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Mein Fuß trat ungeschickt auf den Rand eines von Wasser bedeckten Felsens, und als ich merkte, daß ich mir das Schienbein aufschürfte, kam ich auch schon aus dem Gleichgewicht, fiel nach vorn, versuchte vergeblich, mich mit der Hand abzufangen, krachte mit der Brust voll auf einen kleinen gezackten Felsen und drehte schnell den Kopf weg, um nicht auch noch mit der Nase aufzuschlagen.

Der Stein neben meiner Backe zerbarst plötzlich wie durch eine Explosion. Ein paar Splitter flogen mir ins Gesicht. Im ersten Moment konnte ich mir das nicht erklären; dann drehte ich mich schwerfällig herum und blickte Böses ahnend zum Ufer.

Greene stand da, den Revolver im Anschlag, und er schoß scharf.

Kapitel 15

Dreißig bis fünfunddreißig Meter sind weit für einen Revolver, aber Greene schien so nah. Ich konnte seinen hängenden Schnurrbart sehen und das im Wind wehende, strähnige Haar. Ich sah seine Augen und die konzentrierte Körperhaltung. Breitbeinig stand er da, die Arme vorgestreckt, und hielt mit beiden Händen den Revolver im Anschlag.

Durch den Lärm der anbrandenden Wellen hörte ich die Schüsse nicht. Und ich sah nicht, wie er abdrückte. Aber ich sah, wie seine Arme durch den Rückstoß nach oben zuckten, und wollte keinesfalls so blöd sein, ihm ein stehendes Ziel zu bieten.

Mir war wirklich ganz schön mulmig. Ich stand ihm genauso nah vor Augen wie er mir. Er muß ziemlich sicher gewesen sein, daß er mich treffen würde, auch wenn ich aus seinem vorsichtigen Umgang mit der Waffe im Auto geschlossen hatte, er sei kein Fachmann.

Ich drehte mich um und stolperte ein paar Meter voran, obwohl das jetzt noch schlechter ging und der erbitterte Kampf gegen Wellen, Strömung, Felsen mich die letzten Kräfte kostete.

Es mußte ein Ende haben.

Bald.

Ich stolperte, fiel auf einen Felszacken, riß mir die Innenseite des Unterarms auf, und wieder floß kostbares Blut. Himmel, dachte ich, lauf nicht aus, du mußt schon ganz zerschnitten sein.

Immerhin brachte mich das auf eine Idee.

Ich stand bis zur Taille im tückischen grünen Wasser, das jetzt die Uferfelsen weitgehend bedeckte. Auf der einen Seite verlief eine Reihe größerer Felszähne ins Meer wie die Horrorversion eines Wellenbrechers, und weil dort die

Brandung noch stärker war, hatte ich mich davon ferngehalten. Aber es war die einzige mögliche Deckung. In drei taumeligen Anläufen kam ich näher heran, und die Strömung half mit.

Ich sah mich nach Greene um. Er lud den Revolver nach. Wexford sprang neben ihm im Dreieck, um ihn zur Eile anzutreiben; und der Schrank, der so gar keine Anstalten traf, hinter mir herzujagen, war vermutlich Nichtschwimmer.

Greene schwenkte die Trommel ein und nahm mich wieder ins Visier.

Ich ging ein fürchterliches Risiko ein.

Ich drückte meinen heftig blutenden Unterarm gegen die Brust und richtete mich schwankend in der Strömung auf, so daß er meinen Oberkörper sehen konnte.

Er legte mit gestreckten Armen an. Aber wohl nur ein Scharfschütze konnte mich auf diese Entfernung bei diesem Wind mit dieser Waffe treffen. Weil die Arme eines Scharfschützen beim Feuern nicht nach oben zuckten.

Die Waffe zielte genau auf mich.

Ich sah die Arme hochgehen, als er abzog.

Einen lähmenden Augenblick lang war ich überzeugt, der Schuß hätte gesessen, aber ich spürte und hörte und sah nichts von dem fliegenden Tod.

Ich warf den rechten Arm hoch und blieb einen Augenblick so, damit Greene sehen konnte, daß mein Hemd vorn rot von Blut war.

Dann drehte ich mich kunstvoll weg und ließ mich mit dem Gesicht voran ins Wasser fallen — und konnte nur hoffen, daß er dachte, er habe mich umgebracht.

Viel besser als Blei war das Meer auch nicht. Nur die ungeheure Angst, eine Kugel einzufangen, ließ mich ausharren, während ich zwischen den scharfkantigen Steinen im Wasser zerrieben wurde wie ein Stück Käse.

Die Wellen trieben mich auf die Reihe der großen Felszähne zu, und ziemlich verzweifelt versuchte ich, mich daran festzuhalten, um nicht abwechselnd angesaugt und wieder weggespült zu werden und dabei immer noch mehr Haut zu lassen.

Außerdem durfte ich mich nicht zu auffällig gegen die Strömung wehren. Wenn Wexford und Greene mich dort herumrudern sahen, war meine ganze Schauspieleinlage umsonst gewesen.

Nach einigen Anläufen hatte ich Glück, und die See drückte mich in einen Spalt zwischen den Felsen, von wo aus ich das Ufer nicht mehr sehen konnte. Ich hielt mich mit beiden Händen fest, stemmte mit gebeugten Knien die Füße gegen den Fels und fand so einigermaßen Halt, während die See versuchte, mich wieder loszukriegen. Jede ankommende Welle drohte mir die Füße aus dem Spalt zu schwemmen, und im Zurückgehen drohte sie mich mitzuziehen wie ein Saugrohr. Ich hielt mich krampfhaft fest, schaukelte in dem brusthohen Wasser hin und her, hielt mich fest, schaukelte, und es erschöpfte mich zusehends.

Ich hörte nur die anbrandenden Wellen. Mutlos fragte ich mich, wie lange Wexford und Greene dableiben und nach Lebenszeichen auf dem Wasser Ausschau halten würden. Ich riskierte keinen Blick zum Ufer, aus Angst, sie könnten mich ausmachen, wenn ich den Kopf hob.

Das Wasser war kalt, und die Wunden hörten allmählich auf zu bluten, auch der so nützliche Schnitt am Unterarm. Es geht doch wirklich nichts über einen kräftigen, gesunden jungen Körper, dachte ich. Nichts, aber auch gar nichts geht über einen kräftigen, gesunden jungen Körper auf trockenem Boden, einen Pinsel in der einen, ein Bier in der anderen Hand, in beiden kein Geld für die Gasrechnung, dafür freundliches Flugzeuggedröhn in den Ohren.

Aus Erschöpfung wagte ich schließlich doch einen Blick. Sonst konnte ich wie eine Klette da hängenbleiben, bis ich saft-und kraftlos abfiel und buchstäblich keine Reserven mehr hatte, um noch einmal auf die Beine zu kommen.

Wenn ich etwas sehen wollte, mußte ich loslassen. Ich suchte woanders Halt, doch das klappte nicht ganz. Die erste ablaufende Welle trug mich unweigerlich davon, die nächste ankommende warf mich wieder zurück.

In der Flaute dazwischen bekam ich das Ufer zu sehen.

Straße, Felsen, Steinbruch, alles wie gehabt. Auch der Wagen. Und Leute.

Verdammt noch mal, dachte ich.

Ich klammerte mich wieder an den Stein. Meine Finger waren kalt, verkrampft und fingen wieder an zu bluten. Herrgott, dachte ich. Wie lange denn noch? Drei Wellen kamen und gingen, bis mir in meiner Erschöpfung klar wurde, daß da nicht Wexfords Wagen stand und davor auch nicht Wexford.

Wenn es nicht Wexford war, konnte mir alles egal sein.

Ich ließ mich von der nächsten Welle aus dem Spalt heraustragen, um von ihm wegzuschwimmen, bevor die Gegenbewegung mich wieder zurückwarf. Unter Wasser waren aber immer noch überall Felsen. Ein paar Meter konnten verdammt weit sein.

Vorsichtig richtete ich mich auf, tastete mich, anders als bei der überstürzten Flucht nach draußen, ruhig zum Ufer vor und sah mir genauer an, was sich dort tat.

Ein grauweißer Wagen. Daneben, zusammenstehend, ein Paar; der Mann hielt die Frau in den Armen.

Hübsches, ruhiges Plätzchen dafür, dachte ich ironisch. Ich hoffte, sie würden mich irgendwo ins Trockene bringen.

Sie lösten sich voneinander und starrten aufs Meer hinaus.

Ich starrte zurück.

Im ersten Moment schien es unmöglich. Dann fuchtelten sie aufgeregt mit den Armen und liefen aufs Wasser zu — es waren Sarah und Jik.

Jik warf seine Jacke ab und stürzte sich mit Eifer in die Fluten, blieb aber jäh stehen, als er sich die ersten Schrammen an den Beinen einfing. Gewarnt, kam er mir vorsichtig weiter entgegen.

Ich hielt meinen Kurs. Auch bei noch so wohlgesetzten Schritten war der Gang durch dieses wellenumspülte Reibgestein tödlich für die Haut. Als ich bei Jik ankam, waren wir beide rot verschmiert.