Am frühen Mittwochabend kam er wacklig im Bademantel in die Küche hinunter und lächelte zaghaft, wie um sich selber Mut zu machen. Er setzte sich an den Tisch, trank etwas von dem Scotch, den ich an diesem Tag gekauft hatte, und sah zu, wie ich Pinsel und Palette reinigte.
«Du bist immer so ordentlich«, sagte er.
«Farben sind teuer.«
Er winkte matt nach dem Pferdebild, das zum Trocknen auf der Staffelei stand.»Wieviel kostet es denn, so etwas zu malen?«
«An Rohmaterial ungefähr zehn Pfund. Mit Heizung, Licht, Raten, Miete, Essen, Scotch und allgemeinem nervlichen Verschleiß in etwa soviel, wie ich in einer Woche verdienen würde, wenn ich’s sausen ließe und wieder anfinge, Häuser zu verkaufen.«
«Eine ganze Menge also«, sagte er ernst.
Ich grinste.»Ich bereue es nicht.«
«Nein. Das ist mir klar.«
Ich wusch die Pinsel noch unter dem Hahn in Seifenwasser aus, zog sie in Form und stellte sie zum Trocknen aufrecht in ein Glas. Gute Pinsel waren mindestens so teuer wie Farben.
«Nachdem sie die Betriebsbuchhaltung überprüft hatten«, sagte Donald unvermittelt,»haben sie mich aufs Revier geschleift und mir nachzuweisen versucht, daß ich Regina eigenhändig umgebracht habe.«
«Das gibt’s doch nicht!«
«Sie haben ausgerechnet, daß die Zeit gereicht hätte, um in der Mittagspause heimzufahren und es zu tun.«
Ich nahm den Scotch vom Tisch und goß mir eine ordentliche Portion ein. Gab Eis hinzu.
«Die sind ja verrückt«, sagte ich.
«Da war außer Frost noch ein anderer Mann. Ein Kommissar. Wall hieß er, glaube ich. Dünn, mit stechendem Blick. Die Augen schienen überhaupt nicht zu blinzeln. Er hat mich nur angestarrt und immer wieder gesagt, ich hätte sie umgebracht, weil sie nach Hause gekommen sei und gesehen hätte, wie ich den Einbruch überwache.«
«Du lieber Gott!«sagte ich empört.»Dabei hat sie das Blumengeschäft doch erst um halb drei verlassen.«
«Die Frau im Blumenladen sagt jetzt, sie weiß nicht mehr auf die Minute genau, wann Regina weg ist. Nur noch, daß es nach der Mittagspause war. Und ich kam erst gegen drei aus der Kneipe zurück. Ich war spät essen. Ein Kunde hatte mich den ganzen Morgen aufgehalten…«Er brach ab und umfaßte sein Glas, wie um sich daran festzuhalten.»Ich kann dir nicht sagen… wie schrecklich das war.«
Durch die zurückhaltende Formulierung erschien alles noch schlimmer.
«Sie sagten mir«, er nickte mit dem Kopf,»wenn verheiratete Frauen ermordet würden, sei in acht von zehn Fällen der Mann der Täter.«
Dieses Kleinod hörte sich ganz nach Frost an.
«Zu guter Letzt haben sie mich gehen lassen, aber ich glaube nicht…«Seine Stimme zitterte. Er schluckte und war sichtlich bemüht, die hart erkämpfte Ruhe zu bewahren.»Ich glaube nicht, daß sie schon fertig sind.«
Vor fünf Tagen hatte er Regina beim Nachhausekommen tot aufgefunden. Bedachte man, mit was für Holzhämmern er seitdem traktiert wurde, statt ein wenig Freundlichkeit und Trost zu erfahren, und wie das alles an seinen psychischen Reserven zehren mußte, dann konnte man nur staunen, wie gut er noch beieinander war.
«Haben sie inzwischen eine Spur von den Einbrechern?«fragte ich.
Er lächelte schwach.»Ich weiß gar nicht, ob sie danach suchen.«
«Bestimmt.«
«Mag sein. Sie haben nicht davon gesprochen. «Langsam trank er einen Schluck Whisky.»Es ist drollig, weißt du. Ich hatte immer eine hohe Meinung von der Polizei. Ich wußte nicht, daß die… so sein kann.«
Ein Dilemma, dachte ich. Entweder heizte man einem Verdächtigen ein, in der Hoffnung, daß er geständig würde, oder man stellte höflich ein paar Fragen und kam zu nichts — aber unter der einzig wirksamen Methode hatten die Unschuldigen mehr zu leiden als die Täter.
«Das nimmt kein Ende«, sagte Donald.»Nie.«
Bis Freitag mittag war die Polizei noch zweimal dagewesen, doch allzu heftige Erschütterungen brachte ihr Besuch für meinen Cousin nicht mit sich. Er war immer noch erschöpft, apathisch und aschfahl, aber es schien, als sei das Maß seines Leidens voll und für mehr einfach kein Platz. Alles, was Frost und sein Begleiter zu ihm sagten, prallte an ihm ab, ohne ihn weiter zu verstören.
«Wolltest du nicht jemandem ein Pferd malen?«meinte er plötzlich, als wir zu Mittag aßen.
«Das habe ich verschoben.«
Er schüttelte den Kopf.»Als ich dich bat zu bleiben, sagtest du, bis zu deinem nächsten Auftrag hättest du noch Zeit. «Er überlegte kurz.»Dienstag. Du wurdest am Dienstag in Yorkshire erwartet.«
«Ich habe angerufen und mich entschuldigt.«
«Fahr ruhig hin.«
Er sagte, er komme jetzt allein zurecht, und dankte mir für alles. Er bestand darauf, daß ich die Zugverbindung nachschaute, ein Taxi bestellte und den Leuten in Yorkshire Bescheid gab. Da es wirklich so aussah, als könnte man ihn wieder sich selbst überlassen, packte ich meine Sachen.
«Eine Frage«, sagte er schüchtern, als wir auf das Taxi warteten, das mich abholen sollte,»malst du eigentlich auch Porträts? Von Menschen, meine ich, nicht von Pferden.«
«Manchmal«, sagte ich.
«Könntest du denn irgendwann vielleicht… ich meine, ich habe ein ziemlich gutes Foto von Regina…«
Ich sah ihm prüfend ins Gesicht. Meinem Gefühl nach konnte es nicht schaden. Ich klappte den Koffer auf und nahm das Bild heraus, aber mit der Rückseite zu ihm.
«Es ist noch feucht«, erklärte ich.»Und nicht gerahmt, und es sollte frühestens in einem halben Jahr fixiert werden. Aber du kannst es haben, wenn du willst.«
«Zeig mal.«
Ich drehte die Leinwand um. Er machte große Augen, sagte aber kein Wort. Das Taxi hielt vor der Haustür.
«Bis dann«, sagte ich und lehnte Regina an die Wand.
Er nickte und drückte meinen Arm, hielt mir die Tür auf und hob zum Abschied kurz die Hand. Wortlos, denn seine Augen standen voller Tränen.
Fast eine Woche lang bemühte ich mich in Yorkshire, einen geduldigen alten Steeplechaser zu verewigen, dann kehrte ich heim in meine laute Wohnung am Flughafen Heathrow, um dem Bild dort den letzten Schliff zu geben.
Am Samstag fand ich, ich hätte mich lange genug abgeschunden, und fuhr zum Pferderennen.
Plumpton und die vertraute prickelnde Erregung beim Anblick der geschmeidigen Bewegungen der Pferde. Gemälde konnten ihnen niemals gerecht werden — unmöglich. Auf die Leinwand gebannte Bewegung war nur Ersatz.
Ich wäre gern Rennen geritten, aber mir fehlten die Übung und das Geschick dazu — und wohl auch der Mut. Wie Donald stammte ich aus einer mittel ständischen Kaufmannsfamilie, mein Vater war selbständiger Auktionator in Sussex gewesen. Als Kind hatte ich zahllose Stunden damit verbracht, den Pferden bei der Arbeit auf den Downs um Findon zuzuschauen, und gezeichnet und gemalt hatte ich sie, seit ich sechs war. Um selbst zu reiten, hatte ich das Geld für ein Stündchen Spaß meist von liebenden Tanten erbetteln müssen, da ich kein eigenes Pony besaß. Das Kunststudium später hatte mir gefallen, aber als ich mit zweiundzwanzig dann plötzlich beide Eltern verlor und allein auf der Welt stand, mußte ich sehen, woher ich etwas zu essen bekam. Der Schritt zum Grundstücksmakler auf der anderen Straßenseite hatte nur eine Übergangslösung sein sollen, aber dann war ich doch gern bei ihm geblieben.
Die Hälfte aller Pferdemaler Englands schien nach Plumpton gekommen zu sein, was nicht verwunderte, denn der Sieger des letzten Grand National wurde zu seinem ersten Saisonauftritt erwartet. Es war einfach so, daß sich ein Bild mit dem Titel» Nijinsky auf der Heide von Newmarket «besser verkaufte als ein» Pferd auf der Heide von Newmarket«, und» Der Grand-National-Sieger am Start «gewann spielend vor» Startbereites Pferd in Plumpton«. Die wirtschaftlichen Gegebenheiten zwangen manchen potentiellen Rembrandt, Marktforschung zu betreiben.
«Todd!«schmatzte mir eine Stimme ins Ohr.»Du schuldest mir fünfzehn Pfund.«»Sonst noch was?«sagte ich.