«Okay.«
«Und kauft mir ein Hemd und eine Hose. Was ich anhatte, ist im Müll.«
«Wird erledigt.«
«Geht aber immer davon aus, daß ihr beobachtet werden könntet.«
«Du meinst, wir sollen ein trauriges Gesicht machen?«fragte Sarah.
Ich grinste.»Ich würde mich geehrt fühlen.«
«Und wenn wir dann in Melbourne sind?«fragte Jik.
Ich biß mir auf die Unterlippe.»Dann gehen wir am besten wieder ins Hilton. Schon weil da noch unsere Sachen sind, vor allem auch mein Paß und mein Geld. Wenn Wexford und Greene nicht wissen, daß wir da schon gewohnt haben, sind wir im Hilton bestens aufgehoben. Und überhaupt, wo sonst wollen wir am Abend vor dem Cup in Melbourne ein Zimmer bekommen?«
«Wenn du im Hilton aus dem Fenster geworfen wirst, kannst du das keinem mehr erzählen«, meinte er vergnügt.
«Die gehen nicht so weit auf«, sagte ich.»Es besteht also keine Gefahr.«
«Tröstlich.«
«Und morgen?«fragte Sarah.»Was wird morgen?«
Zögernd und mit einigen Unterbrechungen erläuterte ich meine Pläne für den Tag des Cups. Als ich damit fertig war, schwiegen sie beide.
«Also«, sagte ich.»Wollt ihr jetzt nach Hause fahren?«
Sarah stand auf.»Wir besprechen das mal«, sagte sie nüchtern.»Dann kommen wir wieder her.«
Auch Jik stand auf, aber an seinem vorgereckten Kinnbart sah ich, wie er sich entscheiden würde. Er hatte schließlich auch die Schlechtwetterrouten auf der Nordsee und im Atlantik für uns ausgesucht. Im Herzen war er weit verwegener als ich.
Um zwei Uhr erschienen sie wieder und schleppten eine schwere Tragetüte, aus der oben eine Flasche Scotch und eine Ananas herausragten.
«Proviant für einen kranken Freund«, sagte Jik und legte mir die Flasche und die Frucht ans Fußende des Bettes.»Wie geht’s dir?«
«Auf dem Zahnfleisch gehe ich.«
«Jeder, wie er kann. Also Sarah sagt, wir machen mit.«
Ich suchte in ihrem Gesicht. Die dunklen Augen blickten mich ruhig an, als fügte sie sich in etwas Unvermeidliches. Ich konnte keine Feindseligkeit, aber auch keine Begeisterung bei ihr entdecken. Sie hatte mit dem Kopf, nicht aus dem Bauch entschieden.
«Gut«, sagte ich.
«Wir haben noch mehr für dich«, meinte Jik, mit Auspacken beschäftigt,»… eine mittel graue Hose, ein hellblaues Baumwollhemd.«
«Wunderbar.«
«Das ziehst du aber erst in Melbourne an. Für die Abreise aus Alice Springs haben wir dir etwas anderes gekauft.«
Ich sah die Belustigung auf ihren Gesichtern und fragte argwöhnisch:»Was?«
Mit wachsendem Vergnügen breiteten sie die Sachen aus, die für meinen unauffälligen Abschied von Alice Springs bestimmt waren.
So kam es, daß ich auf dem kleinen Flughafen in der Zeit zwischen Einchecken und Anbordgehen unmöglich von irgend jemand übersehen werden konnte. Ich trug ausgeblichene, in Wadenhöhe abgeschnittene und zünftig ausgefranste Jeans. Keine Socken. Zehensandalen mit Sisalsohle. Einen halblangen, ponchoähnlichen Überwurf in leuchtendem
Orange, Rot und Magenta, aus dem nur Kopf und Hände hervor schauten. Darunter ein weites, weißes T-Shirt. Auf der Nase eine große Sonnenbrille. Künstliche Sonnenbräune auf jedem Stückchen Haut. Und zur Krönung des Ganzen einen großen Strohhut mit fünf Zentimeter langen Fransen an der Krempe, wie er bevorzugt im Busch getragen wird, um die Fliegen abzuhalten. Fliegen sind die Crux Australiens. Die fliegenverscheuchende Bewegung der rechten Hand ist nicht umsonst als großer australischer Gruß bekannt.
An meinem Touristenhut war ein Hutband mit der gut lesbaren Aufschrift:»Ich habe den Ayers Rock bestiegen.«
In der Trans-Australian-Airline-Tasche, die mir Sarah in der Stadt gekauft hatte, trug ich die dezente Kleidung für danach.
«Niemand wird drauf kommen, daß du ein Fall für die Tragbahre bist, wenn du damit herumläufst«, hatte Jik zufrieden beim Ausbreiten meiner Garderobe gesagt.
«Eher für die Klapsmühle.«
«Nicht weit gefehlt«, meinte Sarah trocken.
Beide warteten schon mit düsterer Miene, als ich zum Flughafen kam. Sie warfen nur einen Blick auf mich und konzentrierten sich sogleich auf den Fußboden, um, wie sie mir nachher erzählten, angesichts solch wandelnder Pracht nicht laut herauszuplatzen.
Ich ging gemessenen Schrittes zum Ansichtskartenstand und blieb dort stehen, denn, um die Wahrheit zu sagen, Sitzen war für mich beschwerlicher. Die Ansichtskarten zeigten vorwiegend und in immer neuen Varianten den riesigen orangefarbenen Steinblock in der Wüste: Ayers Rock bei Tagesanbruch, bei Sonnenuntergang und alle fünf Minuten dazwischen.
Während ich die Karten begutachtete, schaute ich mich gleichzeitig in der Halle um. Ungefähr fünfzig bunt gemischte Reisende. Etliche Flughafenangestellte, ruhig und entspannt. Ein paar Aborigines mit umschatteten Augen und dunklen
Gesichtern, die geduldig auf den Flughafenbus zurück in die Traumzeit warteten. Vollklimatisierte Luft, aber alle hier bewegten sich noch im gemächlichen Rhythmus des Lebens in der Sonne.
Niemand wirkte im geringsten bedrohlich.
Der Flug wurde aufgerufen. Die gemischten Passagiere, einschließlich Jik und Sarah, standen auf, nahmen ihr Handgepäck und strömten hinaus zur Maschine.
Da, und erst da, sah ich ihn.
Der Mann, der über den Balkon gekommen war, um mich runterzuwerfen. Zuerst traute ich meinen Augen nicht, dann war ich mir sicher. Er hatte unter den Reisenden gesessen und in einer Zeitung gelesen, die er jetzt zusammenfaltete. Reglos beobachtete er, wie Jik und Sarah ihre Bordkarten vorzeigten und durch die Tür aufs Rollfeld traten. Sein Blick folgte ihnen bis zum Flugzeug. Als sie die Treppe hinaufgegangen und eingestiegen waren, drehte er sich um und kam geradewegs auf mich zu.
Mein Herz tat einen fürchterlichen Satz. Weglaufen war unmöglich.
Er sah nicht nur so aus. Er war es. Jung, kräftig, zielbewußt, geschmeidig wie eine Katze. Auf dem Weg zu mir.
Heiland, hätte Jik gesagt.
Er würdigte mich keines Blickes. Drei Meter von mir entfernt blieb er an einem Münztelefon stehen und suchte in seiner Tasche nach Kleingeld.
Meine Füße gehorchten mir nicht. Ich glaubte immer noch, er würde mich sehen, stutzen, mich erkennen… und mir auf den Pelz rücken. Ich spürte, wie mir unter dem Verband der Schweiß lief.
«Letzter Aufruf für den Flug nach Adelaide und Melbourne.«
Es muß sein, dachte ich. Um zur Tür zu kommen, mußte ich an ihm vorbei.
Ich riß meine Füße los. Ging. Erwartete bei jedem Schritt, ihn hinter mir rufen zu hören. Oder schlimmer noch, seine schwere Hand auf der Schulter zu spüren.
Ich kam zur Tür, zeigte die Bordkarte vor, ging hinaus aufs Rollfeld.
Konnte der Versuchung, mich noch einmal umzublicken, nicht widerstehen. Durch die Scheibe sah ich, wie er mit ernster Miene telefonierte, ohne auch nur in meine Richtung zu schauen.
Der Weg zur Maschine kostete trotzdem Nerven. Gnade uns Gott, dachte ich, wenn ich beim kleinsten Anlaß schon so weiche Knie bekomme.
Kapitel 11
Ich hatte einen Fensterplatz im hinteren Teil des Flugzeugs und betrachtete im ersten Abschnitt der Reise ebenso fasziniert wie auf dem Hinflug das menschenleere, urzeitliche Land, das sich unter uns erstreckte. Eine Wüste mit viel unterirdischem Wasser, das in großen Seen und zahlreichen Felsentümpeln zutage trat. Eine Wüste, deren sengender Staub jahrelang Samen konservieren konnte, um bei Regen dann wie ein Garten zu erblühen. Ein mörderisch heißes Terrain, unwirtlich, rauh und doch an manchen Stellen schön.
Glau, dachte ich. Sehr eindrucksvoll, aber zum Malen regte es mich nicht an.
Nach einiger Zeit nahm ich den abenteuerlichen Hut ab, legte ihn auf den leeren Platz neben mir und versuchte, es mir so bequem zu machen, wie es eben ging, denn wenn ich mich normal zurücklehnte, protestierte mein gebrochenes Schulterblatt. Dabei wäre ich von selbst gar nicht darauf gekommen, daß man sich das brechen konnte. Aber immerhin war ich aus ziemlicher Höhe auf extrem harten Boden gekracht.