«Wenn sie glauben, sie können sich ihre Sachen zurückholen und uns zum Schweigen bringen, werden sie alles daransetzen, uns zu finden und uns aus dem Weg zu räumen. Darin wollt ihr sie bestärken. Sehe ich das richtig?«
«Nein«, sagte ich.»Das heißt, eigentlich schon.«
«Suchen werden sie uns sowieso«, warf Jik ein.
«Also stellen wir uns hin und rufen: >Huhu, hier sind wir<?«
«Hm«, sagte ich,»es kann sein, daß sie das schon wissen.«
«Meine Nerven«, stöhnte sie.»Also gut. Ich verstehe, was du vorhast, und ich verstehe, warum du es mir verschwiegen hast. Und ich finde, du bist ein Mistkerl. Wobei ich zugeben muß, daß du bis jetzt viel mehr erreicht hast, als ich gedacht hätte, und da wir immerhin noch alle am Leben sind und halbwegs gesund, können wir ihnen meinetwegen auch stecken, daß wir hier sind. Unter der Bedingung, daß wir dann in Deckung gehen, bis die Polizei in Melbourne zugeschlagen hat.«
Ich küßte sie auf die Wange.»Abgemacht«, sagte ich.
«Und wie stecken wir es ihnen?«
Ich grinste sie an.»Fernmündlich.«
Schließlich übernahm Sarah den Anruf sogar selbst, aus der Erwägung, daß ihr australisches Englisch weniger auffallen würde als das britische von Jik oder mir.
«Ist dort die Ruapehu Fine Arts Gallery? Ah ja? Vielleicht können Sie mir weiterhelfen…«, sagte sie.»Ich würde gern mit dem Chef sprechen. Ja, sicher, aber es ist wichtig. Gut, ich warte. «Sie verdrehte die Augen und hielt die Sprechmuschel zu.»Anscheinend eine Sekretärin. Aus Neuseeland jedenfalls.«
«Du machst das blendend«, sagte ich.
«Ja… hallo? Genau. Mit wem spreche ich denn bitte?«Sie riß die Augen auf. »Wexford? Ehm… also Mr. Wexford, bei mir waren gerade drei merkwürdige Gestalten, die sich ein Bild ansehen wollten, das ich vor einiger Zeit bei Ihnen gekauft habe. Komische Leute. Angeblich haben Sie die an mich verwiesen. Das kam mir spanisch vor. Ich habe sie nicht reingelassen, wollte mich aber vorsichtshalber noch bei Ihnen erkundigen. Haben Sie die zu mir geschickt, damit sie sich mein Bild ansehen?«
Aus dem Hörer kam ein erregtes Gequake.
«Beschreiben? Ein blonder junger Mann mit Bart, ein junger Mann mit einem verletzten Arm und eine ziemlich verlotterte junge Frau. Ich habe sie weggeschickt. Sie gefielen mir nicht.«
Sie verzog das Gesicht und lauschte wieder dem Gequake.
«Nein, natürlich habe ich ihnen keine Auskunft gegeben. Weil die mir doch nicht gefallen haben. Wo ich wohne? Na, hier in Wellington. Recht vielen Dank, Mr. Wexford, es hat mich sehr gefreut.«
Sie legte auf, während es noch aus dem Hörer quakte.
«Er wollte meinen Namen wissen«, sagte sie.
«Große Klasse«, meinte Jik.»Eine echte Schauspielerin, meine Frau.«
Wexford. Wexford selbst.
Es hatte geklappt.
Ich stieß im stillen einen Jauchzer aus.
«Sollen wir denn weiterfahren, nachdem sie jetzt wissen, daß wir hier sind?«fragte ich.
«Bloß nicht«, rief Sarah spontan. Sie sah zum Fenster hinaus auf den geschäftigen Hafen.»Es ist herrlich hier, und wir sind schon den ganzen Tag gefahren.«
Ich widersprach nicht. Vielleicht war mehr als ein Telefonanruf nötig, um das Interesse der Gegenseite an Wellington wachzuhalten, und nur Sarah zuliebe wäre ich bereit gewesen, die Zelte hier abzubrechen.
«Wenn sie die Hotels einfach anrufen, finden sie uns ja nicht«, hob Jik hervor.»Auch im Townhouse nicht, denn sie fragen nach Cassavetes und Todd, nicht nach Andrews und Peel.«
«Sind wir Andrews und Peel?«fragte Sarah.
«Wir sind Andrews. Todd ist Peel.«
«Schön zu wissen«, sagte sie.
Mr. und Mrs. Andrews und Mr. Peel nahmen ohne Zwischenfall ihr Abendessen im Hotelrestaurant ein. Mr. Peel hatte aus der Erwägung, daß eine Armschlinge ein bißchen zu sehr auffiel, darauf verzichtet. Mr. Andrews hatte sich geweigert, aus der gleichen Erwägung seinen Bart abzunehmen.
Zu gegebener Zeit sagten wir uns gute Nacht und gingen auf unsere Zimmer. Ich verbrachte ein Stündchen damit, die Pflaster aus Alice Springs von meinem Bein zu entfernen und die Näharbeit zu bewundern. Der Baum hatte Wunden gerissen, die mit den wohlberechneten Schnitten eines Skalpells wenig gemein hatten, und als ich nun die langen, gewundenen Gleise auf ihrem Damm aus roter, schwarzer und gelber Haut inspizierte, kam ich zu dem Schluß, daß die Ärzte hervorragend gearbeitet hatten. Der Sturz lag vier Tage zurück, und es waren nicht gerade vier ruhig verbrachte Tage, aber die Nähte hatten alles überstanden. Jetzt erst wurde mir bewußt, daß ich von meinem anfangs einfach gräßlichen Zustand so weit genesen war, daß ich kaum noch Beschwerden empfand. Schon erstaunlich, wie schnell der Körper sich erholt, wenn man ihn läßt.
Ich überklebte die Andenken mit frischem Pflaster, das ich am Morgen in Hamilton zu diesem Zweck gekauft hatte, und fand sogar eine Lage im Bett, gegen die meine heilenden Knochen nicht streikten. Alles in allem, dachte ich vor dem Einschlafen zufrieden, ging es aufwärts.
Man könnte wohl sagen, ich habe mich zu früh gefreut, oder ich habe zu vieles unterschätzt. Zum Beispiel das Ausmaß der Verzweiflung, die Wexford nach Neuseeland führte. Zum Beispiel den Zorn und die Intensität, mit der er nach uns suchte.
Ebenso die Wirkung unseres Amateureinbruchs auf Profidiebe. Ebenso unseren Erfolg. Ebenso die Angst und die Wut, die wir ausgelöst hatten.
Meine Vorstellung von Wexford, wie er sich in beinah komischer Zerknirschung das Resthaar raufte, war völlig daneben. Er verfolgte uns mit einer an Besessenheit grenzenden Entschlossenheit, verbissen, rabiat und schnell.
Spät am Morgen weckte mich die Sonne eines warmen, windigen Frühlingstags; ich trank Kaffee aus dem Automaten, den es dafür auf jedem Zimmer gab, und dann rief Jik an.
«Sarah sagt, sie muß sich heute die Haare waschen. Die seien verfilzt.«
«Sieht man ihnen aber nicht an.«
«Die Ehe gewährt ganz neue Einblicke in das Wesen der Frau. Jedenfalls wartet sie schon in der Halle auf mich, weil ich mit ihr Shampoo kaufen gehen soll, aber ich dachte, ich sag dir gerade Bescheid, daß wir weg sind.«
Ich sagte unbehaglich:»Seht euch vor.«
«Na klar«, sagte er.»Von der Galerie halten wir uns fern. Wir fahren nicht weit. Nur bis zur nächsten Drogerie. Ich melde mich, sobald wir zurück sind.«
Vergnügt legte er auf, und fünf Minuten später klingelte das Telefon wieder. Ich nahm den Hörer ab.
Es war die Frau an der Rezeption.»Ihre Freunde hätten gern, daß Sie zum Wagen kommen und mit ihnen fahren.«
«Okay«, sagte ich.
Ich fuhr in Hemdsärmeln mit dem Lift nach unten, gab meinen Zimmerschlüssel ab und ging durch die Glastür hinaus auf den windigen, sonnenbeschienenen Parkplatz. Dort sah ich mich nach Jik und Sarah um, doch sie waren leider nicht die Freunde, die auf mich warteten.
Vielleicht wäre ich besser gerüstet gewesen, hätte ich meinen Arm nicht unterm Hemd in der Schlinge gehabt. So packten sie mich einfach beim Schlafittchen, hoben mich in die Luft und schmissen mich ruck, zuck hinten in ihren Wagen.
Drinnen saß Wexford als Einmann-Empfangskomitee. Die Augen hinter der dicken Brille blickten mit vierzig Grad minus, und von Zaghaftigkeit war jetzt nichts bei ihm zu erkennen. Er hatte mich praktisch zum zweiten Mal hinter seinem Fallgitter, und diesmal wollte er auf keinen Fall etwas verkehrt machen.
Er trug wieder eine Fliege. Die flotten Punkte paßten schlecht zum Ernst der Sache.
Die kräftigen Arme, die mich zu ihm hineinstießen, gehörten Greene mit >e< und einem starken Mann, den ich nicht kannte, der aber ganz nach» Schrank «aussah.
Mein Mut sank schneller, als die Lifts im Hilton fahren. Wexford und der Schrank nahmen mich zwischen sich, während sich Greene ans Steuer setzte.
«Wie haben Sie mich gefunden?«fragte ich.