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Ich packte ihn am linken Arm. Er schnappte sich mit rechts die farbbeladene Palette, wirbelte herum und wollte sie mir ins Gesicht schleudern. Instinktiv wich ich aus. Die Palette verfehlte mich und traf Jik, der sich die Augen zuhielt und laut brüllte.

Sarah stürzte auf ihn zu und prallte in ihrer Hast gegen mich, so daß sich mein Griff am Arm des jungen Mannes lockerte. Er riß sich los, rannte zum Ausgang, huschte an zwei verdatterten Besuchern mittleren Alters vorbei, die gerade hereinkamen, und stieß sie mir voll in den Weg. Bis ich mein Gleichgewicht wiederfand, war er bereits verschwunden. Ich lief durch etliche

Hallen und Gänge, konnte ihn aber nirgends entdecken. Im Gegensatz zu mir kannte er sich hier aus; und als ich die Verfolgung schließlich aufgab, brauchte ich eine ganze Weile, um zu Jik zurückzufinden.

Ziemlich viele Leute standen um ihn herum, und Sarah, die vor lauter Angst schrie, fiel mich wie eine Furie an, als sie mich erblickte.

«Tu doch was«, schrie sie.»Tu was, sonst wird er blind… er wird blind… Hätten wir bloß nicht auf dich gehört!«

Ich packte sie an den Handgelenken, denn sie war fast hysterisch und schien sich für Jiks Ungemach mit ein paar Verletzungen an meinem Gesicht rächen zu wollen. Kraft genug hatte sie.

«Sarah«, sagte ich energisch.»Jik wird nicht blind.«

«Doch! Wird er ja!«wiederholte sie und trat mir gegen die Schienbeine.

«Oder hättest du das etwa gern?«rief ich.

Empört schnappte sie nach Luft. Was ich gesagt hatte, war mindestens so wirksam wie ein Schlag ins Gesicht. Sie kam plötzlich zur Besinnung, wie von einer kalten Dusche, und aus der Berserkerin wurde eine aufgebrachte, aber wieder ansprechbare Frau.

«Leinöl schadet überhaupt nicht«, sagte ich entschieden.»Terpentin ist schmerzhaft, aber das ist auch alles. Es nimmt ihm auf keinen Fall das Augenlicht.«

Sie starrte mich wütend an, riß ihre Arme los und wandte sich wieder Jik zu, der vor Schmerzen im Kreis trat und sich mit geballten Fäusten die Augen zuhielt. Da Jik aber Jik war, betätigte er auch sein Mundwerk.

«So ein hinterhältiger Dreckskerl… wenn ich den erwische… Himmel Arsch, ich kann nichts sehen… Sarah, wo ist der verdammte Todd? Ich dreh ihm den Hals um… ruf einen Krankenwagen… mir brennt’s die Augen aus… Teufel noch mal…«

«Deine Augen sind okay«, sagte ich ihm laut ins Ohr.

«Es sind meine verdammten Augen, und wenn ich sage, die hat’s erwischt, dann hat’s sie erwischt.«

«Du weißt ganz genau, daß du nicht blind wirst, also mach nicht so ein Theater.«

«Es sind ja nicht deine Augen, du Aas.«

«Aber du ängstigst Sarah«, sagte ich.

Das zog. Er nahm die Hände runter und hörte auf herumzutorkeln.

Beim Anblick seines Gesichts ging ein Raunen wohligen Entsetzens durch das gebannte Publikum. Eine Backe war von der Palette des jungen Mannes leuchtend blau und gelb gefleckt, und die rot entzündeten Augen, aus denen die Tränen nur so strömten, sahen wirklich übel aus. Er kniff sie vor Schmerzen zusammen.

«Gott, Sarah«, sagte er,»entschuldige, Liebes. Der Blödmann hat recht. Von Terpentin ist noch keiner blind geworden.«

«Nicht auf Dauer«, sagte ich, denn es war offensichtlich, daß er im Augenblick nur Tränen sehen konnte.

Sarahs Abneigung war unverändert stark.»Dann ruf ihm einen Krankenwagen.«

Ich schüttelte den Kopf.»Er braucht jetzt nur Wasser und Zeit.«

«Was bist du bloß für ein unmögliches Ekel! Man sieht doch, daß er einen Arzt braucht und ins Krankenhaus gehört.«

Jik, von seinen Mätzchen abgebracht, zog ein Taschentuch hervor und wischte sich behutsam die tränenden Augen.

«Er hat recht, Liebes. Jede Menge Wasser, dann geht’s wieder. Das spült den Schmerz weg. Bring mich zur nächsten Herrentoilette.«

Gestützt auf die immer noch skeptische Sarah zur Linken und einen mitfühlenden Zuschauer zur Rechten, wurde er fürsorglich hinausgeleitet wie Samson auf einer Laienbühne.

Der Chor in Gestalt der Zuschauer strafte mich mit Blicken und freute sich auf den nächsten Akt.

Ich schaute auf den Farbensalat und die umgeworfene Staffelei, die der junge Mann zurückgelassen hatte. Die Zuschauer auch.

«Es hat sich nicht zufällig jemand von Ihnen mit dem Künstler unterhalten, bevor das hier passiert ist?«fragte ich ruhig.

«Doch, wir«, antwortete eine Frau überrascht.

«Wir auch«, sagte eine andere.

«Und worüber?«

«Munnings«, sagte die eine und:»Munnings «die andere, und ihre Blicke gingen zu dem Bild an der Wand.

«Nicht über seine eigene Arbeit?«fragte ich und bückte mich, um sie aufzuheben. Über die vorgezeichneten Linien lief wild ein gelber Strich, die Folge von Jiks Schulterschlag.

Die beiden Damen wie auch ihre Männer schüttelten die Köpfe und sagten, sie hätten darüber gesprochen, wie schön es wäre, selbst einen Munnings daheim zu haben.

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.

«Er wußte aber nicht zufällig, wo man einen bekommen kann?«fragte ich.

«Doch, doch«, antworteten sie.»Er hat uns einen Tip gegeben.«

«Welchen?«

«Also bitte, junger Mann…«Der ältere der beiden Herren, ein Amerikaner um die Siebzig, unverkennbar wohlhabend, ermahnte die anderen mit einer geübten, dämpfenden Bewegung der rechten Hand zum Schweigen. Nichts ausplaudern, hieß das, es könnte unser Schaden sein.»…Sie stellen eine Menge Fragen.«

«Ich werde es Ihnen erklären«, sagte ich.»Trinken Sie einen Kaffee mit mir?«

Sie sahen auf ihre Armbanduhren und meinten zögernd, das ließe sich machen.

«Am Ende des Gangs ist ein Cafe«, sagte ich.»Das habe ich gesehen, als ich hinter dem jungen Mann her war… ich wollte wissen, warum er meinem Freund Terpentin in die Augen geschüttet hat.«

Neugier trat in ihre Gesichter. Sie hatten angebissen.

Die übrigen Zuschauer verliefen sich, und ich bat meine vier Amerikaner, einen Augenblick zu warten, raffte die mitten im Raum verstreuten Malsachen zusammen und räumte sie auf die Seite.

Nirgends stand ein Name drauf. Alles handelsüblicher Malerbedarf. Profiqualität, nicht die billigere Ware für Studenten. Nichts Nagelneues, aber auch nichts Altes. Das Bild war auf einer genormten, gebrauchsfertigen Hartfaserplatte, nicht auf Leinwand skizziert. Ich stellte die leeren Gläser für Terpentin und Leinöl zum übrigen und wischte mir die Hände an einem Lappen ab.

«So«, sagte ich.»Gehen wir?«

Sie waren reich, in Rente und rennsportbegeistert. Mr. und Mrs. Howard K. Petrovitch, New Jersey, und Mr. und Mrs. Wyatt L. Minchless aus Carter, Illinois.

Wyatt Minchless, der die anderen zum Schweigen gebracht hatte, eröffnete die Sitzung bei vier Eiskaffees mit viel Sahne und einem schwarzen ohne Zucker. Der schwarze war für ihn. Schwaches Herz, meinte er leise und klopfte in Höhe der linken Brust auf sein Jackett. Weißhaarig, schwarzes Brillengestell, blasse Stubenhockerhaut und hochtrabendes Gehabe.

«Also, junger Mann, erzählen Sie mal von Anfang an.«

«Hm«, sagte ich. Wo fing das eigentlich an?» Der Jungmaler ist auf meinen Freund Jik losgegangen, weil der ihn als kriminell bezeichnet hat.«»Jaja«, nickte Mrs. Petrovitch.»Hab ich gehört. Gerade, als wir raus wollten. Wie kam er denn dazu?«

«Gute Gemälde zu kopieren ist nicht verboten«, wußte Mrs. Minchless.»Im Louvre in Paris kommt man vor lauter kopierwütigen Studenten nicht an die Mona Lisa ran.«

Sie hatte blaugetöntes, hochtoupiertes Haar, war ganz in knitterfreiem Blau und Grün und trug genügend Diamanten auf sich, um einen Meisterdieb auf den Plan zu rufen. Falten gewohnheitsmäßiger Mißbilligung liefen von ihren Mundwinkeln herab. Magerer Körper. Enge Stirn.

«Es kommt darauf an, wozu man kopiert«, sagte ich.»Wenn man vorhat, die Kopie als Original auszugeben, ist das auf jeden Fall Betrug.«