Wir trafen unsere Wahl, setzten unser Geld, und Sieger Generator zahlte 260 zu 10.
«Anfängerglück«, schnaubte Sarah.
Jik lachte.»Von wegen Anfänger. Der ist aus dem Kindergarten geflogen, weil er Wetten angenommen hat.«
Sie zerrissen ihre Scheine, konzentrierten sich aufs zweite Rennen und legten ihre Wetten an. Ich setzte vier Dollar auf die Eins.
«Wieso?«
«Doppelter Einsatz auf die halbe Elf.«
«O Gott«, meinte Sarah.»Ich fasse es nicht.«
Es begann in Strömen zu regnen, und die weniger Wetterfesten brachten sich in Sicherheit.
«Kommt«, sagte ich,»setzen wir uns da oben ins Trockene.«
«Du und Jik«, antwortete Sarah.»Ich kann nicht.«
«Wieso nicht?«
«Weil die Plätze nur für Männer sind.«
Ich lachte. Sie scherzt, dachte ich, aber wie sich herausstellte, war es kein Scherz. Alles andere. Ungefähr zwei Drittel der besten Plätze auf der Mitgliedertribüne waren Männern vorbehalten.
«Und was ist mit ihren Frauen und Freundinnen?«fragte ich ungläubig.
«Die können aufs Dach gehen.«
Sarah als Australierin fand nichts weiter dabei. Mir — und sicher auch Jik — kam es absurd vor.
«Auf vielen großen Rennbahnen«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen,»haben die führenden Herren des australischen Rennsports verglaste Logen mit Ledersesseln auf der Tribüne und feudale Bars und Restaurants, in denen sie sich fürstlich bewirten lassen, ihre Frauen aber schicken sie zum Essen in die Cafeteria und zum Zuschauen raus auf die Ränge mit den
Plastiksitzen. Sie halten das für ganz normal. Jede Stammesgemeinschaft sieht noch ihre seltsamsten Bräuche als völlig normal an.«
«Ich dachte, an Australien gefällt dir alles.«
Jik seufzte schwer.»Idealzustände gibt es nirgends.«
«Ich werde naß«, sagte Sarah.
Wir fuhren mit der Rolltreppe auf das mit Sitzbänken ausgestattete Dach, wo es feucht und windig war und wo zwei Frauen auf jeden Mann kamen.
«Mach dir nichts draus«, sagte Sarah belustigt, als sie sah, wie mich die Umstände entsetzten.»Ich bin daran gewöhnt.«
«Und ich dachte, Gleichberechtigung wird hier ganz groß geschrieben.«
«Für die eine Hälfte der Bevölkerung«, sagte Jik.
Von unserem Horst aus konnten wir das Rennen wunderbar verfolgen. Sarah und Jik feuerten die Pferde an, die sie getippt hatten, aber Nummer eins gewann mit zwei Längen und zahlte neunzig zu zehn.
«Das darf doch nicht wahr sein«, meinte Sarah, wieder Wettscheine zerreißend.»Wie tippst du im dritten?«
«Das dritte Rennen seht ihr ohne mich. Ich bin mit einem Bekannten von Donald zu einem Drink verabredet.«
Sie lauschte den Worten nach, und ihre Unbekümmertheit verschwand.»Wieder… Nachforschungen?«
«Es muß sein.«
«Ja. «Sie schluckte und gab sich sichtlich einen Ruck.»Viel Glück dann.«
«Du bist großartig.«
Sie machte ein Gesicht, als wunderte es sie, das von mir zu hören, und als argwöhnte sie, es könnte ironisch gemeint sein, aber es schien sie auch zu freuen. Ich nahm das Vexierbild ihres Gesichts gutgelaunt mit nach unten.
Der Rasen vor der Mitgliedertribüne grenzte auf der anderen Seite an den Weg, auf dem die Pferde vom Sattelplatz zum
Führring gebracht wurden. Eine Schmalseite des Rasens grenzte an den Führring selbst, und an der Ecke, wo der Weg in den Führring mündete, sollte ich mich mit Hudson Taylor treffen. Zum Glück für meinen Anzug hatte der Regen aufgehört. Ich wartete an der vereinbarten Stelle und bewunderte das leuchtende Rot der Blumen in dem langen Beet, das den Zaun zwischen Weg und Rasen säumte. Kadmiumrot mit Orange und weißen Glanzlichtern und dazu vielleicht eine Spur Zinnober…
«Charles Todd?«
«Ja — Mr. Taylor?«
«Hudson. Freut mich. «Er gab mir kurz und trocken die Hand. Ende Vierzig, mittelgroß, kräftig, freundliche Augen, deren Schrägstellung ihnen etwas Trauriges gab. Er war einer der wenigen Männer hier, die einen Cut trugen, und er bewegte sich darin, als wäre es Freizeitkleidung.
«Suchen wir uns ein trockenes Plätzchen«, sagte er.»Hier entlang bitte.«
Er führte mich zügig die Tribüne hinauf, durch eine Tür, einen breiten Flur entlang, der über die ganze Vorderseite ging, und an einem uniformierten Wächter sowie einem Schild mit der Aufschrift >Nur für Komiteemitglieder< vorbei in einen großen, quadratischen Raum, der ansprechend als Bar eingerichtet war. Der Weg dahin war ein einziges höfliches Vorbeidrängeln an Scharen vornehm gekleideter Leute gewesen, doch die Bar war vergleichsweise ruhig und leer. Eine Gruppe von zwei Männern und zwei Frauen unterhielt sich im Stehen, die halb gefüllten Gläser vor der Brust, und zwei Damen in Pelzmänteln klagten lautstark über die Kälte.
«Dabei führen sie liebend gern ihre Zobel vor«, lachte Hudson Taylor leise, holte zwei Scotch und bedeutete mir, an einem kleinen Tisch Platz zu nehmen.»Wenn es um diese Zeit warm ist, verdirbt ihnen das den Spaß am Cup.«
«Ist es denn sonst warm?«
«In Melbourne kann sich die Temperatur in einer Stunde um zwanzig Grad ändern. «Es klang, als sei er stolz darauf.»Aber jetzt zu Ihrem Anliegen. «Er langte in die Brusttasche und zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus.»Bitte sehr, extra für Donald. Die Galerie heißt Yarra River Fine Arts.«
Alles andere hätte mich gewundert.
«Und der Mann, mit dem wir verhandelt haben, hieß Ivor Wexford.«
«Wie sah er aus?«fragte ich.
«So genau erinnere ich mich nicht. Das war ja im April.«
Ich überlegte kurz und zog ein kleines, schmales Skizzenbuch hervor.
«Würden Sie ihn erkennen, wenn ich ihn zeichne?«
Er schmunzelte.»Mal sehen.«
Ich skizzierte mit weichem Bleistift rasch Greenes Konterfei, aber ohne den Schnurrbart.
«War er das?«
Hudson Taylor schien unschlüssig. Ich zeichnete den Schnurrbart ein. Er schüttelte entschieden den Kopf.»Nein.«
«Und das hier?«
Ich blätterte um und begann eine neue Zeichnung. Hudson Taylor sah nachdenklich zu, wie ich mich an dem Mann aus dem Büro im Basement versuchte.
«Möglich«, sagte er.
Ich zeichnete die Unterlippe voller und fügte eine dickgerahmte Brille und eine Fliege mit Punkten hinzu.
«Das ist er«, sagte Hudson erstaunt.»Jedenfalls erinnere ich mich an die Fliege. Das sieht man ja heutzutage eher selten. Wie kommen Sie darauf? Sie müssen ihn kennen.«
«Ich habe gestern nachmittag ein paar Galerien besucht.«
«Sie sind ja richtig begabt«, meinte er interessiert, als ich das Skizzenbuch wieder einsteckte.
«Übungssache. «Man konnte lernen, Gesichter als Formen, Proportionen und Flächen zu sehen und sich einzuprägen, wie die Linien verliefen. Hudsons Augen hätte ich jetzt schon aus dem Gedächtnis zeichnen können. Die Fertigkeit dafür hatte ich mir von klein auf angeeignet.
«Ist Zeichnen Ihr Hobby?«fragte Hudson.
«Auch mein Beruf. Ich male vor allem Pferde.«
«Wirklich?«Er blickte zu den Pferdeporträts an der Wand.»So in der Art?«
Ich nickte, und wir unterhielten uns ein wenig darüber, wie man von der Malerei leben konnte.
«Vielleicht habe ich einen Auftrag für Sie, wenn mein Pferd im Cup gut abschneidet. «Er lächelte, und feine Krähenfüße zeigten sich in seinen Augenwinkeln.»Wenn es verliert, wird mir eher danach sein, es zu erschießen.«
Er stand auf und bedeutete mir wieder, ihm zu folgen.»Zeit für das nächste Rennen. Wollen Sie es sich mit mir zusammen ansehen?«
Wir kamen auf der Haupttribüne heraus, von der aus man das große Geviert überblicken konnte, das sowohl als Führring vor dem Rennen wie als Absattelplatz für die Sieger diente. Belustigt sah ich, daß die vordersten Ränge ganz den Männern gehörten. Zwei Paare vor uns teilten sich wie Amöben, die Männer gingen nach links unten, die Frauen nach rechts oben.