England.
Etwa in der Mitte. Die Zeile sprang mir ins Auge.
Mrs. M. Matthews, Treasure Holme, Worthing, Sussex.
Durchgestrichen.
Ich zitterte förmlich. Das Datum links bezeichnete vermutlich den Tag, an dem Maisie ihr Bild gekauft hatte. Die nicht durchgestrichene Kennziffer rechts lautete SMK29R.
Ich legte den Hefter hin und dachte fünf Minuten nach, ohne die Wand zu sehen, die ich dabei anschaute.
Alles in allem kam ich zu dem Schluß, daß ich noch viel zu tun hatte, bevor Jik und Sarah von der Rennbahn zurückkehrten, und daß der Instinkt nicht immer recht haben muß.
Die große Grafikmappe, die Jik in solche Aufregung versetzt hatte, lag auf meinem Bett. Ich klappte sie auf und prüfte den Inhalt.
Oder anders gesagt, ich stand wie ein Idiot mit offenem Mund davor. Die Mappe enthielt eine Reihe schematischer Strichzeichnungen von der Art, wie der Jungmaler im Arts Centre sie koloriert hatte. Vollständige Konturenzeichnungen auf weißer Leinwand, sauber und exakt wie durchgepaust.
Es waren insgesamt sieben, alles Pferdemotive. Da es sich nur um Schwarzweißskizzen handelte, war ich mir nicht sicher, aber drei sahen nach Munnings aus, zwei nach Raoul Millais, und die beiden anderen… ich betrachtete die altmodischen Pferdedarstellungen. Stubbs konnte es nicht sein, er war zu bekannt… Aber vielleicht Herring? Ich nickte bei mir. Sie sahen nach Herring aus.
An eine dieser beiden Leinwände war mit einer Büroklammer eine kleine handgeschriebene Notiz geheftet.
«Schicken Sie mir bitte das Original. Und stellen Sie fest, welche Palette er benutzt hat, falls sie vom üblichen abweicht.«
Ich schaute mir noch einmal die drei gleichen, fertigen Gemälde an, die wir ebenfalls mitgenommen hatten. Diese auf Keilrahmen gespannten Ölbilder sahen ganz so aus, als könnten auch sie aus solchen Konturzeichnungen hervorgegangen sein. Struktur und Verarbeitung des Malleinens stimmten überein.
Handwerklich waren die Bilder einwandfrei. Sie sahen wirklich wie von Munnings gemalt aus und würden noch authentischer wirken, wenn sie trocken und gefirnißt waren. Farben trocknen unterschiedlich schnell, und wie lange es dauert, hängt außerdem davon ab, mit wieviel Öl oder Terpentin sie verdünnt sind, aber diese drei Bilder waren, über den Daumen gepeilt, alle vor drei bis sechs Tagen entstanden. Die Farbe war bei allen gleich trocken. Sie mußten alle gleichzeitig gemalt worden sein, wie am Fließband. Rote Kappe, rote Kappe, rote Kappe… das sparte natürlich Zeit und Farbe.
Die Strichführung war sorgfältig bis ins kleinste Detail. Kein Gehudel. Keine Schlamperei. Es war die gleiche Sorgfalt wie bei der Millais-Kopie in Alice Springs.
Ich wußte, daß ich hier die wahren Qualitäten von Harley Renbo vor Augen hatte.
An den drei Gemälden war nichts ungesetzlich. Kopieren darf man; nur wer die Kopie als Original anbietet, macht sich strafbar.
Ich dachte noch einmal alles durch und ging dann rasch an die Arbeit.
Als ich eine Stunde später nach unten kam, war das Personal des Hilton sehr liebenswürdig und hilfsbereit.
Selbstverständlich würden sie meiner Bitte nachkommen. Selbstverständlich durfte ich das Kopiergerät benutzen, bitte hier entlang. Selbstverständlich konnte ich meine Rechnung jetzt bezahlen und später abreisen.
Ich bedankte mich für ihren rundum hervorragenden Service.
«Es war uns ein Vergnügen«, sagten sie — und sie meinten es tatsächlich so.
Wieder auf meinem Zimmer, packte ich für die Abreise. Dann zog ich Jacke und Hemd aus und bastelte mir mit Hilfe der Reservebinden wieder einen Stützverband nach dem Muster von Alice Springs, so daß die Hand fest auf der Brust lag. Das war schon wesentlich angenehmer als den Arm an dem lädierten Schultergelenk einfach baumeln zu lassen. Ich zog mein Hemd über den Verband an und überlegte, daß Jik je nach Verkehr vielleicht gerade erst von der Rennbahn wegkam.
Ich konnte nur warten.
Ich wartete genau fünf Minuten. Dann klingelte das Telefon neben dem Bett, und ich nahm den Hörer ab.
Jiks Stimme, scharf und gebieterisch.
«Charles, komm bitte sofort runter in unser Zimmer.«
«Tja…«, sagte ich zögernd.»Ist es wichtig?«
«Verdammt und Chromoxid!«explodierte er.»Geht’s denn nicht mal ohne lange Diskussion?«
Himmel, dachte ich. Ich holte tief Luft.»Gib mir zehn Minuten«, sagte ich.»Die brauche ich. Ehm… ich komme gerade aus der Dusche. Ich bin noch nicht angezogen.«
«Danke, Charles«, sagte er. Dann klickte es, und er war aus der Leitung.
Eine Menge von Jiks tollen Flüchen jagten mir durch den Kopf, dabei kam es auf jede Sekunde an. Wenn wir jemals göttlichen Beistand gebraucht hatten, dann jetzt.
Ich sperrte mich gegen die Angst, die mir auf dem Magen lag, griff zum Telefon und ließ mich mit mehreren Stellen im Haus verbinden.
«Kann bitte ganz schnell jemand auf Zimmer siebzehnachtzehn das Gepäck von Mr. Cassavetes abholen?«
«Zimmerservice…? Bitte schicken Sie dringend jemand zum Saubermachen auf Zimmer siebzehn-achtzehn, Mr. Cassavetes hat sich übergeben…«
«Kann bitte die Krankenschwester sofort nach siebzehnachtzehn kommen, Mr. Cassavetes hat starke Schmerzen…«
«Wir hätten gern sofort vier Flaschen von Ihrem besten Champagner und zehn Gläser für siebzehn-achtzehn…«
«Dreimal Kaffee für siebzehn-achtzehn bitte, und bitte gleich…«
«Wartung? Wir haben einen Stromausfall auf siebzehnachtzehn, kann bitte gleich jemand kommen?«
«… das Bad ist überschwemmt, bitte schicken Sie sofort den Klempner.«
Was gab es noch? Ich überflog die Liste der angebotenen Dienstleistungen. Pediküre, Masseurin, Sekretärin, Friseur und Bügelfrau waren sicher nicht auf die Schnelle zu bekommen… aber die Fernsehreparatur, warum nicht?
«…Würden Sie bitte den Fernseher in siebzehn-achtzehn nachschauen? Aus dem Gerät kommt Rauch, und es riecht verbrannt… «
Das mußte eigentlich genügen. Als letztes bestellte ich noch jemand, der mein Gepäck abholte. Hausdiener kommt sofort, hieß es. Zehn Dollar Trinkgeld, sagte ich, wenn die Koffer in fünf Minuten in der Halle sind. Kein Problem, versicherte mir eine zufriedene australische Stimme. Schon unterwegs.
Ich ließ meine Tür für den Hausdiener offen und fuhr mit dem Lift zwei Stockwerke hinunter in die siebzehnte Etage. Der Gang vor Jiks und Sarahs Zimmer war breit und leer, und niemand beeilte sich, daran etwas zu ändern.
Die zehn Minuten waren um.
Ich machte mir Sorgen.
Als erster erschien der Kellner mit dem Champagner, und er brachte ihn nicht auf einem Tablett, sondern auf einem Servierwagen mit Eiskühlern und blütenweißen Tüchern. Es hätte gar nicht besser sein können.
Als er vor Jiks Tür anhielt, bogen zwei andere Gestalten in den Gang ein, und weiter hinten sah ich ein Zimmermädchen, das langsam einen Wagen mit Bettwäsche, Eimern und Schrubbern vor sich herschob.
«Danke, daß Sie so schnell gekommen sind«, sagte ich zu dem Kellner und überraschte ihn damit, daß ich ihm zehn Dollar gab.»Bitte servieren Sie gleich.«
Er lächelte breit und klopfte bei Jik an.
Nach ein paar Sekunden öffnete Jik. Er sah nervös und angespannt aus.
«Ihr Champagner, Sir«, sagte der Kellner.
«Hab ich doch gar nicht — «, setzte Jik an. Dann erblickte er mich ein Stück von der Tür entfernt. Ich machte mit der Hand scheuchende Bewegungen in Richtung Zimmer, und ein schwaches Lächeln trat auf das besorgte Gesicht.
Jik ließ Servierwagen und Kellner ins Zimmer.
Schon kamen im Eilschritt der Elektriker, der Klempner und der Fernsehmann. Allen gab ich zehn Dollar und bedankte mich für ihr promptes Erscheinen.»Ich habe beim Pferderennen gewonnen«, sagte ich. Auch sie steckten grinsend mein Geld ein, und Jik öffnete auf ihr Klopfen.