«Na, hören Sie mal«, nörgelte ich.»Was soll denn das?«Ich trat an das Stahlgitter und schlug dagegen.»Machen Sie mir auf. Ich will raus.«
«Was tun Sie hier?«fragte der Mann vom Büro. Er war größer als Greene und hatte offensichtlich in der Galerie mehr zu sagen. Schweres, dunkles Brillengestell, unfreundliche Augen, weiß gepunktete blaue Fliege und Doppelkinn. Kleiner Mund mit voller Unterlippe. Gelichtetes Haar.
«Ich schaue mich um«, sagte ich mit gespielter Verwunderung.»Wollte mir Bilder ansehen. «Ein harmloser Tourist, dachte ich, nur ein bißchen beschränkt.
«Der ist mir im Arts Centre nachgerannt«, wiederholte der Junge.
«Weil Sie dem Mann was ins Gesicht geschüttet hatten«, sagte ich empört.»Er hätte ja blind werden können.«
«Ein Bekannter von Ihnen?«fragte der Mann vom Büro.
«Nein«, sagte ich.»Ich war nur gerade da. So wie ich gerade hier bin. Weil ich mir gern Bilder ansehe. Das wird man ja noch dürfen, oder? Ich gehe dauernd in Ausstellungen.«
Auch Mr. Greene fand jetzt Worte.»Ich habe ihn in England gesehen«, sagte er zu dem Mann vom Büro. Sein Blick kehrte zu dem Munnings zurück, dann legte er dem Angesprochenen die Hand auf den Arm und zog ihn hinaus auf den Flur, außer Sichtweite.
«Machen Sie mir auf«, sagte ich zu dem Jungen, der immer noch draußen stand.
«Ich weiß nicht, wie das geht«, erwiderte er.»Und ich glaube, damit würde ich mich ziemlich in die Nesseln setzen.«
Die beiden anderen kamen wieder. Alle drei sahen mich an. Mitgefühl für Zoobewohner stieg in mir auf.
«Wer sind Sie?«fragte der Mann vom Büro.
«Wer soll ich schon sein? Ich will hier zum Pferderennen gehen und natürlich zum Kricket.«
«Name?«
«Charles Neil. «Charles Neil Todd.
«Was haben Sie in England gemacht?«
«Da lebe ich doch!«sagte ich.»Hören Sie«, ich tat, als versuchte ich, unter erschwerten Umständen die Übersicht zu behalten.»Den Mann da«, ich nickte zu Greene,»habe ich bei einer entfernten Bekannten in Sussex gesehen. Sie hat mich nach dem Pferderennen mal im Wagen mitgenommen, als ich den Zug nach Worthing verpaßt hatte und per Autostopp gefahren bin. Da meinte sie auf einmal, sie würde gern an ihrem kürzlich abgebrannten Haus vorbeifahren, und dort haben wir dann diesen Mann angetroffen. Er sagte, er heiße Greene und komme von der Versicherung, sonst weiß ich nichts über ihn. Also, was liegt an?«
«Dann hat Sie der Zufall hier so bald wieder zusammengeführt?«
«Das will ich meinen!«stimmte ich inbrünstig zu.»Aber deswegen braucht man mich doch nicht gleich einzusperren.«
Ich las Unentschlossenheit auf ihren Gesichtern. Auf meinem war hoffentlich kein Angstschweiß zu sehen.
Gereizt hob ich die Schultern.»Von mir aus rufen Sie die Polizei, wenn Sie meinen, ich hab was getan.«
Der Mann vom Büro suchte den Schalter an der Außenwand, drückte darauf, und viel langsamer, als es herabgefallen war, glitt das Gitter nach oben.
«Entschuldigung«, sagte er lediglich.»Bei den vielen wertvollen Bildern in unseren Räumen müssen wir vorsichtig sein.«
«Das sehe ich ja ein«, sagte ich und widerstand dem starken Drang davonzurennen.»Aber trotzdem…«Mir gelang ein gekränkter Tonfall.»Nun, es ist ja nichts passiert. «Gekränkt und doch großzügig.
Sie blieben auf dem ganzen Weg nach oben und durch den Ausstellungsraum im Erdgeschoß hinter mir, was meinen Nerven überhaupt nicht guttat. Alle anderen Besucher waren offenbar gegangen. Die Empfangsdame schloß gerade die Vordertür ab.
Mein Hals war so trocken, daß ich nicht mal mehr schlucken konnte.
«Ich dachte, es wären alle weg«, sagte sie überrascht.
«Bin etwas aufgehalten worden«, meinte ich mit einem dünnen Lachen.
Sie zeigte ihr geschäftsmäßiges Lächeln und öffnete wieder die Tür. Trat zurück. Hielt sie mir auf.
Sechs Schritte.
Hinaus ins Freie.
Allmächtiger, wie herrlich frisch die Luft war. Ich drehte mich halb um. Alle vier standen am Eingang und schauten mir nach. Ich zuckte die Achseln, neigte den Kopf und stapfte im Sprühregen davon, schwach wie eine Feldmaus, die der Habicht fallengelassen hat.
Ich stieg in eine Straßenbahn und fuhr tief ins unbekannte Innere der großen Stadt hinein, getrieben nur von dem Wunsch, möglichst weit von diesem Kellergefängnis wegzukommen.
Sie würden sich anders besinnen. Keine Frage. Sie würden sich wünschen, sie hätten mehr über mich in Erfahrung gebracht, bevor sie mich laufen ließen. Sie konnten zwar nicht ausschließen, daß ich zufällig in ihre Galerie gekommen war, denn es gab noch viel erstaunlichere Zufälle, wie etwa den, daß Präsident Lincoln zur Zeit seiner Ermordung einen Sekretär namens Kennedy gehabt hatte und Präsident Kennedy einen Sekretär namens Lincoln; aber je länger sie darüber nachdachten, desto unwahrscheinlicher würde es ihnen vorkommen.
Wo würden sie suchen, wenn sie mich finden wollten? Sicher nicht im Hilton, dachte ich belustigt. Auf der Rennbahn — ich hatte ihnen gesagt, daß ich dorthin wollte. Eigentlich wäre mir lieber gewesen, ich hätte das bleiben lassen.
An der Endstation stieg ich aus und stand direkt vor einem einladenden kleinen Restaurant, an dem groß die Abkürzung B.Y.O. angeschrieben war. Da ich gesunden Hunger verspürte, ging ich hinein, bestellte ein Steak und bat um die Weinkarte.
Die Kellnerin sah mich erstaunt an.»Wir haben B.Y.O.«, sagte sie.
«Und das heißt?«
Ihre Augenbrauen kletterten noch höher.»Sie sind Ausländer? Es steht für Bring Your Own — Getränke bitte mitbringen. Wir bieten nur Speisen an.«
«Ach so.«
«Hundert Meter von hier ist aber eine Drive-in-Getränkehandlung, die noch aufhat. Wenn Sie da was kaufen wollen, warten wir mit Ihrem Steak so lange.«
Ich schüttelte den Kopf und begnügte mich mit einem alkoholfreien Abendessen und einer guten Tasse Kaffee — fast so gut wie das Schild an der Wand:»Wir haben ein
Abkommen mit unserer Bank. Die Bank brät keine Steaks, und wir lösen keine Schecks ein«.
Als ich mit der Straßenbahn zurück ins Zentrum fuhr, kam ich an der Getränkehandlung vorbei, die auf den ersten Blick so sehr nach Tankstelle aussah, daß ich angenommen hätte, die Autos stünden um Benzin an. Mir wurde klar, wieso Jik den Australiern Phantasie bescheinigte: Sie dachten praktisch und bewiesen Humor.
Der Regen hatte aufgehört. Ich stieg aus, um die letzten zwei oder drei Meilen zu Fuß durch helle Straßen und dunkle Parks zu gehen, und fragte nach dem Weg. Dachte an Donald und Maisie, an Greene mit >e<, an Bilder und Einbrüche und Gewalttätigkeit.
Das Grundschema des Ganzen schien von Anfang an recht einfach: In Australien verkaufte Bilder wurden in England mitsamt allem, was nicht niet- und nagelfest war, per Einbruch wieder zurückerbeutet. Da ich innerhalb von drei Wochen auf zwei solche Fälle gestoßen war, war ich sicher, daß es noch mehr gab, denn trotz der gemeinsamen Verbindung zum Pferderennen und zur Malerei war es mehr als unwahrscheinlich, daß ich an die beiden einzigen Fälle geraten sein sollte. Seit ich mit den Petrovitchs und dem Ehepaar Minchless gesprochen hatte, konnte ich kaum noch davon ausgehen, daß die Einbrecher nur in England arbeiteten. Warum nicht auch in Amerika? Oder überall sonst, wo sich der Einsatz lohnte.
Wenn nun eine internationale Diebesbande am Werk war, die Antiquitäten containerweise von Erdteil zu Erdteil verschob, um sie auf dem gefräßigen Markt schnell und teuer loszuwerden? Inspektor Frost hatte ja gesagt, daß Antiquitäten kaum jemals wieder auftauchten. Die Nachfrage war unersättlich und das Angebot naturgemäß begrenzt.
Ich stellte mir vor, ich wäre ein Gauner, dem nichts daran lag, wochenlang in Übersee nach Haushalten zu suchen, die einen Einbruch lohnten. Dann hätte ich die Möglichkeit, daheim in Melbourne zu bleiben und Bilder an reiche Touristen zu verhökern, die sich Spontankäufe für zehntausend Pfund durchaus mal leisten konnten. Ich hätte die Möglichkeit, mit ihnen über ihre Privatsammlung zu plaudern, und könnte sie ganz nebenbei auf ihr Silber, ihr Porzellan und ihre Kunstgegenstände ansprechen.