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»Haben sie dir auch den Laden dichtgemacht?«, frage ich.

»Nicht offiziell«, erklärt Hazelle. »Aber alle haben jetzt Angst, mir etwas zu geben.«

»Vielleicht wegen des Schnees«, sagt Peeta.

»Nein, Rory hat heute Morgen schnell eine Runde gemacht. Offenbar gibt es nichts zu waschen«, sagt Hazelle.

Rory schlingt die Arme um Hazelle. »Das wird schon.«

Ich nehme eine Handvoll Geld aus der Tasche und lege es auf den Tisch. »Meine Mutter wird etwas für Posy schicken.«

Als wir draußen sind, wende ich mich zu Peeta. »Geh du nach Hause. Ich will noch beim Hob vorbei.«

»Ich begleite dich«, sagt er.

»Nein. Du hast durch mich schon genug Scherereien«, sage ich.

»Und wenn ich jetzt nicht mit dir beim Hob vorbeischaue … dann wird alles wieder gut?« Lächelnd nimmt er meine Hand. Zusammen schlängeln wir uns durch die Straßen des Saums, bis wir zu dem brennenden Gebäude kommen. Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, dort Friedenswächter aufzustellen. Sie wussten, dass niemand versuchen würde, es zu retten.

Die Hitze der Flammen lässt den Schnee ringsum schmelzen, ein schwarzes Rinnsal läuft mir über die Schuhe. »Das ist der ganze Kohlenstaub von früher«, sage ich. In jeder Ritze und in jeder Spalte hat er gesteckt. War in die Bodendielen eingegraben. Es ist ein Wunder, dass das Ding nicht schon längst in Flammen aufgegangen ist. »Ich möchte nach Greasy Sae sehen.«

»Nicht heute, Katniss. Ich glaube, wir helfen niemandem, wenn wir bei ihnen reinschneien«, sagt er.

Wir gehen zurück zum Platz. Ich kaufe bei Peetas Vater ein bisschen Kuchen, während sie Belanglosigkeiten über das Wetter austauschen. Niemand erwähnt die hässlichen Folterwerkzeuge wenige Meter vor der Ladentür. Als wir den Platz verlassen, fällt mir noch auf, dass ich unter den Friedenswächtern kein einziges bekanntes Gesicht sehe.

In den folgenden Tagen wird alles nur noch schlimmer. Die Bergwerke bleiben zwei Wochen lang geschlossen und da hungert schon der halbe Distrikt. Die Anzahl der Kinder, die sich für Tesserasteine eintragen, schnellt in die Höhe, doch oft genug bekommen sie ihr Getreide gar nicht. Lebensmittel werden allmählich knapp, und selbst die Leute, die Geld haben, kehren mit leeren Händen aus den Geschäften zurück. Als die Bergwerke wieder öffnen, werden die Löhne gekürzt, die Arbeitszeiten verlängert, die Arbeiter werden an offensichtlich gefährlichen Stellen eingesetzt. Das für den Pakettag versprochene Essen, sehnlichst erwartet, trifft verdorben und von Ratten verseucht ein. Die Werkzeuge auf dem Platz kommen oft zum Einsatz. Menschen werden herbeigeschleift und für Vergehen bestraft, über die so lange hinweggesehen wurde, dass wir sie schon gar nicht mehr als solche betrachtet hatten.

Gale geht nach Hause, ohne dass wir noch einmal über die Rebellion gesprochen hätten. Aber irgendetwas sagt mir, dass alles, was er sieht, ihn in seinem Entschluss zurückzuschlagen nur noch bestärken wird. Die schlimmen Zustände in den Bergwerken, die gequälten Menschen auf dem Platz, der Hunger in den Gesichtern seiner Familie. Rory hat sich für Tesserasteine eingetragen, worüber Gale noch nicht mal sprechen kann, und es reicht immer noch nicht, weil Lebensmittel nicht jederzeit zu haben sind und immer teurer werden.

Der einzige Lichtblick ist, dass ich Haymitch überreden kann, Hazelle als Haushälterin anzustellen. So hat sie ein wenig zusätzliches Geld und Haymitch eine höhere Lebensqualität. Es ist merkwürdig, sein Haus so frisch und sauber zu sehen, mit warmem Essen auf dem Herd. Er merkt es kaum, weil er eine ganz andere Schlacht führt. Peeta und ich haben versucht, den Schnaps, so gut es ging, einzuteilen, aber er ist fast alle, und als ich Ripper das letzte Mal gesehen habe, stand sie am Pranger.

Wenn ich durch die Straßen gehe, komme ich mir vor wie eine Aussätzige. Alle meiden mich in der Öffentlichkeit. Doch zu Hause habe ich reichlich Gesellschaft. Immer neue Lieferungen von Kranken und Verletzten werden in die Küche zu meiner Mutter gebracht und sie nimmt schon lange kein Geld mehr für die Behandlungen. Ihr Vorrat an Heilmitteln ist so knapp geworden, dass sie die Patienten bald nur noch mit Schnee behandeln kann.

Der Wald ist natürlich verboten. Strengstens. Ohne jede Einschränkung. Nicht mal Gale stellt das jetzt infrage. Doch eines Morgens tue ich es. Und es ist nicht das Haus voller Kranker und Sterbender, das mich unter dem Zaun hindurchtreibt, es sind nicht die blutenden Rücken, die ausgemergelten Gesichter der Kinder, die marschierenden Stiefel, es ist nicht das allgegenwärtige Elend. Es ist eine Kiste mit Hochzeitskleidern, die eines Abends ankommt, darin eine Nachricht von Effie, in der sie schreibt, mit dieser Auswahl sei Präsident Snow persönlich einverstanden.

Die Hochzeit. Will er das wirklich durchziehen? Wozu soll das seinem verqueren Denken nach gut sein? Haben die Leute im Kapitol irgendetwas davon? Eine Hochzeit ist ihnen versprochen worden, eine Hochzeit sollen sie bekommen. Und dann bringt er uns um? Als Lektion für die Distrikte? Ich weiß es nicht. Ich werde daraus nicht schlau. Ich wälze mich im Bett hin und her, bis ich es nicht mehr aushalte. Ich muss hier raus. Wenigstens für ein paar Stunden.

Ich taste in meinem Schrank herum, bis ich die wasserdichte Winterausrüstung finde, die Cinna mir für meine Freizeit während der Siegertour gemacht hat. Wasserdichte Stiefel, ein Schneeanzug, der mich von Kopf bis Fuß bedeckt, Thermohandschuhe. Ich liebe meine alte Jagdkleidung, aber für den Marsch, den ich im Sinn habe, ist diese Hightechausrüstung besser geeignet. Auf Zehenspitzen gehe ich nach unten, packe mir die Jagdtasche mit Proviant voll und stehle mich aus dem Haus. Ich schleiche durch Seitenstraßen und abgelegene Gassen, bis ich zu der Lücke im Zaun in der Nähe von Fleischer Rooba gelange. Weil viele Arbeiter auf dem Weg zu den Bergwerken hier endangkommen, wimmelt es im Schnee von Fußspuren. Da fallen meine gar nicht auf. Sosehr Thread die Sicherheit verstärkt hat, den Zaun hat er vernachlässigt. Vielleicht dachte er sich, das raue Wetter und die wilden Tiere würden schon ausreichen, um die Menschen innerhalb der Grenzen zu halten. Trotzdem verwische ich hinter dem Maschendrahtzaun meine Spuren, bis sie sich zwischen den Bäumen verlieren.

Der Tag bricht gerade an, als ich mir Pfeil und Bogen schnappe und durch den hohen Schnee im Wald stapfe. Aus irgendeinem Grund will ich es unbedingt bis zum See schaffen. Vielleicht, um mich von ihm zu verabschieden und von meinem Vater, der glücklichen Zeit, die wir dort verbracht haben, weil ich weiß, dass ich wahrscheinlich nie zurückkehren werde. Vielleicht auch nur, um noch mal richtig durchzuatmen. In gewisser Weise ist es fast egal, ob sie mich erwischen, wenn ich den See nur noch einmal sehen kann.

Ich brauche für den Weg doppelt so lange wie sonst. Die Klamotten von Cinna halten die Wärme sehr gut; als ich ankomme, bin ich schweißnass unter dem Schneeanzug, während mein Gesicht taub ist vor Kälte. Die Wintersonne, die vom Schnee reflektiert wird, hat meinen Augen einen Streich gespielt, und ich bin so erschöpft und in meine trüben Gedanken vertieft, dass ich die Zeichen nicht bemerke. Den Rauchfaden, der aus dem Schornstein kommt, die frischen Fußspuren, den Geruch von dampfenden Kiefernnadeln. Ich bin schon wenige Meter vor der Tür des Betonhauses, als ich abrupt stehen bleibe. Und zwar nicht wegen des Rauchs oder der Fußspuren oder des Geruchs. Sondern wegen des unverkennbaren Klickens einer Waffe hinter mir.

Instinkt. Intuition. Ich drehe mich um und spanne den Bogen, obwohl ich schon weiß, dass meine Chancen schlecht stehen. Ich sehe die weiße Friedenswächter-Uniform, das spitze Kinn, die hellbraune Iris, in der mein Pfeil landen wird. Doch die Waffe fällt zu Boden und die unbewaffnete Frau hält mir mit der behandschuhten Hand etwas hin.

»Halt!«, schreit sie.

Ich schwanke, ich kann diesen Wandel nicht einordnen. Vielleicht haben sie den Befehl, mich lebend zu fangen, damit sie mich durch Folter dazu bringen können, alle zu verraten, die ich kenne. Na, dann viel Glück, denke ich. Meine Finger sind schon fast entschlossen, den Pfeil loszulassen, als ich den Gegenstand in dem Handschuh sehe. Es ist ein kleines weißes Brot, flach und rund. Eigentlich eher ein Kräcker. Grau und pappig am Rand. Doch in der Mitte ist ganz deutlich ein Bild zu erkennen.