird auf den Putz gehauen!«
Begeistert schlug er mir die schwielige Hand auf den Rücken, denn er wußte nicht, wie stark er war. Jik Cassavetes, mein alter Freund, mein Alter ego in jeder Beziehung.
Bartträger im Gegensatz zu mir. Ausgelassen, laut, extravagant, unberechenbar — Eigenschaften, um die ich ihn beneidete. Blaue Augen und strohblondes Haar. Kräfte, die mir den Atem verschlugen. Unglaublicher Erfolg bei Frauen. Eine scharfe Zunge — und tief empfundene Verachtung für meine Malerei.
Wir hatten uns auf der Kunstschule kennengelernt und oft gemeinsam den Unterricht geschwänzt, um zur Rennbahn zu fahren. Jik fuhr zu jedem Rennen, aber nur, um zu wetten, nicht um die Pferde zu bewundern, und schon gar nicht, um sie zu malen. Pferdemaler gehörten für ihn in die untere Schublade. Ein ernsthafter Künstler wäre lieber tot, als daß er Pferde malt, meinte er oft.
Jiks vorwiegend abstrakte Gemälde waren die dunkle Kehrseite seines sonnigen Gemüts: Geburten der Schwermut, verzweifelte Abbilder des Hasses und des Schmutzes, die unsere schöne Welt zerstörten.
Mit Jik zu leben war wie eine Schlittenfahrt, schnell, gefährlich und aufregend. In den letzten beiden Jahren des Kunststudiums hatten wir eine Atelierwohnung geteilt und uns dauernd wegen irgendwelcher Frauen gegenseitig rausgeschmissen. Nur wegen seines ungewöhnlichen Talents war er nicht von der Schule geflogen, denn im Sommer hatte er oft wochenlang gefehlt, um seiner anderen Leidenschaft, dem Segeln, zu frönen.
In den Jahren danach war ich mehrmals mit ihm auf Törn gewesen. Wahrscheinlich hatte er uns einige Male näher mit dem Tod in Berührung gebracht als unbedingt nötig, aber
jedenfalls kamen wir vom Alltag weg. Er war ein toller Segler, schnell, stark, elegant und effizient, mit einem sicheren Gespür für Wind und Wellen. Es hatte mich traurig gestimmt, als er eines Tages den Entschluß faßte, die Welt zu umsegeln. Seine letzte Nacht an Land hatten wir wüst gefeiert, und noch an dem Tag, als er in See stach, kündigte ich meinem Grundstücksmakler.
Jetzt hatte Jik einen Wagen dabei — seinen eigenen, wie sich herausstellte. Es war ein dunkelblauer britischer MG, passend zu den beiden Seiten seiner Persönlichkeit, extrovertiert und introvertiert, extravagant, aber gedämpft in der Farbe.
«Gibt es hier viele davon?«fragte ich erstaunt, als ich Koffer und Malertasche im Kofferraum verstaute.»So weit vom Nest?«
Er grinste.»Einige. Sie sind aber nicht mehr so beliebt, weil sie hemmungslos Benzin schlucken. «Röhrend sprang der Motor an, gleichsam zur Bestätigung, und er schaltete die Scheibenwischer an, da ein Schauer einsetzte.»Willkommen im sonnigen Australien. Hier regnet es ununterbrochen. Manchester ist nichts dagegen.«
«Aber es gefällt dir?«
«Sehr, mein Freund. Sydney ist wie Rugby, hart, ruppig, aber wenn’s drauf ankommt, auch herzlich.«
«Und wie geht das Geschäft?«
«In Australien gibt es Maler zu Tausenden. Die Heimindustrie blüht. «Er warf mir einen schrägen Blick zu.»Verdammt viel Konkurrenz.«
«Ich bin nicht gekommen, um hier mein Glück zu machen.«
«Aber du hast einen bestimmten Grund«, sagte er.
«Hättest du Lust auf etwas Teamarbeit?«
«Meine Kräfte und dein Grips? Wie früher?«
«Das war Spielerei.«
Er zog die Brauen hoch.»Risiken?«
«Brandstiftung und Mord bis jetzt.«»Heiland.«
Der blaue Wagen schnurrte elegant zur Stadtmitte. Wolkenkratzer ragten empor wie Bohnenstangen.
«Ich wohne ganz drüben auf der anderen Seite«, sagte Jik.»Gott, hört sich das banal an. Nach Vorstadt. Was ist bloß aus mir geworden?«
«Ein durch und durch zufriedener Mensch«, meinte ich lächelnd.
«Ja. Gut. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich wirklich glücklich. Du wirst das bestimmt bald ändern.«
Der Wagen bog auf die Schnellstraße, peilte die Brücke an.
«Wenn du über deine rechte Schulter siehst«, sagte Jik,»erblickst du den Triumph der Phantasie über die Wirtschaft. Vergleichbar der Concorde. Es lebe der Irrsinn, das einzige auf Erden, das uns weiterbringt.«
Ich schaute hin. Erhaschte einen Blick auf die Oper, grau im Regen.
«Tagsüber ist sie tot«, sagte Jik.»Man muß sie nachts sehen. Fabelhaft.«
Der große Brückenbogen erhob sich vor uns, filigran wie stählerne Spitze.»Das ist der einzige flache Straßenabschnitt in Sydney«, sagte Jik. Drüben ging es wieder bergauf.
Links von uns, zuerst halb verdeckt von gewöhnlichen Hochhäusern, aber dann in seiner ganzen Pracht sichtbar, ragte ein leuchtend orangerotes Gebäude empor, dessen Fassade aus gleichförmigen Reihen großer, bronzefarbener Fensterquadrate mit abgerundeten Ecken bestand.
Jik grinste.»Design des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Mut und Phantasie. Ich liebe dieses Land.«
«Wo ist dein angeborener Pessimismus geblieben?«
«Bei Sonnenuntergang glänzen die Fenster wie Gold. «Wir ließen das schimmernde Ungetüm hinter uns.»Das ist die Wasserversorgung«, sagte Jik und schnitt ein Gesicht.»Der Boß hat sein Boot neben meinem liegen.«
Die Straße ging bergauf, bergab durchs Zentrum und dann durch dichte Reihen einstöckiger Häuser, deren Dächer aus der Luft wie ein roter Flickenteppich ausgesehen hatten.
«Einen Haken gibt’s«, sagte Jik.»Ich habe vor drei Wochen geheiratet.«
Der Haken lebte mit ihm auf seinem Zweimaster, in einer wahren Bootskolonie vor einer Landzunge, die er den Spieß nannte — und wo man die Übel der Welt zumindest vorübergehend wirklich vergessen konnte.
Sie war weder häßlich noch hübsch. Ovales Gesicht, mittelbraunes Haar, leidliche Figur und praktische Kleidung. Weder den Stil noch die lebhafte Spontaneität von Regina. Ich sah mich kritisch von einem Paar glänzend brauner Augen gemustert, die Willenskraft und Klugheit verrieten.
«Sarah«, sagte Jik.»Todd. Todd, Sarah.«
Wir sagten:»Tag «und:»Guten Flug gehabt?«und:»Ja. «Meinem Eindruck nach wäre es ihr lieber gewesen, ich wäre zu Hause geblieben.
Jiks Zehnmeter-Ketsch, die in England als eine Kreuzung zwischen Atelier und Lagerhaus für Schiffsausrüstung losgesegelt war, hatte jetzt Gardinen, Kissen und eine blühende Grünpflanze. Als Jik den Champagner aufmachte, goß er ihn in blitzende Kelchgläser statt in Plastikbecher.
«Bei Gott«, sagte er.»Es ist schön, dich zu sehen.«
Sarah trank höflich, aber mit eher gemischten Gefühlen, auf meinen Besuch. Ich entschuldigte mich dafür, daß ich in die Flitterwochen hineingeplatzt war.
«Geschenkt«, sagte Jik und meinte es offensichtlich auch so.»Zuviel Wonne im Haus hält keiner aus.«
«Es kommt darauf an«, meinte Sarah mit unbeteiligter Stimme,»ob man Liebe oder Einsamkeit als Antrieb braucht.«
Bei Jik war es stets die Einsamkeit gewesen. Ich war neugierig, was er in letzter Zeit gemalt hatte, aber in der gemütlich hergerichteten Kajüte war noch nicht einmal ein Pinsel zu sehen.
«Ich bin im siebten Himmel«, sagte Jik.»Ich könnte den Everest erstürmen und auf dem Gipfel einen doppelten Salto machen.«
«Die Kombüse reicht«, sagte Sarah,»falls du daran gedacht hast, die Krebse zu kaufen.«
Als wir zusammenwohnten, war Jik der Koch gewesen, und daran schien sich nichts geändert zu haben. Er, nicht Sarah, brach schnell und gekonnt die Krebse aus, gab Käse und Senf darüber und schob sie in den Backofen. Er wusch den frischen Salat und stellte knuspriges Brot und Butter bereit. Wir schlemmten am Kajütentisch, während der Regen auf das Dach und gegen die Bullaugen prasselte und die Wellen im auffrischenden Wind gegen die Seiten schlugen. Beim Kaffee erzählte ich auf Jiks Drängen, weshalb ich nach Australien gekommen war.