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«Du hast behauptet, Seesaw sei ein todsicherer Tip für Ascot.«

«Von Fremden nimmt man keine Süßigkeiten.«

Billy Pyle lachte überschwenglich und klatschte mir seine Pfote auf die Schulter. Er gehörte zu den

Rennbahnbekanntschaften, für die man sofort ein Busenfreund war, die immer jemand zum Mittrinken und Vollabern suchten und jedermann zu Tode langweilten. Seit zig Jahren begegnete mir Billy Pyle auf der Rennbahn, und noch immer hatte ich kein Rezept, das mir erlaubte, ihn mit Anstand loszuwerden. Die gängigen Ausflüchte prallten von seiner dicken Haut ab wie Quecksilber von Glas, und im großen ganzen fand ich es weniger anstrengend, schnell einen Drink mit ihm zu heben, als ihm den ganzen Nachmittag auszuweichen.

Ich wartete darauf, daß er sagte:»Gehen wir was trinken?«, wie er es immer tat.

«Gehen wir was trinken?«sagte er.

«Ehm… klar«, fügte ich mich in das Unvermeidliche.

«Dein Vater würde mir nie verzeihen, wenn ich dich links liegenließe. «Das sagte er auch immer. Sie hatten sich von Geschäfts wegen gekannt, aber die angebliche Freundschaft hielt ich für posthum.

«Komm mit, Junge.«

Ich kannte die nervige Nummer auswendig. Wie zufällig würde auch seine Tante Sal in der Bar sein, und dann mußte ich ihnen beiden einen ausgeben. Tante Sal einen doppelten Brandy mit Ginger-Ale.

«Ach, da ist ja Tante Sal«, sagte Billy, als er die Tür aufstieß. Welche Überraschung.

Tante Sal war eine leidenschaftliche Rennbahnbesucherin in den Siebzigern, nie ohne eine Kippe im Mundwinkel und immer mit einem Finger als Lesezeichen zwischen ihren Rennberichten.

«Irgendeinen Tip für das Rennen um halb drei?«wollte sie wissen.

«Tag«, sagte ich.

«Was? Ach so. Tag, wie geht’s? Hast du einen Tip für das Rennen um halb drei?«

«Leider nicht.«

«Hm.«

Sie schaute in die Rennberichte.»Treetops Gewicht stimmt, aber ob sein Bein durchhält?«Plötzlich sah sie auf und stieß mit der freien Hand ihren Neffen an, der die Bedienung auf sich aufmerksam zu machen suchte.»Billy, bestell auch was für Mrs. Matthews.«

«Für wen?«

«Mrs. Matthews. Was trinken Sie, Maisie?«

Sie wandte sich einer ausladenden Frau in mittleren Jahren zu, die halb verdeckt hinter ihr stand.

«Oh… Gin Tonic bitte.«

«Hast du gehört, Billy? Doppelten Brandy mit Ginger für mich, einen Gin Tonic für Mrs. Matthews.«

Maisie Matthews’ Kleidung war sichtlich neu und teuer, und vom gestylten Haar bis zur Krokodilhandtasche und den goldverzierten Schuhen verriet alles an ihr, daß sie Geld hatte. Die Hand, die den Gin entgegennahm, war mit einem großen, in Diamanten gefaßten Opal bestückt. Kein Funken Freude lag in dem kunstvoll angemalten Gesicht.

«Guten Tag«, sagte ich höflich.

«Hm?«machte Tante Sal.»Ach ja, das ist Charles Todd. Was hältst du von Treetops?«

«Geht so«, sagte ich.

Tante Sal studierte besorgt wieder die Rennberichte, und Billy reichte die Getränke herum.

«Zum Wohl«, sagte Maisie Matthews halbherzig.

«Prost!«Auch Billy hob sein Glas.

«Maisie hat ein bißchen Pech gehabt«, sagte Tante Sal.

Billy grinste.»Aufs falsche Pferd gesetzt, Mrs. Matthews?«

«Ihr Haus ist abgebrannt.«

Ein idealer Hemmschuh für leichtes Geplauder.

«Oh… na so was«, sagte Billy verlegen.»Wirklich Pech.«

«Alles verloren, was, Maisie?«

«Bis auf das, was ich am Leib trage«, antwortete sie düster.

«Trinken Sie noch einen Gin«, schlug ich vor.

«Danke, mein Lieber.«

Als ich mit dem Getränkenachschub wiederkam, schilderte sie gerade in lebhaften Farben ihr Unglück.

«…Ich war natürlich nicht daheim, ich war bei meiner Schwester Betty in Birmingham, und da steht auf einmal ein Polizist vor der Tür und sagt mir, wie schwer ich zu finden gewesen bin. Aber da war natürlich alles schon gelaufen. Als ich nach Worthing zurückkam, war nur noch ein Haufen Asche übrig, und mittendrin stand der Kamin hoch. Ich mußte ganz schön bohren, um herauszukriegen, was passiert war, aber schließlich sagte man mir, das Feuer sei plötzlich ausgebrochen, was immer das nun heißt, aber aus unbekannter Ursache, da sich seit zwei Tagen niemand im Haus aufgehalten habe.«

Sie nahm den Gin, lächelte an mir vorbei und wandte sich wieder ihrer Geschichte zu.

«Ich war so was von wütend, wo ich doch alles verloren hatte, und ich sagte, warum habt ihr denn nicht mit Seewasser gelöscht, das Meer ist doch gleich hinter den Tamarisken und dem Kiesstrand, denn es hieß, sie hätten nichts retten können, weil ihnen das Wasser ausgegangen sei, und der Feuerwehrmann, bei dem ich mich beschwerte, meinte, Seewasser könnten sie nicht nehmen, weil es erstens alles zerfrißt und weil sich zweitens die Pumpen mit Tang, Muscheln und allem möglichen vollsetzen, und außerdem sei ohnehin Ebbe gewesen.«

Ich unterdrückte ein unangebrachtes Lachen. Sie merkte es mir an.

«Tja, mein Lieber, für Sie mag das komisch sein, aber Sie haben auch nicht all Ihre Schätze verloren, die Sie seit ewigen Zeiten gesammelt haben.«

«Bitte entschuldigen Sie, Mrs. Matthews. Ich finde das nicht komisch. Es war nur…«

«Schon gut. Ich will nicht bestreiten, daß es etwas Komisches an sich hat, wenn so viel Wasser da ist und doch kein Tropfen, um einen Brand zu löschen, aber ich war jedenfalls außer mir.«

«Ich setze mal auf Treetops«, meinte Tante Sal nachdenklich.

Maisie Matthews sah sie unsicher an, und Billy Pyle, der genug Unerfreuliches gehört hatte, schaltete dankbar wieder auf Leutseligkeit, klopfte mir auf die Schulter und meinte, ja, nun sei es Zeit, sich das nächste Rennen anzuschauen.

Schuldigkeit getan, dachte ich seufzend und entfernte mich, um mir das Rennen von hoch oben auf der Tribüne anzusehen, versteckt und außer Hörweite.

Treetops brach nieder und wurde humpelnd Letzter. Pech für den Besitzer, den Trainer und Tante Sal. Ich ging hinunter zum Führring, um den Grand-National-Sieger vor seinem Rennen paradieren zu sehen, hatte aber nicht vor, ihn zu malen. Als Sujet schien er mir ziemlich ausgereizt, und bald würde keiner mehr sein Konterfei sehen wollen.

Der Nachmittag verging wie üblich schnell. Ich gewann ein wenig, verlor ein wenig und weidete die Augen an Schönerem als Geld. Vor dem letzten Rennen sah ich Maisie Matthews über die Tribüne auf mich zukommen. Unverwechselbar der knallrote Mantel, das Styling und das runde, freundliche, weltkluge Gesicht. Sie blieb eine Stufe unter mir stehen und blickte herauf. Voller Selbstvertrauen, wenn auch unschlüssig.

«Sind Sie nicht der junge Mann, der mit Sal, Billy und mir etwas getrunken hat?«fragte sie.

«Stimmt.«

«Ich war mir nicht sicher«, sagte sie, und die Unschlüssigkeit verschwand.»Hier im Freien sehen Sie älter aus.«

«Anderes Licht«, stimmte ich zu. Auch sie sah jetzt ungefähr zehn Jahre älter aus. Gut fünfzig, dachte ich. Barlicht schmeichelte immer.

«Die beiden sagten mir, Sie seien Maler. «Und leiser Vorbehalt klang in Maisies Worten nach.

«M-hm«, sagte ich und schaute hinter den aufgaloppierenden Startern her.

«Bringt nicht viel Geld, oder?«

Ich grinste sie an, denn ihre Direktheit gefiel mir.»Kommt drauf an, wer man ist. Picasso konnte nicht meckern.«

«Wieviel würden Sie verlangen, wenn Sie für mich ein Bild malen?«

«Was für ein Bild?«

«Nun, mein Lieber, Ihnen kommt’s vielleicht morbide vor, und vielleicht ist es das sogar, aber als ich heute morgen hierherfuhr, dachte ich, die verkohlte Ruine mit dem herausstehenden Kamin und der verbrannten Hecke und dem ganzen Meer dahinter — ich krieg wirklich jedesmal zuviel, wenn ich das sehe —, die gibt doch ein irres Bild ab, und ob ich nicht den Fotografen aus dem Ort, der Hochzeiten und so dokumentiert, ein Farbfoto davon machen lasse, denn wenn das erst mal geräumt und wieder aufgebaut ist, glaubt mir doch keiner mehr, wie schlimm das war, und zum Beweis dafür soll dann im neuen Haus das Bild hängen.«