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Ich schaue auf die Handschuhe. Nichts, was im Kapitol gemacht wurde? War das auf mich gemünzt? Meint er, ich bin jetzt auch bloß noch ein Produkt des Kapitols und deshalb unberührbar? Ich werde wütend, es ist so ungerecht. Aber in die Wut mischt sich Angst davor, was für eine Verrücktheit er wohl als Nächstes anstellt.

Ich lasse mich neben das Feuer sinken, ich brauche etwas Tröstliches, um den nächsten Schritt planen zu können. Ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass Revolutionen nicht an einem Tag gemacht werden. Vor morgen kann Gale nicht mit den Bergarbeitern sprechen. Wenn ich es vorher zu Hazelle schaffe, kann sie ihm vielleicht den Kopf zurechtrücken.

Aber jetzt kann ich nicht zu ihr. Falls er da ist, würde er mich aussperren. Vielleicht heute Nacht, wenn alle anderen schlafen … Hazelle hat oft bis in die Nacht mit ihrer Wäsche zu tun. Dann könnte ich zu ihr gehen, ans Fenster klopfen und ihr erklären, was los ist, damit sie Gale vor einer Dummheit bewahrt.

Mein Gespräch mit Präsident Snow im Arbeitszimmer fällt mir wieder ein.

»Meine Berater hatten Sorge, du könntest Schwierigkeiten machen, aber du hast nicht vor, Schwierigkeiten zu machen, oder?«, fragt er.

»Nein«, sage ich.

»Das habe ich ihnen auch gesagt. Ich habe gesagt, ein Mädchen, das so viel auf sich nimmt, um sein Leben zu retten, wird kein Interesse daran haben, es leichtfertig wegzuwerfen.«

Ich denke daran, wie hart Hazelle gearbeitet hat, um ihre Familie zu retten. Bestimmt wird sie in dieser Frage auf meiner Seite sein. Oder?

Es muss jetzt schon bald Mittag sein und die Tage sind so kurz. Nach Anbruch der Dunkelheit sollte man nicht im Wald sein, wenn es nicht unbedingt sein muss. Ich trete die Überreste meines kleinen Feuers aus, räume die Essensreste weg und stecke Cinnas Handschuhe unter den Gürtel. Ich werde sie wohl noch eine Weile behalten. Für den Fall, dass Gale seine Meinung ändert. Ich denke an seine Miene, als er sie weggeworfen hat. Wie sehr er sie abgelehnt hat und auch mich …

Ich stapfe durch den Wald bis zu meinem alten Haus, wo immer noch Licht brennt. Mein Gespräch mit Gale war ein harter Rückschlag, aber ich bin weiterhin entschlossen, aus Distrikt 12 zu fliehen. Als Nächstes nehme ich mir vor, Peeta zu suchen. Er hat auf der Tour ja teilweise dasselbe gesehen wie ich, vielleicht habe ich da mit ihm leichteres Spiel als mit Gale. Ich laufe ihm in die Arme, als er gerade aus dem Dorf der Sieger kommt.

»Auf der Jagd gewesen?«, fragt er. Ich sehe ihm an, dass er das für keine gute Idee hält.

»Nicht direkt. Gehst du in die Stadt?«, frage ich.

»Ja. Meine Familie erwartet mich zum Abendessen«, sagt er.

»Ich kann dich ja wenigstens begleiten.« Die Straße vom Dorf der Sieger zum zentralen Platz wird kaum benutzt. Dort kann man einigermaßen gefahrlos reden. Aber irgendwie bringe ich die Worte nicht über die Lippen. Bei Gale bin ich so kläglich gescheitert. Ich nage an meinen rissigen Lippen. Mit jedem Schritt kommen wir näher zum Platz. So bald wird sich vielleicht keine Gelegenheit mehr bieten. Ich hole tief Luft und lasse die Worte heraussprudeln. »Peeta, wenn ich dich bitten würde, mit mir aus dem Distrikt zu fliehen, würdest du es tun?«

Peeta fasst mich am Arm, hält mich an. Er braucht mir nicht ins Gesicht zu schauen, um sich zu vergewissern, dass ich es ernst meine. »Kommt drauf an, weshalb du fragst.«

»Ich habe Präsident Snow nicht überzeugt. In Distrikt 8 gibt es einen Aufstand. Wir müssen hier raus«, sage ich.

»Wen meinst du mit >wir<? Nur dich und mich? Nein. Wer soll noch mitkommen?«, fragt er.

»Meine Familie. Deine, wenn sie mitkommen wollen. Haymitch vielleicht«, sage ich.

»Und Gale?«, fragt er.

»Ich weiß nicht. Vielleicht hat er andere Pläne«, sage ich.

Peeta schüttelt den Kopf und lächelt mich betrübt an. »Das hat er garantiert. Klar, Katniss, ich komme mit.«

Ich sehe einen Hoffnungsschimmer. »Wirklich?«

»Ja. Aber ich glaube kein bisschen, dass du fliehen wirst«, sagt er.

Ich reiße mich los. »Dann kennst du mich aber schlecht. Halt dich bereit. Es kann jeden Moment so weit sein.« Ich laufe los und er folgt mir im Abstand von ein oder zwei Schritten.

»Katniss«, sagt Peeta. Ich verlangsame meine Schritte nicht. Wenn er die Idee nicht gut findet, will ich es nicht wissen, denn ich habe keine andere. »Katniss, bleib stehen.« Ich kicke einen schmutzigen gefrorenen Schneeklumpen vom Weg und warte, bis Peeta mich eingeholt hat. Mit dem Kohlenstaub sieht alles besonders hässlich aus. »Ich komme wirklich mit, wenn du das willst. Ich meine nur, wir sollten lieber mit Haymitch darüber reden. Nicht, dass wir für die Menschen hier alles noch schlimmer machen.« Er schaut hoch. »Was ist das?«

Ich hebe den Kopf. Ich war so mit meinen eigenen Sorgen beschäftigt, dass ich die merkwürdigen Geräusche, die vom Platz her kommen, gar nicht bemerkt habe. Ein Zischen, ein Knall, Menschen, die aufstöhnen.

»Komm weiter«, sagt Peeta, plötzlich mit harter Miene. Ich weiß nicht, warum. Ich kann das Geräusch nicht einordnen, habe keine Ahnung, was da los ist. Aber für ihn bedeutet es etwas Schlimmes.

Als wir auf den Platz kommen, sehe ich, dass irgendetwas los ist, aber die Menschen stehen so gedrängt, dass man nichts erkennen kann. Peeta steigt auf eine Kiste an der Wand des Süßwarengeschäfts und reicht mir eine Hand, während er über den Platz schaut. Ich bin schon fast oben, als er mir plötzlich den Weg verstellt. »Runter. Weg hier!« Er flüstert, doch seine Stimme ist hart und drängend.

»Was ist?«, frage ich und versuche, auf die Kiste zu steigen.

»Lauf nach Hause, Katniss! Ich bin sofort bei dir, ich schwöre es!«, sagt er.

Was es auch ist, es muss furchtbar sein. Ich reiße mich von seiner Hand los und zwänge mich durch die Menge. Die Leute sehen mich, erkennen mein Gesicht, dann werden sie panisch. Hände schieben mich zurück. Stimmen zischen.

»Hau ab hier, Mädchen.«

»Machst es nur schlimmer.«

»Was willst du? Sollen sie ihn umbringen?«

Aber jetzt klopft mein Herz schon so schnell und heftig, dass ich sie kaum höre. Ich weiß nur, dass das, was da mitten auf dem Platz wartet, für mich bestimmt ist. Als ich mich schließlich durchgekämpft habe und auf den offenen Platz gelange, sehe ich, dass ich recht habe. Und dass Peeta recht hatte. Und die Stimmen hatten auch recht.

Gale ist mit den Handgelenken an einen Holzpfahl gebunden. Über ihm hängt der Truthahn, den er geschossen hatte, ein Nagel geht durch den Hals des Tiers. Gales Jacke ist zu Boden geworfen worden, das Hemd haben sie ihm vom Leib gerissen. Er kniet bewusstlos auf der Erde, nur die Stricke an den Handgelenken halten ihn. Was einmal sein Rücken war, ist ein rohes, blutiges Stück Fleisch.

Hinter ihm steht ein Mann, den ich noch nie gesehen habe, doch die Uniform kenne ich. Sie gehört unserem Obersten Friedenswächter. Aber das hier ist nicht der alte Cray. Dieser Mann ist groß und muskulös und seine Hose hat ordentliche Bügelfalten.

Die Einzelteile wollen sich nicht zu einem Bild zusammenfügen, bis ich sehe, wie er den Arm mit der Peitsche hebt.

8

»Nein!«, schreie ich und mache einen Satz nach vorn. Der herabsausende Arm lässt sich nicht mehr aufhalten, und ich weiß instinktiv, dass ich nicht die Kraft habe, ihn abzuwehren. Stattdessen werfe ich mich genau zwischen Gale und die Peitsche. Ich reiße die Arme hoch, um seinen geschundenen Köper so gut wie möglich zu schützen, da ist nichts, was den Schlag ablenken könnte. Mit voller Wucht trifft er mich auf der linken Gesichtshälfte.