Sorge stand auf seinem runden, gemütlichen Gesicht.»Und warum haben Sie sich die Mühe gemacht, hierherzukommen und mir das alles zu erzählen?«
«Um dieser Bande das Handwerk zu legen, würde ich noch viel mehr tun.«
Da er noch einmal fragte, warum, sagte ich es ihm.»Mein Cousin hat ein Bild gekauft. Dann wurde bei ihm eingebrochen. Seine Frau hat die Einbrecher gestört und wurde umgebracht.«
Norman Updike sah mir aufmerksam ins Gesicht. Ich hätte meinen ungebrochenen Zorn nicht vor ihm verbergen können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Ihn schauderte.
«Bin ich froh, daß Sie hinter mir nicht her sind«, sagte er.
Ich brachte ein Lächeln zustande.»Mr. Updike… seien Sie vorsichtig. Eines Tages kommt dann vielleicht die Polizei zu Ihnen und fragt, wo Sie das Bild gekauft haben… Wenn es nach mir geht, kommt sie bestimmt.«
Das runde Gesicht lächelte wieder, ruhig und gefaßt.»Ich werde sie erwarten«, sagte er.
Kapitel 14
Jik brachte uns von Auckland nach Wellington; acht Stunden mit dem Wagen.
Wir übernachteten in einem Motel in Hamilton, südlich von Auckland, und fuhren am Morgen weiter. Niemand folgte, belästigte oder bespitzelte uns. Alles in allem war ich mir sicher, daß man uns in Auckland nicht abgepaßt hatte und daß niemand von unserem Besuch bei den Updikes wußte.
Wexford konnte sich allerdings denken, daß das Kundenverzeichnis Übersee in meinen Händen war, und er wußte, daß es mehrere neuseeländische Adressen enthielt. Welcher davon ich einen Besuch abstatten würde, konnte er nicht ahnen, doch er würde sicher davon ausgehen, daß mich die Adressen mit dem Kennbuchstaben W direkt zu der Galerie in Wellington führten.
Also würde er dort auf mich warten…
«Du siehst furchtbar grimmig aus, Todd«, meinte Sarah.
«Entschuldigung.«
«Woran hast du gedacht?«
«Nur an die nächste Möglichkeit zum Mittagessen.«
Sie lachte.»Wir haben doch gerade erst gefrühstückt.«
Wir passierten die Abzweigung nach Rotorua und dem Land der heißen Quellen.»Siedeschlammpackung gefällig«? fragte Jik. Und Sarah sagte, daß es in der Gegend ein mit unterirdischem Dampf gespeistes Kraftwerk gab und gräßliche schwarze Krater, die nach Schwefel stanken, und daß die Erdkruste stellenweise so dünn war, daß sie bebte und hohl klang. Als Kind sei sie einmal an einem Ort namens Waiotapu gewesen, der ihr schreckliche Alpträume beschert habe, und da wolle sie nicht noch mal hin.
«Pah«, meinte Jik wegwerfend,»die haben doch nur alle vierzehn Tage mal ein Erdbeben.«
«Mir hat jemand erzählt, in Wellington bebt die Erde so oft, daß alle neuen Bürobauten in Wiegen gebettet werden«, sagte Sarah.
«Schlaf, Wolkenkratzer, schlaf ein«, sang Jik mit
Säuselstimme.
Die Sonne schien unverzagt, und die Landschaft war grün und voller unbekannter Pflanzen. Gleißende Helligkeit wechselte mit geheimnisvollen, tiefen Schatten; es gab Felsen, Schluchten und himmelhohe Bäume, schwerelos wogendes Gras, schulterhoch. Ein fremdes Land, wild und wunderschön.
«Schaut euch dieses Chiaroscuro an«, sagte Jik, als wir in ein besonders reizvoll sich windendes Tal eintauchten.
«Chiaroscuro?«fragte Sarah.
«Licht und Schatten«, sagte Jik.»Kontrast und
Gleichgewicht. Der Fachausdruck dafür. Die ganze Welt ist ein Chiaroscuro, und die Menschen sind nur Tupfer aus Licht und Schatten.«
«Das ganze Leben ein Helldunkel«, sagte ich.
«Wie unsere Seelen.«
«Der Feind«, sagte ich,»ist grau.«
«Und Grau entsteht, wenn man Rot, Weiß und Blau
zusammenmixt«, ergänzte Jik und nickte.
«Graues Leben, grauer Tod, alles vermengt zu einem
einheitlichen grauen Nichts.«
«Ihr beiden«, seufzte Sarah,»seid also alles andere als grau?«
«Grey!«rief ich plötzlich.»Aber klar doch.«
«Wovon redest du?«fragte Jik.
«Grey hieß der Mieter der Vorstadtgalerie in Sydney, und Grey heißt der Mann, der Updike seinen sogenannten Herring verkauft hat.«
«Ach herrje. «Sarahs Seufzer legte sich auf die Stimmung und trübte den strahlenden Tag.
«Es tut mir leid«, sagte ich.
Es waren so viele, dachte ich bei mir. Wexford und Greene. Der Junge. Die Frau. Harley Renbo. Zwei Schläger in Alice Springs, wovon ich nur einen gesehen hatte. Der andere, der von hinten gekommen war, konnte der Schrank sein. Wenn nicht, kam der Schrank dazu.
Und jetzt Grey. Und noch jemand, irgendwo.
Mindestens neun. Vielleicht zehn. Wie sollte ich die alle zur Strecke bringen, ohne daß mir dabei die Luft abgedrückt wurde? Oder, schlimmer noch, nicht mir, sondern Jik und Sarah. Sobald ich einen Finger rührte, wuchs der Schlange ein neuer Kopf.
Ich fragte mich, wer die Einbrüche ausführte. Schickten sie eine Handvoll Leute nach Übersee, oder spannten sie sozusagen Fremdarbeiter ein?
Hatte im ersten Fall einer ihrer eigenen Leute Regina umgebracht?
War mir Reginas Mörder schon über den Weg gelaufen? Hatte er mich in Alice Springs vom Balkon geworfen?
Statt eine Antwort zu finden, fügte ich noch eine Frage hinzu…
Wartete er auf mich in Wellington?
Wir kamen am Nachmittag in der Hauptstadt an und stiegen wegen des herrlichen Blicks über den Hafen im Townhouse Hotel ab. Die Küstenlandschaft war so schön, daß sich Neuseeland einfach nicht erlauben durfte, häßliche Städte zu bauen. Für mich war das platte, versumpfte alte London zwar immer noch die großartigste aller großen Städte, aber das stand auf einem anderen Blatt. Wellington, neu und gepflegt, hatte Leben und Atmosphäre im Überfluß.
Ich schlug die Ruapehu Fine Arts im Telefonbuch nach und fragte an der Rezeption des Hotels nach dem Weg. Sie hatten zwar von der Galerie noch nie gehört, meinten aber, die Straße könne nur auf der anderen Seite der Altstadt sein — hinter Thorndon.
Sie verkauften mir eine Straßenkarte zur besseren Orientierung und erzählten, Mount Ruapehu sei ein (mutmaßlich) erloschener Vulkan mit einem warmen Kratersee. Auf dem Weg von Auckland müßten wir an ihm vorbeigekommen sein.
Ich bedankte mich und nahm die Karte mit hinauf zu Jik und Sarah.
«Wir können zu der Galerie fahren«, sagte Jik.»Aber was machen wir, wenn wir dort sind?«
«Durchs Fenster Fratzen schneiden?«
«Zuzutrauen wäre euch das«, meinte Sarah.
«Schauen wir’s uns einfach mal an«, schlug ich vor.»Die sehen uns ja nicht, wenn wir im Auto vorbeifahren.«
«Und schließlich«, sagte Jik unüberlegt,»sollen sie ja wissen, daß wir hier sind.«
«Wieso das denn?«fragte Sarah verblüfft.
«Ach Gott«, sagte Jik.
«Wieso?«hakte sie mit wiederaufsteigender Angst nach.
«Frag Todd, es war seine Idee.«
«Alter Scheißkerl«, sagte ich.
«Wieso, Todd?«
«Weil sie ihre ganze Energie darauf verwenden sollen, hier nach uns zu suchen, statt in Melbourne sämtliche Beweise verschwinden zu lassen. Wir wollen sie ja schließlich der Polizei überantworten, denn selbst verhaften können wir sie schlecht. Tja… und genauso schlecht wäre es, wenn die Polizei eingreift und keinen mehr zu fassen kriegt.«
Sie nickte.»So habe ich das auch verstanden, als du sagtest, der Laden soll intakt sein. Aber davon, daß du sie bewußt auf unsere Fährte locken willst, war nicht die Rede.«
«Todd hat doch die Kundenliste und die Bilder, die wir ihnen gestohlen haben«, sagte Jik,»und die werden sie natürlich zurückhaben wollen. Todd möchte, daß sie sich ganz darauf konzentrieren, denn wenn sie meinen, die kriegen sie wieder und können uns das Maul stopfen…«
«Jik«, unterbrach ich.»Mach einen Punkt.«
Sarah blickte von mir zu ihm und wieder zurück. Ihre Angst wich einer Art ruhiger Resignation.