«Dumm. Aber er dachte ja, ich sei tot… und er ahnte nicht, daß er unter Verdacht stand. Normalerweise hätte er sich sagen müssen, daß die Polizei Wexfords Anruf mithört… aber wie ich von Frost weiß, war alles so eingerichtet, daß Wexford annahm, er spreche von einer normalen Telefonzelle aus.«
«Hinterhältig«, meinte Sarah.
Ich gähnte.»Heimtücker fängt man mit Heimtücke.«
«Bei Hudson hätte ich überhaupt nicht gedacht, daß er derart ausrasten kann«, sagte sie.»Er sah so… so gefährlich aus. «Sie fröstelte.»Man sollte nicht meinen, daß jemand eine so beängstigende Gewalttätigkeit unter äußerer Freundlichkeit verbergen kann.«
«Der nette Ire von nebenan«, sagte Jik im Aufstehen,»kann eine Bombe legen, die Kindern die Beine abreißt.«
Er zog Sarah hoch.»Was glaubst du eigentlich, was ich male?«sagte er.»Blumensträuße?«Er sah auf mich herunter.»Pferde?«
Wir trennten uns am nächsten Morgen auf dem Flughafen von Melbourne, auf dem wir inzwischen schon recht heimisch waren.
«Komisch, jetzt so auseinanderzugehen«, meinte Sarah.
«Ich komme wieder«, sagte ich.
Sie nickten.
«Tja…«Wir sahen auf unsere Uhren.
Es war wie jeder Abschied. Viel zu sagen gab es nicht.
Ich sah in ihren Augen, und sie in den meinen sicher auch, daß die vergangenen zehn Tage bald zur wehmütigen Erinnerung verblassen würden. Ein Streich aus unserer verrückten Jugend. Weit entfernt.
«Würdest du das Ganze noch mal machen?«fragte Jik.
Ich mußte ohne rechten Zusammenhang an Luftwaffenpiloten denken, die vierzig Jahre nach dem Krieg
Rückschau hielten. Waren ihre Erfolge das Blut, den Schweiß, die Lebensgefahr, unter denen sie errungen wurden, wert gewesen? War da ein bitterer Nachgeschmack?
Ich lächelte. In den nächsten vierzig Jahren war alles möglich. Was die Zukunft aus der Vergangenheit machte, war ihr Problem. Was wir aus dem Heute machten, nur darauf kam es an.
«Ich denke schon«, sagte ich.
Ich beugte mich vor und küßte Sarah, die Frau meines ältesten Freundes.
«He«, sagte er,»such dir selber eine.«
Kapitel 17
Maisie sah mich zuerst und stürzte sich wie ein großer scharlachroter Vogel mit ausgebreiteten Schwingen auf mich.
Montag Mittag auf der Rennbahn von Wolverhampton, neblig und kalt.
«Tag, mein Lieber, wie schön, daß Sie gekommen sind. Hoffentlich hatten Sie einen guten Flug — das ist doch so weit, da kommt doch die ganze innere Uhr durcheinander?«Sie tätschelte mir den Arm und musterte mich aufmerksam.»So richtig gut sehen Sie nicht aus, wenn ich das sagen darf, Charles. Und braun geworden sind Sie auch nicht, obwohl anderthalb Wochen dafür vielleicht auch etwas knapp sind, aber die Hand haben Sie sich ja bös zerschnitten, und mir fällt auf, daß Sie sehr vorsichtig gehen.«
Sie schwieg und sah zu, wie eine Reihe Jockeys an uns vorbei zum Start galoppierten. Leuchtende Farben gegen den dünnen grauen Nebel. Ein Sujet für Munnings.
«Schon gewettet, mein Lieber? Und ist Ihnen der Anorak auch wirklich warm genug? Ich finde immer, Jeans sind nichts für den Winter, das ist schließlich nur Baumwolle, und wie ist es Ihnen denn nun in Australien ergangen? Ich meine, haben Sie da drüben was erreicht?«
«Das ist eine furchtbar lange Geschichte…«
«Die man sich am besten in der Bar erzählt, nicht wahr?«
Sie bestellte uns zwei große Brandys mit Ginger-Ale und ließ sich an einem kleinen Tisch nieder, gespannte Erwartung in den freundlichen Augen.
Ich erzählte ihr von Hudsons Organisation, von der Galerie in Melbourne und der Liste der Einbruchskandidaten.
«Stand ich da drauf?«
Ich nickte.»Ja.«
«Und Sie haben sie der Polizei gegeben?«fragte sie ängstlich.
Ich grinste.»Seien Sie unbesorgt, Maisie. Ihr Name war schon gestrichen. Ich habe ihn noch ein paarmal mehr durchgestrichen. Den kann jetzt keiner mehr entziffern, schon gar nicht auf einer Fotokopie.«
Sie lächelte breit.»Sie sind wirklich auf Draht.«
Da war ich mir nicht so sicher.»Ihre neuntausend Pfund«, sagte ich,»müssen Sie aber wohl abschreiben.«
«Und wenn schon«, meinte sie vergnügt.»Das hab ich eben davon, daß ich den Zoll betrügen wollte, aber offen gestanden würde ich es beim nächsten Mal wieder so machen, denn die Steuer ärgert mich doch gewaltig. Allerdings bin ich schon froh, daß sie diesmal nicht bei mir anklopfen, oder vielmehr bei meiner Schwester Betty, denn wie man Ihnen im Beach sicher gesagt hat, wohne ich wieder bei ihr, bis mein Haus fertig ist.«
Ich stutzte.»Welches Haus?«
«Nun, mein Lieber, ich habe mir überlegt, daß ich das Haus in Worthing doch nicht wieder aufbauen lasse, denn ohne die Schätze, die Archie und ich dort zusammengetragen haben, wäre es doch nicht dasselbe, und so habe ich das Seegrundstück für ein Vermögen verkauft und mir ein hübsches Plätzchen in Sandown gesucht, ganz nah an der Rennbahn.«
«Sie gehen also nicht nach Australien?«
«Ach nein, Charles, das wäre mir zu weit weg. Von Archie, wenn Sie verstehen.«
Ich verstand. Ich mochte Maisie sehr.
«Ihr Geld habe ich leider ganz ausgegeben«, sagte ich.
Den gut frisierten Kopf auf die Seite gelegt, lächelte sie mich an und streichelte gedankenverloren ihre Krokodilhandtasche.
«Das macht nichts, Charles. Dann malen Sie mir eben zwei Bilder. Eins von mir und eins von meinem neuen Haus.«
Ich ging nach dem dritten Rennen, nahm den Zug nach Shrewsbury und fuhr von dort mit dem Bus zu Inspektor Frosts Dienststelle.
Er saß an seinem Schreibtisch, bis zum Hals in Akten vergraben. Ebenfalls anwesend war der durchdringend blickende Kommissar Wall, der Donald so zermürbt hatte und den ich noch nicht kannte. Beide gaben mir ruhig und geschäftsmäßig die Hand, wobei Walls Augen unbeeindruckt über den Anorak, die Jeans und meine Wüstentreter glitten. Ein lehnenloser Stuhl aus Formplastik wurde mir angeboten.
«Da haben Sie ja einen wahren Termitenbau aufgedeckt«, meinte Frost mit einem leisen Lächeln.
Wall zog die Brauen zusammen, als wäre ihm dieser Ton zu locker.»Wie es ausschaut, sind Sie auf eine recht große Organisation gestoßen.«
Beide Männer blickten auf den Berg von Papieren.
«Was ist mit Donald?«fragte ich.
Frost hielt den Blick gesenkt. Seine Mundwinkel zuckten.
Wall sagte:»Wir haben Mr. Stuart mitgeteilt, daß für den Einbruch in sein Haus und für den Tod von Mrs. Stuart nach unseren Erkenntnissen Dritte verantwortlich sind, die ohne sein Wissen und ohne sein Zutun gehandelt haben.«
Ein schwacher Trost.»Hat er das auch verstanden?«
Wall zog die Brauen hoch.»Ich war heute früh selbst bei ihm. Es dürfte ihm alles eingegangen sein.«
«Und was ist mit Regina?«
«Mit der Leiche von Mrs. Stuart«, verbesserte Wall.
«Donald möchte sie beerdigen«, sagte ich.
Frost sah mit einem direkt menschlichen Ausdruck von Mitgefühl auf.»Das Problem ist«, sagte er,»daß in einer Mordsache die Leiche des Opfers bereitgehalten werden muß für den Fall, daß die Verteidigung eine eigene Leichenschau beantragt. Hier haben wir bislang keine Anklage wegen Mordes erheben können, und Verteidiger konnten schon gar nicht bestellt werden. «Er räusperte sich.»Wir werden Mrs. Stuarts Leichnam zur Bestattung freigeben, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.«