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Sobald die Sendung vorüber ist, stehe ich auf, danke Cinna und Portia für ihre tolle Arbeit und gehe schlafen. Effie erinnert noch daran, dass wir uns zeitig zum Frühstück treffen wollen, um unsere Trainingsstrategie zu besprechen, aber selbst ihre Stimme klingt hohl. Arme Effie. Mit Peeta und mir hatte sie endlich mal ein anständiges Jahr bei den Spielen, und jetzt ist alles so durcheinandergeraten, dass selbst sie das Ganze nicht ins Positive drehen kann. Und das, nehme ich an, ist für Leute aus dem Kapitol eine echte Tragödie.

Gleich nachdem ich mich hingelegt habe, klopft es leise an meine Tür, aber ich ignoriere es. Ich möchte Peeta heute Nacht nicht bei mir haben. Schon gar nicht, wenn Darius in der Nähe ist. Das ist fast so schlimm, als ob Gale hier wäre. Gale. Wie könnte ich ihn loslassen, während Darius durch die Flure spukt?

In meinen Albträumen sind diesmal Zungen die Hauptdarsteller. Erst schaue ich starr und hilflos zu, wie behandschuhte Hände die blutige Amputation in Darius’ Mund ausführen. Dann bin ich auf einer Party, wo alle Masken tragen und jemand mit einer zuckenden nassen Zunge - Finnick, nehme ich an - mir nachstellt, doch als er mich fängt und seine Maske abzieht, ist es Präsident Snow, und von seinen Wulstlippen tropft blutiger Speichel. Schließlich bin ich wieder in der Arena, meine Zunge ist so trocken wie Sandpapier, während ich versuche, einen Wassertümpel zu erreichen, der jedes Mal, wenn ich ihn berühren will, zurückweicht.

Ich wache auf, taumele ins Bad, trinke Wasser aus dem Hahn, bis ich nicht mehr kann. Ich streife die verschwitzten Kleider ab, lasse mich nackt zurück ins Bett fallen und schlafe irgendwie wieder ein.

Am nächsten Morgen trödele ich so gut es geht, denn ich habe nicht die geringste Lust, unsere Trainingsstrategie zu besprechen. Was gibt es da zu besprechen? Jeder Sieger weiß doch bereits, was die anderen draufhaben. Oder mal draufgehabt haben. Peeta und ich werden weiter die Verliebten spielen, mehr nicht. Irgendwie ist mir nicht danach, darüber zu reden, besonders wenn Darius stumm dabeisteht. Ich dusche ausgiebig, ziehe gemächlich die Sachen an, die Cinna mir fürs Training bereitgelegt hat, und bestelle über eine Sprechanlage von der Speisekarte Essen aufs Zimmer. Kurz darauf erscheinen Würstchen, Eier, Bratkartoffeln, Brot, Saft und heiße Schokolade. Ich esse mich satt und versuche das Ganze bis zehn Uhr in die Länge zu ziehen, wenn wir hinunter ins Trainingscenter müssen. Um halb zehn wummert ein offenbar stinksaurer Haymitch gegen die Tür und befiehlt mir, in den Speisesaal zu kommen, und zwar SOFORT! Aber ich putze mir erst noch gemächlich die Zähne, bevor ich mich aufmache, den Flur hinunterzuschlendern, womit ich weitere fünf Minuten schinde.

Der Speisesaal ist leer bis auf Peeta und Haymitch, dessen Gesicht von Alkohol und Ärger gerötet ist. Am Arm trägt er einen massiv goldenen Armreif mit Flammenmuster, den er unglücklich dreht - das muss sein Beitrag zu Effies Partnerlook-Plan sein. Ein wirklich hübscher Armreif, aber die Bewegung lässt ihn so aussehen wie etwas, das einengt, eher eine Fessel als ein Schmuckstück. »Du kommst zu spät«, schnauzt Haymitch mich an.

»Tut mir leid. Ich hab verschlafen, nachdem ich die halbe Nacht von verstümmelten Zungen geträumt habe.« Ich möchte feindselig klingen, doch am Ende des Satzes stockt meine Stimme.

Haymitch wirft mir einen finsteren Blick zu, dann lenkt er ein. »Okay, macht nichts. Heute beim Training hast du zwei Aufgaben. Nummer eins: verliebt sein.«

»Natürlich«, sage ich.

»Nummer zwei: Freundschaften schließen«, fährt Haymitch fort.

»Nein«, sage ich. »Ich traue keinem von denen, die meisten kann ich nicht ausstehen. Ich würde mich lieber nur auf uns beide verlassen.«

»Das habe ich auch erst gesagt, aber …«, hebt Peeta an.

»Aber das wird nicht reichen«, sagt Haymitch mit Nachdruck. »Diesmal werdet ihr mehr Verbündete brauchen.«

»Warum?«, frage ich.

»Weil ihr im Nachteil seid. Eure Konkurrenten kennen einander seit Jahren. Was glaubst du also, wen werden sie als Erste ins Visier nehmen?«, fragt er.

»Uns. Und gegen alte Freundschaften kommen wir sowieso nicht an«, sage ich. »Warum also einen Gedanken darauf verschwenden?«

»Weil ihr kämpfen könnt. Die Leute mögen euch. Das könnte euch durchaus zu erstrebenswerten Verbündeten machen. Aber nur, wenn ihr den anderen zeigt, dass ihr bereit seid, euch mit ihnen zusammenzutun«, sagt Haymitch.

»Wir sollen dieses Jahr also mit der Meute der Karrieros gemeinsame Sache machen?«, frage ich und kann meinen Widerwillen nicht verhehlen. Traditionell schließen sich die Tribute aus den Distrikten 1, 2 und 4 zusammen, nehmen manchmal noch ein paar herausragende Kämpfer von den anderen in ihren Kreis auf und machen Jagd auf die Schwächeren.

»War das nicht unsere Strategie? Zu trainieren wie die Karrieros?«, entgegnet Haymitch. »Und wer zur Meute der Karrieros gehört, das wird normalerweise schon vor Beginn der Spiele ausgemacht. Letztes Jahr hat Peeta es nur mit Ach und Krach noch geschafft, aufgenommen zu werden.«

Ich erinnere mich gut, welchen Abscheu ich bei den letzten Spielen empfand, als ich mitbekam, dass Peeta mit den Karrieros gemeinsame Sache machte. »Wir sollen uns also mit Finnick und Brutus gut stellen - willst du das sagen?«

»Nicht unbedingt. Alle dort sind Sieger. Wenn ihr es für richtig haltet, könnt ihr auch eure eigene Meute zusammenstellen. Nehmt, wen ihr wollt. Ich schlage Chaff und Seeder vor. Und Finnick sollte man auch nicht außer Acht lassen«, sagt Haymitch. »Tut euch mit denen zusammen, die euch nützlich sein können. Vergesst nicht, ihr seid nicht mehr Teil einer bibbernden Kinderschar. Diese Leute sind allesamt erfahrene Killer, auch wenn sie nicht so aussehen.«

Möglicherweise hat er recht. Nur, wem könnte ich trauen? Seeder vielleicht. Aber möchte ich mit ihr wirklich einen Pakt schließen, nur um sie später womöglich töten zu müssen? Nein. Obwohl, mit Rue habe ich mich damals unter den gleichen Umständen auch verbündet. Ich sage Haymitch, dass ich es versuchen werde, doch insgeheim denke ich, dass ich dabei ziemlich schlecht aussehen werde.

Effie erscheint ein bisschen früher, um uns nach unten zu bringen, denn im vergangenen Jahr waren wir die Letzten, obwohl wir pünktlich kamen. Aber Haymitch möchte nicht, dass sie mit uns hinunter in die Turnhalle fährt. Keiner der anderen Sieger wird in Begleitung eines Babysitters erscheinen, und da wir die Jüngsten sind, ist es umso wichtiger, selbstsicher aufzutreten. So muss sie sich damit zufriedengeben, uns zum Aufzug zu begleiten und den Knopf zu drücken, während sie sich über unsere Frisuren aufregt.

Die Fahrt ist so kurz, dass keine Zeit für eine Unterhaltung bleibt, doch als Peeta meine Hand nimmt, ziehe ich sie nicht weg. Gestern Nacht habe ich ihn zurückgewiesen, aber beim Training müssen wir als Einheit auftreten.

Effie hätte sich gar keine Sorgen machen müssen, dass wir zu spät kommen. Nur Brutus und Enobaria, die Frau aus Distrikt 2, sind da. Enobaria ist um die dreißig, und ich weiß über sie nur noch, dass sie in einem Handgemenge einen Tribut getötet hat, indem sie ihm mit den Zähnen die Kehle aufgerissen hat. Dadurch wurde sie so berühmt, dass sie sich nach ihrem Sieg die Zähne neu machen ließ. Sie laufen jetzt alle spitz zu wie Reißzähne und haben ein Goldinlay. Über fehlende Bewunderer im Kapitol kann Enobaria sich nicht beklagen.

Um zehn Uhr ist erst etwa die Hälfte der Tribute da. Atala, die das Training leitet, lässt sich davon nicht beeindrucken und beginnt pünktlich mit ihrer Ansprache. Vielleicht hatte sie schon damit gerechnet, dass viele nicht auftauchen würden. Ich bin irgendwie erleichtert, denn das bedeutet, dass ein Dutzend weniger Leute da ist, denen ich Freundschaft vorheucheln muss. Atala geht die einzelnen Stationen mit den Kampf-und Überlebenstechniken durch und entlässt uns ins Training.