«Wie bitte?«
«Wie war ihr Verhältnis zueinander?«
«Sehen Sie das nicht selbst?«
Nach einem kurzen Schweigen antwortete er mit neutraler Stimme:»Bekundung tiefer Trauer ist nicht unbedingt ein Spiegel tief empfundener Liebe.«
«Reden Sie immer so?«
Ein kleines Lächeln flackerte auf und verschwand.»Ich habe aus einem Psychologiebuch zitiert.«
«>Nicht unbedingt< heißt meistens schon«, meinte ich.
Er sah mich groß an.
«Ihr Buch ist Quark«, sagte ich.
«Schuld kann sich in übergroßer Trauer äußern.«
«Gefährlicher Quark«, schob ich nach.»Und soweit ich es beurteilen kann, waren sie noch mitten in den Flitterwochen.«
«Nach drei Jahren?«
«Warum nicht?«
Er zuckte die Achseln und gab keine Antwort. Ich wandte mich von Donalds traurigem Anblick ab und sagte:»Kann man damit rechnen, von den gestohlenen Sachen etwas zurückzubekommen?«
«Wohl kaum. Bei gestohlenen Antiquitäten ist die Beute meist schon auf dem Weg über den Atlantik, bevor der Eigentümer aus dem Urlaub zurückkommt.«
«Diesmal doch nicht«, wandte ich ein.
Er seufzte.»Trotzdem. In den letzten Jahren hat es Hunderte von derartigen Einbruchsdiebstählen gegeben, und von der Beute ist nur wenig wieder aufgetaucht. Der Handel mit Antiquitäten blüht.«
«Diebe vom Fach?«fragte ich skeptisch.
«Nach unserer Information ist in den Gefängnisbibliotheken nichts so sehr gefragt wie Bücher über Antiquitäten. Jeder kleine Eierdieb macht sich kundig, um da einzusteigen, sobald er draußen ist.«
So klang er direkt menschlich.»Möchten Sie einen Kaffee?«fragte ich.
Er sah auf seine Uhr, zog die Brauen hoch und sagte ja. Während ich den Kaffee aufgoß, nahm er wieder auf dem Hocker Platz, ein Mann um die Vierzig mit rotblondem, schütterem Haar, in einem abgetragenen grauen Anzug.
«Sind Sie verheiratet?«fragte er.
«Nein.«
«Verliebt in Mrs. Stuart?«
«Sie probieren aber auch alles, hm?«
«Wenn man nicht fragt, kommt man nicht weiter.«
Ich stellte Milch und Zucker auf den Tisch und bat ihn, sich zu bedienen. Nachdenklich rührte er seinen Kaffee um.
«Wann waren Sie zuletzt hier im Haus?«fragte er.
«Im März. Bevor sie nach Australien gefahren sind.«
«Australien?«
«Sie wollten sich den Jahrgangswein ansehen. Donald spielte mit dem Gedanken, australischen Wein en gros zu importieren. Sie waren mindestens drei Monate drüben. Warum konnten die Einbrecher nicht damals kommen, als beide weit vom Schuß waren?«
Er hörte die Bitterkeit in meiner Stimme.»Das Leben kann gemein sein. «Er führte vorsichtig den Becher an die Lippen, setzte ihn ab und blies auf den heißen Kaffee.»Was hätten Sie und Ihre Freunde heute gemacht? Wenn alles seinen normalen Gang genommen hätte?«
«Wir wären zum Pferderennen gefahren«, sagte ich.»Wie immer, wenn ich zu Besuch bin.«
«Die beiden waren rennsportbegeistert?«Das Imperfekt hörte sich falsch an. Doch so vieles gehörte jetzt der Vergangenheit an. Mir fiel es nur wesentlich schwerer als ihm, mich daran zu gewöhnen.
«Schon… aber ich glaube, sie gehen nur… sind nur meinetwegen mitgegangen.«
Er probierte noch einmal den Kaffee und wagte ein vorsichtiges Schlückchen.»Wie meinen Sie das?«fragte er.
«Mein Hauptsujet«, sagte ich,»sind Pferde.«
Donald kam erschöpft und mit geröteten Augen zur Hintertür herein.
«Die Presseleute schlagen ein Loch in die Hecke«, sagte er dumpf.
Inspektor Frost schnalzte mit der Zunge, stand auf, öffnete die Tür zum Flur und rief laut ins Hausinnere:»Wache? Sorgen Sie dafür, daß die Reporter nicht in den Garten eindringen.«
Eine ferne Stimme erwiderte:»Sir«, und Frost bat Donald um Entschuldigung.»Einfach wegschicken kann man die Leute nicht, verstehen Sie? Die Redakteure sitzen ihnen im Nacken. Wenn so etwas ist, machen sie uns das Leben sauer.«
Schon seit dem Morgen säumten Autos die Straße vor Donalds Haus, und Scharen von Reportern, Fotografen oder einfach Sensationslüsternen stürzten daraus hervor, sobald sich jemand an der Haustür zeigte. Wie ein Rudel hungriger Wölfe lagen sie auf der Lauer, und es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie sich auf Donald selbst stürzen würden. Rücksicht auf seine Gefühle war nicht zu erwarten.
«Die Zeitungen hören den Polizeifunk ab«, meinte Frost düster.»Manchmal ist die Presse schon vor uns am Ort eines Verbrechens.«
Das hatte seine komische Seite, aber für Donald wäre es keineswegs lustig gewesen, wenn es hier passiert wäre. Wobei die Polizei sogar mehr oder weniger davon ausgegangen war, denn der Polizist, der mich am Betreten des Hauses hindern wollte, hatte mich, wie ich inzwischen wußte, für einen besonders schnellen Reporter gehalten.
Donald ließ sich schwer auf einen Hocker fallen und legte müde die Ellenbogen auf den Tisch.
«Charles«, sagte er,»könntest du mir jetzt vielleicht ein wenig Suppe warm machen?«
«Sicher«, sagte ich überrascht. Vorhin hatte er es abgelehnt, etwas zu essen, als würde ihm bei dem bloßen Gedanken schlecht.
Frost hob wie auf ein Signal den Kopf, sein ganzer Körper straffte sich, und mir wurde klar, daß er bis dahin quasi im Leerlauf gefahren war und nur auf einen solchen Moment gewartet hatte. Er wartete auch noch, während ich eine Dose Campbell’s öffnete, den Inhalt mit etwas Wasser in einen Topf schüttete, Brandy hinzufügte und das Ganze umrührte, bis sich die Klümpchen auflösten. Er trank seinen Kaffee und wartete, bis Donald zwei Teller Campbell’s und einen Kanten braunes Brot verdrückt hatte. Dann bat er mich höflich, Leine zu ziehen, und begann, wie Donald mir hinterher sagte,»ernsthaft zu stochern«.
Erst nach drei Stunden, als es schon dunkel wurde, ging der Inspektor. Ich sah es vom Fenster im oberen Treppenflur aus. Er und der diensthabende Kriminalassistent wurden direkt vor der Haustür von einem jungen Mann mit wilder Mähne und Mikrophon abgefangen, und bevor sie sich in ihren Wagen retten konnten, strömte auch schon die gesamte Schar der Wegelagerer in wilder Jagd zum Garten hinein und über den Rasen.
Ich ging durchs Haus, schloß systematisch die Fenster, zog die Vorhänge zu und verriegelte alle Außentüren.
«Was tust du denn?«fragte Donald, blaß und müde, in der Küche.
«Ich ziehe die Zugbrücke hoch.«
«Ach so.«
Trotz der langen Befragung durch den Inspektor wirkte er wesentlich ruhiger und gefaßter, und als ich die Tür von der Küche zum Garten verbarrikadiert hatte, sagte er:»Die Polizei braucht eine Liste der gestohlenen Sachen. Hilfst du mir dabei?«
«Natürlich.«»Da haben wir erst mal zu tun…«
«Klar.«
«Wir hatten zwar ein Inventar, aber das lag in dem Schreibtisch in der Diele. Und den haben sie mitgenommen.«
«Wie kann man so was denn da aufbewahren?«sagte ich.
«Das hat er mich auch gefragt. Inspektor Frost.«
«Und deine Versicherung? Hat die kein Verzeichnis?«
«Nur von den wertvolleren Sachen, das heißt von einem Teil der Gemälde und ihrem Schmuck. «Er seufzte.»Alles andere war unter >Hausrat< zusammengefaßt.«
Wir begannen mit dem Eßzimmer und teilten uns die Arbeit, indem er überlegte, was die leeren Schubladen, die er wieder in das Sideboard schob, einmal enthalten hatten, und ich nach seinem Diktat die Liste schrieb. Von Donalds begüterter Familie hatten sie viel gediegenes Tafelsilber geerbt. Als Freund schöner alter Dinge hatte Donald es gern benutzt, aber mit dem Silber schien auch die Freude an seinem Besitz verlorengegangen zu sein. Statt ihm nachzutrauern, zählte er alles mit unbeteiligter Stimme auf, und als wir mit dem Sideboard fertig waren, klang er nur noch gelangweilt.
Vor dem leeren Regal, das erlesenes Porzellan aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert beherbergt hatte, verging ihm die Lust endgültig.