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Ich bin das Mädchen aus Distrikt 12 und deshalb komme ich als Letzte dran. Je mehr Tribute zu ihrem Auftritt gerufen werden, desto stiller wird es im Speisesaal. Zu mehreren fällt es leichter, respektlos und unbesiegbar zu wirken, wie wir es uns alle angewöhnt haben. Bei jedem, der durch die Tür geht, denke ich unwillkürlich, dass er höchstens noch ein paar Tage zu leben hat.

Schließlich sind nur noch Peeta und ich übrig. Er fasst über den Tisch meine Hände. »Hast du dich schon entschieden, was du den Spielmachern zeigen willst?«

Ich schüttele den Kopf. »Ich kann sie nicht noch einmal als Zielscheibe benutzen, wegen des Kraftfelds. Vielleicht bastele ich ein paar Angelhaken. Und du?«

»Keine Ahnung. Ich wünsche mir die ganze Zeit, ich könnte einen Kuchen backen oder so was«, sagt er.

»Mach was mit Tarnung«, schlage ich vor.

»Falls die Morfixer mir etwas übrig gelassen haben«, sagt er spöttisch. »Das ganze Training über sind sie an dieser einen Station geblieben wie festgeklebt.«

Wir sitzen eine Weile still da, dann platze ich mit der Sache heraus, die uns beiden auf der Seele liegt. »Wie sollen wir es nur anstellen, diese Leute zu töten, Peeta?«

»Ich weiß es nicht.« Er legt die Stirn auf unsere umschlungenen Hände.

»Ich will sie nicht als Verbündete haben. Warum wollte Haymitch, dass wir sie kennenlernen?«, sage ich. »Das wird es viel schwieriger machen als beim letzten Mal. Rue einmal ausgenommen. Aber ich glaube, sie hätte ich sowieso nie töten können. Sie war Prim einfach zu ähnlich.«

Peeta schaut zu mir hoch, die Brauen nachdenklich zusammengezogen. »Ihr Tod war der abscheulichste, nicht wahr?«

»Keiner war besonders schön«, sage ich und muss an Glimmers und Catos Ende denken.

Dann wird Peeta hereingerufen und ich warte ganz allein. Fünfzehn Minuten vergehen, eine halbe Stunde. Erst nach fast vierzig Minuten werde ich aufgerufen.

Als ich hineinkomme, nehme ich den scharfen Geruch von Putzmittel wahr und bemerke, dass eine der Matten in die Mitte des Raums gezogen wurde. Die Stimmung ist ganz anders als letztes Jahr, als die Spielmacher halb betrunken und eigentlich nur damit beschäftigt waren, Leckerbissen vom Büfett zu picken. Sie flüstern miteinander und wirken leicht ungehalten. Was hat Peeta getan? Hat er sie gegen sich aufgebracht?

Plötzlich mache ich mir Sorgen. Das ist nicht gut. Ich möchte nicht, dass Peeta den Zorn der Spielmacher auf sich zieht. Das ist meine Aufgabe. Peeta aus der Schusslinie zu bringen. Aber womit hat er sie bloß gegen sich aufgebracht? Ich würde es ihm gern gleichtun, und noch mehr. Die selbstgefällige Fassade dieser Leute durchbrechen, die ihren Grips darauf verwenden, sich amüsante Todesarten für uns auszumalen. Ihnen klarzumachen, dass nicht nur wir den Grausamkeiten des Kapitols schutzlos ausgesetzt sind, sondern auch sie selbst.

Habt ihr überhaupt eine Ahnung, wie sehr ich euch hasse?, denke ich. Euch, die ihr eure Talente in den Dienst der Spiele stellt?

Ich versuche, Plutarch Heavensbee in die Augen zu schauen, aber er scheint mich genauso demonstrativ zu ignorieren wie während der ganzen Trainingsphase schon. Mir fällt ein, wie er mich zum Tanzen aufgefordert hat, wie erfreut er war, als er mir den Spotttölpel auf seiner Uhr zeigte. Für derartige Freundlichkeiten ist hier kein Platz. Wie auch, schließlich bin ich ein einfacher Tribut und er ist der Oberste Spielmacher. So mächtig, so unerreichbar, so sicher …

Plötzlich weiß ich, was ich tun werde. Etwas, das alles, was Peeta getan haben mag, in den Schatten stellen wird. Ich gehe zur Knotenstation und nehme ein Seil. Ich versuche mich an einem bestimmten Knoten, aber es ist schwer, denn diesen Knoten habe ich noch nie selbst gemacht. Ich habe nur ein Mal Finnicks geschickten Fingern dabei zugeschaut, und damals ist alles so schnell gegangen. Nach zehn Minuten habe ich dann aber doch eine passable Schlinge zustande gebracht. Ich befestige sie an einer Klimmzugstange, ziehe eine der Zielpuppen in die Mitte des Raums, hebe sie hoch und lege ihr die Schlinge um den Hals, sodass sie an der Stange herunterbaumelt. Ich könnte ihr jetzt noch die Hände auf den Rücken binden, das wäre ein nettes Detail, aber dafür wird die Zeit vielleicht zu knapp. Ich renne zur Tarnstation, wo irgendwelche Tribute, bestimmt die Morfixer, eine Riesensauerei veranstaltet haben. Trotzdem finde ich noch einen angebrochenen Behälter mit blutrotem Beerensaft, der für meine Zwecke vollkommen ausreicht. Der fleischfarbene Stoff der Puppenhaut bildet eine gute, aufnahmefähige Leinwand. Sorgfältig und so, dass die Spielmacher es nicht sehen können, male ich mit den Fingern zwei Wörter auf den Puppenkörper. Dann trete ich rasch beiseite, um die Reaktion in den Gesichtern der Spielmacher zu beobachten, als sie den Namen auf der Puppe lesen.

SENECA CRANE.

17

Die Wirkung auf die Spielmacher ist prompt und zufriedenstellend. Einige stoßen spitze Schreie aus. Anderen fällt das Weinglas aus der Hand und zerschellt mit Getöse auf dem Boden. Zwei scheinen in Ohnmacht fallen zu wollen. Allenthalben erschrockene Gesichter.

Jetzt habe ich die Aufmerksamkeit von Plutarch Heavensbee. Während ihm der Saft des Pfirsichs, den er in der Hand zerquetscht hat, durch die Finger rinnt, starrt er mich schweigend an. Schließlich räuspert er sich und sagt: »Sie können jetzt gehen, Miss Everdeen.«

Ich nicke ehrerbietig und wende mich zum Gehen, doch dann kann ich nicht widerstehen und werfe die Dose mit dem Beerensaft hinter mich. Ich höre, wie der Inhalt gegen die Puppe klatscht, während weitere Weingläser zerschellen. Kurz bevor sich die Tür des Aufzugs schließt, sehe ich gerade noch, dass niemand sich gerührt hat.

Damit haben sie nicht gerechnet, denke ich. Es war unüberlegt und gefährlich und zweifellos werde ich zehnfach und mehr dafür bezahlen müssen. Doch für den Augenblick empfinde ich fast so etwas wie Euphorie und genieße es einfach.

Ich möchte sofort zu Haymitch und ihm von meiner Einzelstunde erzählen, aber es ist niemand da. Vermutlich machen sie sich alle fürs Abendessen zurecht, also beschließe ich, auch zu duschen, denn meine Hände kleben von dem Saft. Unter dem Wasserstrahl überlege ich, ob es klug war, was ich da eben gemacht habe. Mein Handeln sollte jetzt eigentlich immer von der Frage geleitet werden: »Helfe ich damit Peeta, am Leben zu bleiben?« Für diese Aktion trifft das wohl nicht zu, wenn auch indirekt. Was beim Training geschieht, ist streng geheim, und wenn niemand erfährt, was ich angestellt habe, gibt es auch keinen Grund, gegen mich vorzugehen. Letztes Jahr wurde ich für meine Dreistigkeit sogar belohnt. Doch das hier ist eine Art Verbrechen. Wenn die Spielmacher wütend auf mich sind und beschließen, mich in der Arena zu bestrafen, könnte auch Peeta davon betroffen sein. Vielleicht war ich zu impulsiv. Trotzdem … ich kann nicht behaupten, dass ich es bereue.

Als wir uns alle zum Abendessen versammeln, sehe ich Farbflecken auf Peetas Händen, obwohl seine Haare noch feucht sind vom Duschen. Anscheinend hat er doch irgendeine Tarnung vorgeführt. Als die Suppe serviert wird, spricht Haymitch direkt an, was alle beschäftigt. »Und, wie ist eure Einzelstunde gelaufen?«

Ich tausche einen Blick mit Peeta. Irgendwie bin ich nicht so scharf darauf, das, was ich getan habe, in Worte zu fassen. In der Stille des Speisesaals wirkt es so ungeheuerlich. »Du zuerst«, sage ich. »Das muss ja wirklich was Besonderes gewesen sein. Ich musste vierzig Minuten warten, bis ich reindurfte.«

Peeta wirkt ebenso unwillig wie ich. »Also, ich … ich hab diese Tarnungsnummer vorgeführt, wie du vorgeschlagen hast, Katniss.« Er zögert. »Tarnung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Ich meine, ich hab was mit Farben gemacht.«