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Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. »Grün. Und deine?«

»Orange«, sagt er.

»Orange? Wie Effies Haare?«, frage ich.

»Ein bisschen gedeckter«, erwidert er. »Eher so wie … der Sonnenuntergang.«

Der Sonnenuntergang. Sofort habe ich ein Bild vor Augen, den Rand der untergehenden Sonne, den Himmel, der in warmen Orangetönen gestreift ist. Wunderschön. Ich erinnere mich an den Lilienkeks, und jetzt, da Peeta wieder mit mir redet, fällt es mir schwer, nicht mit der ganzen Geschichte von Präsident Snow herauszuplatzen. Aber ich weiß, dass Haymitch das nicht gut fände. Ich halte mich lieber an unverfängliche Themen.

»Übrigens schwärmen ja alle von deinen Bildern. Schade, dass ich sie nicht gesehen habe«, sage ich.

»Ich hab einen ganzen Waggon voll.« Er steht auf und reicht mir eine Hand. »Komm.«

Das fühlt sich gut an, seine Finger wieder mit meinen verschränkt, nicht für die anderen, sondern aus Freundschaft. Hand in Hand gehen wir zurück zum Zug. An der Tür fällt es mir ein: »Ich muss erst zu Effie und mich entschuldigen.«

»Keine falsche Zurückhaltung«, sagt Peeta.

Als wir wieder im Speisewagen sind, wo die anderen immer noch essen, entschuldige ich mich so überschwänglich bei Effie, dass ich denke, es ist zu viel des Guten, doch für sie reicht es wahrscheinlich gerade eben, um meinen Fauxpas wieder wettzumachen. Immerhin nimmt sie die Entschuldigung gutmütig an. Sie sagt, sie verstehe schon, dass ich unter großem Druck stehe. Und dann redet sie nur ganze fünf Minuten davon, dass sich ja einer um den Zeitplan kümmern müsse. Ich bin also glimpflich davongekommen.

Als Effie fertig ist, gehe ich mit Peeta ein paar Wagen weiter und er zeigt mir seine Bilder. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Größere Versionen der Blumenkekse vielleicht. Aber das hier ist etwas vollkommen anderes. Peeta hat die Spiele gemalt.

Manche Bilder wären für jemanden, der nicht mit ihm in der Arena war, nicht sofort zu deuten. Wasser, das durch die Spalten in unserer Höhle tröpfelt. Der ausgetrocknete Tümpel. Zwei Hände, seine eigenen, die nach Wurzeln graben. Andere Bilder würde jeder Betrachter gleich erkennen. Das goldene Füllhorn. Clove, wie sie Messer in ihrer Jacke verstaut. Eine der Mutationen, unverkennbar die blonde mit den grünen Augen, die Glimmer darstellt; knurrend kommt sie auf uns zu. Und da bin ich. Ich bin überall. Wie ich hoch oben auf einem Baum sitze. Wie ich ein Hemd an die Felsen im Bach schlage. Wie ich bewusstlos in einer Blutlache liege. Ein Bild kann ich nicht einordnen - vielleicht habe ich so ausgesehen, als er hohes Fieber hatte -, da tauche ich aus einem silbergrauen Nebel auf. »Wie findest du sie?«, fragt er.

»Grauenhaft«, sage ich. Ich kann beinahe das Blut riechen, den Dreck, den künstlichen Atem der Mutation. »Ich versuche die ganze Zeit, die Arena zu vergessen, und du erweckst sie wieder zum Leben. Wie kommt es, dass du dich so genau an alles erinnerst?«

»Ich sehe es jede Nacht«, sagt er.

Ich weiß, was er meint. Albträume - die mir schon vor den Spielen nicht fremd waren - plagen mich jetzt immer, wenn ich schlafe. Dagegen ist das altbekannte Bild, das von meinem Vater, wie er in der Mine in Fetzen gerissen wird, selten geworden. Stattdessen erlebe ich verschiedene Variationen der Ereignisse in der Arena. Mein aussichtsloser Versuch, Rue zu retten. Peeta, wie er verblutet. Glimmers aufgedunsener Körper, der sich unter meinen Händen auflöst. Cato, dem die Mutationen ein entsetzliches Ende bereiten. Das sind meine häufigsten Besucher. »Ich auch. Hilft das? Wenn du sie malst?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube, ich hab dadurch etwas weniger Angst, abends schlafen zu gehen, jedenfalls sage ich mir das. Aber sie sind nicht verschwunden.«

»Vielleicht verschwinden sie nie. So wie bei Haymitch«, sage ich. Haymitch spricht nicht darüber, aber ganz bestimmt ist das der Grund dafür, dass er nicht im Dunkeln schlafen will.

»Kann sein. Aber für mich ist es besser, mit einem Pinsel in der Hand aufzuwachen als mit einem Messer«, sagt er. »Findest du sie echt grauenhaft?«

»Ja. Aber sie sind außergewöhnlich. Wirklich«, sage ich. Und das stimmt auch. Trotzdem, ich will sie nicht mehr ansehen. »Möchtest du mal mein Talent sehen? Cinna hat das super hingekriegt.«

Peeta lacht. »Später.« Der Zug setzt sich langsam in Bewegung, und durchs Fenster sehe ich, wie das Land an uns vorbeizieht. »Komm, wir sind fast in Distrikt 11. Das schauen wir uns mal an.«

Wir gehen durch bis zum letzten Waggon. Dort gibt es Sessel und Sofas, auf denen man sitzen kann, aber das Beste ist, dass sich die Heckscheiben so hochschieben lassen, dass man im Freien fährt, an der frischen Luft, und man kann weit in die Landschaft blicken. Endlose Felder, auf denen Rinderherden weiden. So ganz anders als unsere dicht bewaldete Heimat. Der Zug verlangsamt die Fahrt, und ich denke schon, dass wir gleich wieder halten, als sich vor uns ein Zaun erhebt. Er ist mindestens zehn Meter hoch und oben mit gemeinem Stacheldraht versehen - dagegen wirkt unser Zaun in Distrikt 12 geradezu läppisch. Schnell nehme ich den unteren Teil des Zauns in Augenschein, der aus gewaltigen Metallplatten besteht. Dort könnte man nicht drunter durchschlüpfen, sich nicht davonstehlen, um zu jagen. Dann sehe ich die Wachtürme, sie sind in gleichmäßigem Abstand aufgestellt und mit bewaffneten Wachen versehen. In dem Feld mit Wildblumen wirken sie fehl am Platz.

»Es ist ganz anders hier«, sagt Peeta.

Rue hatte mir bereits den Eindruck vermittelt, dass in Distrikt 11 die Regeln härter durchgesetzt werden. Aber so etwas hätte ich mir nie vorgestellt.

Jetzt fangen die Felder an, sie reichen, so weit das Auge blicken kann. Männer, Frauen und Kinder mit Strohhüten gegen die Sonne richten sich auf, drehen sich zu uns, recken einen Moment lang den Rücken und schauen dem vorbeifahrenden Zug nach. In der Ferne sehe ich Obstplantagen, und ich frage mich, ob Rue dort wohl gearbeitet hat, ob sie dort die Früchte von den zartesten Ästen ganz oben im Baum gepflückt hat. Kleine Ansiedlungen von Hütten hier und dort - im Vergleich zu ihnen sind die Häuser im Saum nobel -, doch sie sind alle verlassen. Für die Ernte werden wohl alle Hände gebraucht.

Es nimmt gar kein Ende. Ich kann kaum fassen, wie groß Distrikt 11 ist. »Was glaubst du, wie viele Leute hier leben?«, fragt Peeta. Ich schüttele den Kopf. In der Schule haben wir nur gelernt, dass es ein großer Distrikt ist, mehr nicht. Keine konkreten Bevölkerungszahlen. Aber die jungen Leute, die wir jedes Jahr in den Übertragungen sehen, wie sie auf die Auslosung der Tribute warten, können nur ein kleiner Teil derer sein, die hier leben. Wie machen sie das? Treffen sie eine Vorauswahl? Losen sie die Teilnehmer im Vorhinein aus und sorgen dafür, dass sie unter den Zuschauern sind? Wie kam es dazu, dass Rue auf der Bühne landete, niemand bei ihr, der ihren Platz hätte einnehmen können, nur der Wind?

Die Weite ermüdet mich allmählich, die Endlosigkeit der Landschaft. Als Effie kommt und sagt, wir sollen uns umziehen, protestiere ich nicht. Ich begebe mich in mein Abteil und lasse mich vom Vorbereitungsteam frisieren und schminken. Cinna kommt mit einem hübschen Kleid herein, orange mit einem Herbstblattmuster. Die Farbe wird Peeta gefallen.

Effie ruft Peeta und mich zu sich und erklärt uns noch ein letztes Mal den Tagesablauf. In manchen Distrikten fahren die Sieger durch die Stadt, während die Bewohner ihnen zujubeln. Doch in Distrikt 11 ist unser Auftritt auf den Hauptplatz beschränkt - vielleicht, weil es keine nennenswerte Stadt gibt, nur einzelne Siedlungen, oder vielleicht, weil sie während der Erntezeit nicht so viele Leute erübrigen wollen. Der Auftritt findet vor dem Justizgebäude statt, einem riesigen Marmorbau. Er muss einmal sehr prächtig gewesen sein, aber die Spuren der Zeit sind unübersehbar. Selbst im Fernsehen kann man erkennen, dass die bröckelnde Fassade von Efeu überwuchert und das Dach eingesunken ist. Der Platz selbst ist von heruntergekommenen Läden gesäumt, die meisten Geschäfte sind aufgegeben. Wo auch immer die Gutsituierten in Distrikt 11 leben, hier jedenfalls nicht.