Ich ging zum Boot, um Jik und Sarah zu fragen, ob ich ihr Postfach als Absenderadresse angeben dürfe.
«Wenn das ein Gauner ist, antwortet er nicht«, meinte Sarah, als sie den Brief gelesen hatte.»Ich würde es sein lassen.«
«Ködern ist das A und O beim Fischefangen«, sagte Jik.
«Da würde nicht mal ein ausgehungerter Piranha anbeißen.«
Trotzdem schickte ich den Brief mit Sarahs widerwilliger Zustimmung ab. Einen Erfolg versprach sich keiner von uns.
Jiks Telefonstunde verlief dagegen recht erfreulich. Melbourne war wegen der größten Rennveranstaltung des Jahres offenbar restlos überlaufen, aber wir hätten Glück gehabt, meinte er belustigt, und zwei kurzfristig abbestellte Zimmer bekommen.
«Wo?«fragte ich mißtrauisch.
«Im Hilton«, sagte er.
Ich konnte es mir zwar nicht leisten, aber wir fuhren. Jik hatte in seiner Studentenzeit von vorsichtigen Zuwendungen aus einer Familienstiftung gelebt, und sein Einkommen floß offenbar immer noch aus dieser Quelle. Das Boot, das Bootshaus, der MG und die Frau wurden nicht durch Farbe unterhalten.
Wir flogen am nächsten Morgen südwärts nach Melbourne, schauten unterwegs auf die Snowy Mountains hinab und waren mit unseren unerquicklichen Gedanken allein. Sarahs Mißbilligung saß mir wie ein kalter Hauch im Nacken, aber sie hatte sich geweigert, in Sydney zu bleiben. Es sah aus, als sei Jiks angeborener Hang und Drang zu gewagten Abenteuern durch die Liebe gedrosselt worden und als sei in Zukunft keine unkomplizierte Reaktion auf Gefahr mehr zu erwarten. Falls ich ihn denn in Gefahren brachte, auf die er reagieren mußte. Die Fährte in Sydney war kalt und unbrauchbar, und vielleicht fand sich auch in Melbourne nur wieder ein öffentlich ausgestellter, unbeachteter Munnings und eine aufgegebene Galerie. Aber was dann? Für Donald würden die Aussichten trostloser sein als die seltsamen zerkerbten Bergketten, die unter uns dahinglitten.
Wenn ich den stichhaltigen Beweis mit zurückbringen konnte, daß die Plünderung seines Hauses ursächlich mit dem Kauf eines Bildes in Australien zusammenhing, mußte ihm das eigentlich die Polizei vom Hals schaffen, ihm neuen Lebensmut geben und Regina zu einem anständigen Begräbnis verhelfen.
Wenn.
Und es mußte schnell gehen, sonst war es ohnehin zu spät. Für Donald, der Stunde um Stunde in einem leeren Haus auf ein Porträt starrte… Donald, der vor dem Zusammenbruch stand.
Melbourne war kalt, naß und stürmisch. Dankbar meldeten wir uns im warmen, feudalen Hilton an, rings umgeben von wohltuendem Rot, Purpur und Blau, Samtstoffen, Kupfer, Blattgold und Glas. Die Angestellten lächelten. Der Lift funktionierte. Ungläubiges Staunen, als ich meinen Koffer selber trug. Die karge Dachstube daheim war weit weg.
Ich packte meine Sachen aus, das heißt, meinen einzigen Anzug, der in der Malertasche etwas gelitten hatte, hängte ihn auf einen Bügel und setzte mich wieder ans Telefon.
Das Melbourner Büro der Monga Vineyards GmbH teilte mir fröhlich mit, daß ihr Geschäftsführer, Hudson Taylor, mit Mr. Donald Stuart aus England verhandelt habe und daß er sich gegenwärtig im Büro auf dem Weingut selbst aufhalte, das nördlich von Adelaide gelegen sei. Ob ich die Telefonnummer haben wollte?
Ja, gern, danke.
«Kein Problem«, wurde mir geantwortet — wie ich herausfand, die australische Kurzform für:»Keine Ursache, gern geschehen.«
Ich holte die Karte von Australien hervor, die ich mir auf dem Herflug von England gekauft hatte. Melbourne, die Hauptstadt des Bundesstaats Victoria, lag tief unten im Südosten. Adelaide, die Hauptstadt Südaustraliens, lag etwa vierhundertfünfzig Meilen nordwestlich davon. Berichtigung, siebenhundertdreißig Kilometer — die Australier hatten bereits das metrische System eingeführt, woran ich mich erst noch gewöhnen mußte.
Hudson Taylor war nicht in seinem Büro in den Weinbergen. Eine fröhliche Stimme teilte mir mit, er sei zum Pferderennen nach Melbourne gefahren. Er habe einen Starter im Cup. Der Stimme nach war Ehrfurcht angezeigt.
Konnte ich ihn irgendwie erreichen?
Wenn es wichtig war, schon. Er wohnte bei Freunden. Telefon wie folgt. Rufen Sie gegen neun an.
Ein wenig seufzend ging ich zwei Etagen tiefer und klopfte bei Jik und Sarah an, die in ausgelassener Zufriedenheit durch ihr Zimmer tanzten.
«Wir haben Karten fürs Pferderennen morgen und am Dienstag«, sagte Jik.»Und eine Parkerlaubnis und ein Auto. Und am Sonntag gibt’s gegenüber dem Hotel ein Kricketmatch Westindien gegen Victoria, und dafür haben wir auch Karten.«
«Wunder a la Hilton«, meinte Sarah, von diesem Programm sichtlich angetan.»Das ganze Paket war in den abbestellten Zimmern inbegriffen.«
«Aber was hast du denn heute nachmittag mit uns vor?«schloß Jik aufgeräumt.
«Könntet ihr das Arts Centre ertragen?«
Sie hatten nichts dagegen. Sogar Sarah kam mit, ohne einen Weltuntergang vorauszusagen, da mein bisheriger Mißerfolg sie positiv gestimmt hatte. Wir nahmen ein Taxi, damit ihre Locken nicht naß wurden.
Das Victoria Arts Centre war riesig, modern, innovativ und mit dem größten Buntglasdach der Welt ausgestattet. Jik holte tief Luft, als wollte er den pulsierenden Geist des Ortes einatmen, und erklärte lauthals, Australien sei das allerallergrößte, das einzige noch aufregende Land in der korrupten, kriegswütigen, geldgeilen, freiheitsfeindlichen, skrupellosen, angefaulten, erstickungsgefährdeten, verdreckten Welt. Die Vorübergehenden bekamen lange Ohren, aber Sarah schien kein bißchen überrascht.
Tief im Labyrinth der Ausstellungsräume entdeckten wir schließlich den Munnings. Er schimmerte in dem erstaunlichen Licht, von dem das ganze Gebäude durchflutet war:»Der Aufbruch der Hopfenpflücker «mit seinem weiten Himmel und den stolzen Zigeunern, ihren Kindern und ihren von Ponys gezogenen Wohnwagen.
Ein junger Mann, der schräg davor an einer Staffelei saß, war intensiv damit beschäftigt, eine Kopie des Bildes anzufertigen. Auf einem Tisch neben ihm standen große Gläser mit Leinöl und Terpentin und eins mit Pinseln und Reinigungsflüssigkeit. Die verschiedensten Farben lagen griffbereit in einer Schachtel. Zwei oder drei Umstehende schauten ihm verstohlen zu, wie Galeriebesucher auf der ganzen Welt es tun.
Jik und ich traten hinter ihn, um ihm über die Schulter zu sehen. Der junge Mann drehte sich nach Jik um, sah aber nichts als ein freundliches Gesicht mit hochgezogenen Brauen. Wir schauten zu, wie er Schieferweiß und Kadmiumgelb aus zwei Tuben auf die Palette gab und sie mit einem Borstenpinsel zu einem hübschen hellen Farbton mischte.
Auf der Staffelei stand die eben erst begonnene Studie. Nur die Umrißlinien waren zu sehen, wie durchgepaust, und am Himmel war ein wenig Blau angelegt.
Jik und ich verfolgten interessiert, wie er das helle Gelb auf das Hemd der vordersten Figur auftrug.
«He«, sagte Jik plötzlich laut, klopfte ihm auf die Schulter und ließ die andächtige Stille der Galerie in tausend Stücke zerbrechen.»Sie sind ein Scharlatan. Wenn Sie Maler sind, bin ich der Gasmann.«
Nicht gerade höflich, aber auch kein Frevel. Die Umstehenden waren verlegen, nicht entrüstet.
Die Wirkung auf den jungen Mann war jedoch immens. Er fuhr so heftig in die Höhe, daß er die Staffelei umstieß, starrte Jik entgeistert an, und der setzte mit sichtlichem Vergnügen noch eins drauf.
«Was Sie da machen, ist kriminell«, sagte er.
Darauf reagierte der junge Mann blitzschnell und brutal, ergriff das Leinöl und das Terpentin und schüttete Jik beides in die Augen.