«Was soll’s?«meinte er traurig und wandte sich ab.»Das ist mir einfach zu mühsam…«
«Sollen wir uns an die Gemälde machen?«
Er blickte geistesabwesend auf die kahlen Wände. Die Anordnung der fehlenden Bilder war an den hellen Rechtecken in dem zarten Olivgrün klar zu erkennen. Hier hatten vorwiegend neuere Briten gehangen: ein Hockney, ein Bratby, zwei Lowrys und ein Spear etwa, alles Werke aus zurückhaltenderen Phasen der Künstler. Donald hielt nichts von Bildern, die» hier! schreien und wichtig tun«.
«Du hast sie wahrscheinlich besser im Kopf als ich«, sagte er.»Übernimm du das.«
«Ich bekäme nicht alle zusammen.«
«Ist was zu trinken da?«
«Nur der Brandy zum Kochen«, sagte ich.
«Wir können ja einen Wein aufmachen.«
«Welchen Wein?«
«Aus dem Keller. «Plötzlich riß er die Augen auf.»Herrgott, den Keller habe ich ganz vergessen.«
«Ich wußte gar nicht, daß du einen hast.«
Er nickte.»Deswegen habe ich das Haus gekauft. Ideale Temperatur und Luftfeuchtigkeit für die Langzeitlagerung. Da unten liegt ein kleines Vermögen an Bordeaux-Rotwein und Port.«
Fehlanzeige. Wir fanden drei Reihen leergeräumter Regale und auf einem Holztisch einen einzelnen Karton.
Donald zuckte nur die Achseln.»Tja… das war’s dann.«
Ich klappte den Karton auf und sah die schlanken Hälse verkorkter Weinflaschen.
«Die haben sie in der Eile wenigstens dagelassen«, sagte ich.
«Vielleicht auch bewußt. «Donald lächelte schief.»Das ist australischer Wein. Den haben wir von der Reise mitgebracht.«
«Besser als nichts«, meinte ich geringschätzig und zog eine Flasche heraus, um das Etikett zu lesen.
«Besser als viele andere, glaub mir. Es gibt ausgezeichneten australischen Wein.«
Ich brachte den ganzen Karton in die Küche hinauf und stellte ihn auf den Tisch. Die Treppe führte vom Keller in den Wirtschaftsraum, wo die Waschmaschine und andere Haushaltsgeräte standen, und ich hatte hinter der Kellertür eigentlich immer einen Wandschrank vermutet. Nachdenklich betrachtete ich das unauffällige, weißgestrichene Rechteck, das sich nahtlos ins Gesamtbild einfügte.
«Glaubst du, die Einbrecher haben von dem Wein gewußt?«fragte ich.
«Weiß der Himmel.«
«Ich hätte ihn nie gefunden.«
«Du bist aber auch kein Einbrecher.«
Er holte einen Korkenzieher, öffnete eine Flasche und goß die dunkelrote Flüssigkeit in zwei Trinkgläser. Selbst für meinen ungeschulten Gaumen war es ein fabelhafter Wein. Wynns Coonawarra Cabernet Sauvignon. Schon der Name zerging auf der Zunge. Donald kippte den guten Tropfen herunter, als wäre es Wasser, und ein paarmal stieß ihm das Glas gegen die Zähne. Seine Bewegungen waren unsicher, als hätte er plötzlich die einfachsten Dinge verlernt — offensichtlich kreisten seine Gedanken immer wieder um Regina, und das lähmte ihn regelrecht.
Der alte Donald war ein selbstbewußter Mensch gewesen, der mit Kompetenz ein mittelgroßes, ererbtes Geschäft weitergeführt und ausgebaut hatte. Bernsteinfarbene Augen, die oft lächelten, belebten ein grob geschnittenes, hartes Gesicht, und für eine gute Frisur war ihm sein Geld nie zu schade gewesen.
Der neue Donald war ein zuinnerst erschütterter Zauderer, ein Mann, der nichts verkehrt machen wollte, der aber beim Treppensteigen über die eigenen Füße stolperte.
Wir verbrachten den Abend in der Küche, unterhielten uns über alles und nichts, improvisierten etwas zu essen und räumten die Vorräte wieder in die Regale. Donald hielt fleißig mit, stellte aber jede zweite Dose verkehrt herum hin.
Dreimal klingelte es zwischendurch an der Haustür, aber nicht in dem Code, den wir mit der Polizei vereinbart hatten. Das Telefon war still, der Hörer lag neben dem Apparat. Donald hatte die gutgemeinten Angebote mehrerer Freunde im Ort ausgeschlagen und zitterte sichtlich bei dem Gedanken, irgend jemanden außer Frost und mir um sich zu haben.
«Warum gehen die nicht weg?«sagte er verzweifelt nach dem dritten Klingeln an der Haustür.
«Das werden sie erst, wenn sie dich gesehen haben«, sagte ich und dachte: Wenn sie dich ausgelutscht und die Schale ausgespuckt haben.
Er schüttelte den Kopf.»Ich kann einfach nicht.«
Es war, als ständen wir unter Belagerung.
Schließlich gingen wir zu Bett, obwohl es aussah, als würde Donald wie in der Nacht zuvor wieder kaum ein Auge zutun. Das Schlafmittel, das ihm der Polizeiarzt dagelassen hatte, rührte er nicht an. Auch an diesem Abend war mein Zureden vergebens.
«Nein, Charles. Ich hätte das Gefühl, daß ich sie verrate. Sie w-wegdränge. Nur an mich selbst denke und nicht daran… w-wie schrecklich sie gestorben ist… wie allein… ohne jemand, der sie… liebhat.«
Er wollte ihr seinen Kummer gewissermaßen als Trost anbieten. Ich schüttelte zwar den Kopf darüber, ließ ihn aber in Ruhe.
«Macht es dir was aus«, fragte er zögernd,»wenn ich heute nacht allein schlafe?«
«Überhaupt nicht.«
«Wir können dich ja in einem anderen Zimmer einquartieren.«
«Klar.«
Er öffnete einen Wäscheschrank im oberen Flur und deutete unentschlossen auf den Inhalt.»Kommst du zurecht?«
«Natürlich«, sagte ich.
Er drehte sich um und erstarrte förmlich angesichts einer bestimmten Stelle an der Wand.
«Sie haben den Munnings mitgenommen«, sagte er.
«Welchen Munnings?«»Den haben wir in Australien gekauft. Erst vor acht Tagen habe ich ihn… dahin gehängt. Ich wollte ihn dir zeigen. Das war mit ein Grund, warum ich dich eingeladen habe.«
«Das tut mir leid«, meinte ich. Unzulängliche Worte.
«Alles«, sagte er hilflos.»Alles ist weg.«
Kapitel 2
Frost, der Unermüdliche mit den wachen Augen, der sich alle Wege offenhielt, erschien am Sonntagmorgen wieder. Ich öffnete ihm auf sein Klingelzeichen, und er kam mit mir in die Küche, wo Donald und ich uns die ganze Zeit aufhielten. Er setzte sich auf den Hocker, den ich ihm anbot, und drückte vorsorglich das Kreuz durch.
«Zwei Informationen, Sir, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte«, sagte er in seinem förmlichsten Ton zu Donald.»Erstens, trotz der gewissenhaften Spurensicherung gestern und vorgestern abend hier im Haus haben wir keine fremden Fingerabdrücke finden können.«
«Hätten Sie die erwartet?«fragte ich.
Er warf mir einen Blick zu.»Nein, Sir. Professionelle Einbrecher tragen stets Handschuhe.«
Donald wartete mit bleichem Gesicht und Duldermiene, als wäre alles, was Frost zu sagen hatte, belanglos. Ich wußte nicht, ob für ihn überhaupt noch etwas von Bedeutung war.
«Zweitens«, sagte Frost,»haben unsere Ermittlungen in der Nachbarschaft ergeben, daß am frühen Freitagnachmittag ein Möbelwagen vor Ihrer Haustür geparkt hat.«
Donald sah ihn verständnislos an.
«Dunkel und staubig, Sir.«
«Hm«, machte Donald nur.
Frost seufzte.»Was wissen Sie über eine Bronzefigur, die ein Pferd darstellt, Sir? Ein steigendes Pferd?«
«Die steht in der Diele«, sagte Donald automatisch, und dann, mit einem leichten Stirnrunzeln:»Da stand sie, meine ich. Sie ist weg.«
«Woher wissen Sie davon?«fragte ich Frost neugierig und erriet die Antwort, bevor ich zu Ende gesprochen hatte.»O nein…«Ich unterbrach mich und schluckte.»Ich meine, ist sie vielleicht aus dem Möbelwagen gefallen?«
«Nein, Sir. «Sein Blick war ruhig.»Wir haben sie im Wohnzimmer gefunden, bei Mrs. Stuart.«
Donald wußte ebensogut Bescheid wie ich. Er stand unvermittelt auf, trat ans Fenster und schaute eine Zeitlang auf den verlassenen Garten.
«Die Figur ist schwer«, sagte er schließlich.»Besonders der Sockel.«
«Ja, Sir.«
«Es muß… schnell gegangen sein.«