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Die Polizei ließ ihn am nächsten Morgen zu der Feuerprobe im Büro abholen. Er fuhr willenlos mit, nachdem er beim Frühstück mehr oder weniger ausdrücklich erklärt hatte, er werde sich nicht verteidigen.

«Das mußt du aber, Don«, sagte ich.»Du brauchst jetzt einen klaren Kopf, darfst keinen Fehler machen und dich nicht beirren lassen. Kurz, du mußt du selbst sein.«

Er lächelte matt.»Dann geh du doch für mich. Mir ist das zuviel. Und was liegt daran?«Sein Lächeln erlosch, und plötzlich zeigte sich sein ganzes Unglück wie ein dunkler Wasserspiegel unter zerbrochenem Eis.»Ohne Regina… macht Geldverdienen keinen Sinn.«

«Wir reden nicht vom Geldverdienen, sondern von Mordverdacht. Wenn du dich nicht verteidigst, werden sie annehmen, du kannst es nicht.«

«Ich bin es leid. Die können denken, was sie wollen.«

«Don«, sagte ich ernst,»sie werden denken, was du sie denken läßt.«

«Das ist mir ziemlich egal«, sagte er dumpf: und da lag das Problem. Es kümmerte ihn wirklich nicht.

Er war den ganzen Tag fort. Ich malte.

Nicht die traurige Landschaft. Die Glasveranda erschien mir an diesem Morgen besonders grau und kalt, und ich wollte nicht schon wieder in Schwermut versinken. Ich ließ die halbfertige Leinwand dort auf dem Tisch zurück und begab mich mit allem Drum und Dran in die warme Küche. Nicht ganz so gutes Licht vielleicht, aber es war der einzige Raum im Haus, der Leben atmete.

Ich malte Regina an ihrem Herd, mit einem Kochlöffel in der einen Hand und einer Flasche Wein in der anderen. Ich malte, wie sie beim Lächeln den Kopf in den Nacken legte, und ich malte ihr Lächeln, strahlend, ohne Falsch und unverkennbar glücklich. Ich malte die Küche hinter ihr, so wie ich sie vor Augen hatte, und Regina selbst, wie sie vor meinem inneren Auge stand. So klar und deutlich sah ich sie vor mir, daß ich ein paarmal von dem Gesicht auf der Leinwand aufschaute, um etwas zu ihr zu sagen, und verdutzt feststellte, daß sie nicht da war. Wirkliches und Unwirkliches schienen merkwürdig miteinander vermischt zu sein.

Ich arbeitete selten länger als vier Stunden am Stück, zum einen, weil mich die körperliche Anspannung ermüdete, zum anderen, weil die Konzentration dazu führte, daß mir kalt wurde und ich Hunger bekam. Gegen Mittag legte ich also eine Pause ein, aß Cornedbeef aus der Dose mit Pickles auf Toast und machte dann einen Spaziergang unter Ausschluß der

Öffentlichkeit, indem ich durch den Obstgarten ging und durch die Hecke schlüpfte.

Eine Zeitlang wanderte ich ziellos durch den weitläufigen Ort, dachte an das Bild und wurde im Laufen die überschüssige Energie los, die ich nach der Arbeit an der Staffelei oft verspürte. Mehr gebrannte Umbra für die Falten der Vorhänge, dachte ich; und einen Purpurschatten auf dem Kochtopf. Das cremefarbene Hemd von Regina brauchte Ocker unterm Kragen, vielleicht auch eine Spur Grün. Der Herd mußte noch viel mehr ausgearbeitet werden, und ich hatte gegen meine eigene Grundregel verstoßen, ein Bild immer als Ganzes zu gestalten, Sujet und Hintergrund Schritt für Schritt.

Reginas Gesicht war schon klar herausgearbeitet und fertig bis auf den Glanz der Lippen und einen Lichttupfer innen an den unteren Augenlidern, denn dafür mußte der Untergrund erst trocken sein. Ich hatte Angst gehabt, sie nicht mehr so klar zu sehen, wenn ich mir zuviel Zeit ließ, aber dadurch war jetzt das Bildgleichgewicht gestört, und ich würde die Küche sorgfältig auf die Figur abstimmen müssen, damit das Ganze wie aus einem Guß aussah und harmonisch und natürlich wirkte.

Der Wind war beißend kalt, der Himmel bedeckt mit schnell dahintreibenden dunklen Wolken. Ich vergrub die Hände in meinen Anoraktaschen und schlüpfte durch die Hecke zurück, als die ersten Regentropfen fielen.

Die Nachmittagssitzung war wegen des Lichts wesentlich kürzer, und zu meinem Verdruß fand ich nicht die richtigen Farbtöne für die Kücheneinrichtung. Was auf der Palette richtig aussah, konnte auf der Leinwand falsch aussehen, trotz meiner jahrelangen Erfahrung. Ich griff dreimal daneben und machte Schluß.

Als ich die Pinsel reinigte, kam Donald zurück. Ich hörte, wie der Wagen anhielt, hörte Türen schlagen und — zu meiner

Überraschung — das Klingeln an der Haustür. Donald hatte seine Schlüssel mitgenommen.

Ich ging durch den Flur und öffnete. Ein Polizist in Uniform stand draußen und hielt Donald am Arm. Im Hintergrund eine Reihe gespannt zuschauender Gesichter. Mein vorher schon blasser Cousin sah jetzt wachsbleich aus. Die Augen waren leblos wie der Tod.

«Don!«sagte ich, und mein Entsetzen war mir sicher anzusehen.

Er schwieg. Der Polizist beugte sich vor, sagte:»Da wären wir, Sir«, und übergab Donald symbolisch, aber auch ganz konkret meiner Obhut, denn danach drehte er sich auf dem Absatz um, stieg in seinen Wagen und fuhr davon.

Ich führte Donald ins Haus und schloß die Tür. Noch nie hatte ich jemand in einem so beängstigenden Zustand der Auflösung gesehen.

«Ich habe mich wegen der Beerdigung erkundigt«, sagte er.

Sein Gesicht war reglos, und er stieß die Worte hervor.

«Sie sagen…«Er brach ab, zog die Luft ein, setzte neu an.»Es… gibt keine Beerdigung.«

«Donald… «

«Sie sagen… sie dürfe erst beerdigt werden, wenn die Ermittlungen abgeschlossen seien. Das könne… noch Monate dauern. Sie sagten… sie würden sie einfrieren…«

Er litt furchtbare Qualen.

«Sie sagten…«Er schwankte ein wenig.»Sie sagten… die Leiche eines Mordopfers gehöre dem Staat.«

Ich konnte ihn nicht halten. Bewußtlos brach er vor meinen Augen zusammen.

Kapitel 3

Zwei Tage lang lag Donald im Bett, und ich begann zu verstehen, was Gebrochensein hieß. Diesmal kam ein Arzt morgens und abends mit Tabletten und Spritzen, und er wurde beruhigt, ob es ihm paßte oder nicht. In der übrigen Zeit mußte ich nach ihm sehen, obwohl ich zum Krankenpfleger fast noch weniger taugte als zum Koch.

«Ich möchte nur Charles«, hatte Donald dem Arzt erklärt.»Charles macht keinen Rummel.«

Ich saß viel bei ihm, wenn er wach war, und sah, wie er sich mit benommenem Kopf mühte, die Schrecken in seinem Innern zu fassen und ihrer Herr zu werden. Er nahm merklich ab, das kräftige Gesicht fiel ein und nahm einen kränklichen, verhärmten Zug an. Die grauen Schatten um seine Augen wurden immer tiefer, und die Arme und Beine schienen ihre gewohnte Kraft ganz verloren zu haben.

Ich kochte für uns Konserven- und Tiefkühlkost, zubereitet nach den Hinweisen auf der Verpackung. Donald dankte mir ausdrücklich und aß, was er herunterbrachte, aber wahrscheinlich, ohne etwas zu schmecken.

Zwischendurch, während er schlief, machte ich an den beiden Gemälden weiter. Die traurige Landschaft war nicht mehr traurig, sondern nur noch herbstlich, eine Wiese mit drei Pferden, von denen eines graste. Mit Bildern dieser Art, gefällig und einigermaßen gekonnt, verdiente ich mein Brot. Sie verkauften sich recht gut, und normalerweise produzierte ich etwa alle zehn Tage eins, ohne mich darüber hinwegzutäuschen, daß sie technisch versiert waren, aber keine Seele hatten.

Das Porträt von Regina jedoch war meine beste Arbeit seit langem. Sie lachte von der Leinwand wie das blühende Leben, und mir zumindest schien sie in ihrem ganzen Wesen erfaßt.

Bilder änderten sich öfter im Lauf der Arbeit, und von Tag zu Tag hatte sich für mich der Schwerpunkt verlagert, so daß die Küche im Hintergrund dunkler und unschärfer geworden war und Regina dafür um so leuchtender hervortrat. Man sah sie noch kochen, aber die junge Frau war jetzt wichtiger als ihre Tätigkeit. Zum Schluß hatte ich die noch vorhandene Küche als flüchtige Impression wiedergegeben und die Frau, die nicht mehr existierte, als Realität.

Wenn ich nicht gerade daran arbeitete, versteckte ich das Bild in meinem Koffer. Donald sollte es nicht unverhofft zu Gesicht bekommen.