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»Und was?«, fragt Portia.

Mir fällt wieder ein, wie ungehalten die Spielmacher wirkten, als ich zu meiner Einzelstunde in die Turnhalle kam. Der Geruch nach Putzmittel. Die Matte über dem Fleck in der Mitte der Turnhalle. Wollten sie damit etwas verdecken, was sich nicht entfernen ließ? »Du hast was gemalt, oder? Ein Bild.«

»Hast du es gesehen?«, fragt Peeta.

»Nein. Aber sie haben sich große Mühe gegeben, es zu verdecken«, sage ich.

»Das ist ja nichts Besonderes. Kein Tribut darf erfahren, was die anderen gemacht haben«, sagt Effie unbeeindruckt. »Was hast du gemalt, Peeta?« Ihr Blick wird weich. »Ein Bild von Katniss?«

»Wieso sollte er ein Bild von mir malen, Effie?«, frage ich leicht verärgert.

»Um zu zeigen, dass er alles Menschenmögliche tun wird, um dich zu beschützen. Das erwarten sowieso alle im Kapitol. Hat er sich nicht freiwillig gemeldet, um mit dir in die Arena zu gehen?«, sagt Effie, als wäre es das Offensichtlichste auf der Welt.

»Ich habe aber ein Bild von Rue gemalt«, sagt Peeta. »Wie sie aussah, als Katniss sie mit Blumen bedeckt hatte.«

Am Tisch bleibt es lange still, während alle die Worte verdauen.

»Und was genau wolltest du damit bezwecken?«, fragt Haymitch, der sich nur mit Mühe beherrschen kann.

»Ich weiß nicht recht. Ich wollte sie zur Verantwortung ziehen, und sei es nur für einen Augenblick«, sagt Peeta. »Dafür, dass sie das kleine Mädchen ermordet haben.«

»Das ist entsetzlich.« Effie hört sich so an, als würde sie gleich anfangen zu weinen. »So zu denken … das ist verboten, Peeta. Absolut. Damit bringst du dich und Katniss nur in Schwierigkeiten.«

»Da muss ich Effie zustimmen«, sagt Haymitch. Portia und Cinna schweigen, aber ihre Gesichter sind todernst. Natürlich haben sie recht. Doch obwohl es mich mit Sorge erfüllt - ich finde das, was Peeta getan hat, bewundernswert.

»Wahrscheinlich ist das jetzt kein guter Moment zu erwähnen, dass ich eine Puppe erhängt und den Namen Seneca Cranes daraufgeschrieben habe«, sage ich. Meine Worte haben den gewünschten Effekt. Nach einem Augenblick der Fassungslosigkeit trifft mich das gesammelte Missfallen im Raum wie ein Hammer.

»Du … hast … Seneca Crane erhängt?«, sagt Cinna.

»Ja. Ich hab meine neuen Knotentechniken vorgeführt und irgendwie ist er in die Schlinge geraten«, sage ich.

»Oh, Katniss«, sagt Effie gedämpft. »Woher weißt du überhaupt davon?«

»Ist das ein Geheimnis? Präsident Snow hat nicht so getan, als ob es eins wäre. Er schien sogar ganz wild darauf zu sein, dass ich davon erfahre«, sage ich. Effie steht vom Tisch auf und rennt hinaus, eine Serviette vors Gesicht gepresst. »Jetzt habe ich Effie aufgeregt. Ich hätte lügen und erzählen sollen, ich hätte ein paar Pfeile abgeschossen.«

»Man könnte meinen, wir hätten das geplant«, sagt Peeta und sieht mich mit einem schwachen Lächeln an.

»Habt ihr das nicht?«, fragt Portia. Sie hält sich mit den Fingern die Lider zu, als müsste sie die Augen vor einem grellen Licht schützen.

»Nein«, sage ich und schaue Peeta mit neuer Hochachtung an. »Als wir reingingen, hatten wir noch gar keine Ahnung, was wir machen sollten.«

»Und übrigens, Haymitch«, sagt Peeta. »Wir haben beschlossen, dass wir in der Arena keine weiteren Verbündeten haben wollen.«

»Das ist gut. Dann bin ich nicht dafiir verantwortlich, wenn ihr mit eurer Dämlichkeit einen meiner Freunde umbringt«, sagt er.

»Genau das haben wir uns auch gedacht«, sage ich.

Schweigend essen wir zu Ende, aber als wir aufstehen, um in den Salon zu gehen, legt Cinna mir den Arm um und drückt mich. »Komm, jetzt holen wir uns die Bewertungen für die Einzelstunde ab.«

Wir versammeln uns um den Fernseher und Effie gesellt sich mit verweinten Augen dazu. Die Gesichter der Tribute erscheinen, ein Distrikt nach dem anderen, und unter den Porträts leuchten die Punktzahlen auf. Von eins bis zwölf. Die erwartungsgemäß hohen Wertungen für Cashmere, Gloss, Brutus, Enobaria und Finnick. Mittel bis niedrig für die Übrigen.

»Gab es auch schon mal null Punkte?«, frage ich.

»Nein, aber es gibt immer ein erstes Mal«, antwortet Cinna.

Und damit hat er recht. Denn Peeta und ich bekommen beide eine Zwölf und das ist in der Geschichte der Hungerspiele noch nie vorgekommen. Doch niemandem ist nach Feiern zumute.

»Warum haben sie das gemacht?«, frage ich.

»Damit den anderen gar nichts anderes übrig bleibt, als euch ins Visier zu nehmen«, sagt Haymitch rundheraus. »Geht ins Bett. Ich kann euch jetzt nicht mehr sehen.«

Schweigend begleitet Peeta mich zu meinem Zimmer, doch bevor er Gute Nacht sagen kann, schlinge ich die Arme um ihn und lege den Kopf an seine Brust. Seine Hände wandern meinen Rücken hoch und seine Wange ruht an meinem Haar. »Tut mir leid, wenn ich alles noch schlimmer gemacht hab«, sage ich.

»Nicht schlimmer als ich. Warum hast du das denn getan?«, sagt er.

»Ich weiß nicht. Vielleicht, um ihnen zu zeigen, dass ich mehr bin als eine Figur in ihren Spielen.«

Er lacht leise, bestimmt denkt er an letztes Jahr, an die Nacht vor den Spielen. Da waren wir auf dem Dach, keiner von uns konnte schlafen. Damals hat Peeta auch so etwas in der Art gesagt, aber ich verstand nicht, was er meinte. Jetzt verstehe ich es.

»Ich auch«, sagt er. »Und ich will auch gar nicht sagen, dass ich es nicht versuchen werde. Dich nach Hause zu bekommen, meine ich. Aber wenn ich ganz ehrlich sein soll …«

»Wenn du ganz ehrlich sein sollst, dann glaubst du, dass Präsident Snow Anweisung gegeben hat, dafür zu sorgen, dass wir ohnehin in der Arena sterben«, sage ich.

»Diesen Gedanken hatte ich, ja«, sagt Peeta.

Auch mir ist dieser Gedanke gekommen. Und nicht nur einmal. Doch während ich mir sicher bin, dass ich die Arena auf keinen Fall lebend verlassen werde, hoffe ich noch immer, dass Peeta es schafft. Schließlich hat nicht er die Beeren herausgeholt, sondern ich. Niemand hat je daran gezweifelt, dass Peeta dem Kapitol nur aus Liebe Widerstand geleistet hat. Also lässt Präsident Snow ihn vielleicht lieber am Leben - niedergeschmettert, mit gebrochenem Herzen, als lebende Warnung für andere.

»Aber selbst wenn, werden alle wissen, dass wir gekämpft haben, stimmt’s?«, sagt Peeta.

»Genau«, sage ich. Und zum ersten Mal habe ich Abstand zu meiner eigenen Tragödie, die mich seit der Verkündung des Jubel-Jubiläums beschäftigt hat. Ich denke an den alten Mann, den sie in Distrikt 11 niedergeschossen haben, und an Bonnie und Twill und die Gerüchte über die Aufstände. Ja, alle in den Distrikten werden mir zuschauen, um zu sehen, wie ich mit dieser Todesstrafe umgehe, mit dieser letzten Machtdemonstration von Präsident Snow. Sie werden nach einem Zeichen Ausschau halten, dass ihre Kämpfe nicht vergebens waren. Wenn ich deutlich machen kann, dass ich mich dem Kapitol bis zum Ende widersetze, dann wird man zwar mich getötet haben … nicht jedoch meinen Geist. Gibt es eine bessere Möglichkeit, den Rebellen Hoffnung zu machen?

Das Schöne an dieser Idee ist, dass schon meine Entscheidung, Peeta zu retten, indem ich mein eigenes Leben opfere, einen Akt des Widerstands darstellt. Eine Weigerung, die Hungerspiele nach den Regeln des Kapitols zu spielen. Meine privaten Interessen sind im Einklang mit meinen politischen. Und wenn ich Peeta wirklich retten könnte … Für eine Revolution wäre das optimal. Denn tot bin ich mehr wert als lebendig. Sie können mich zu einer Märtyrerin erheben und mein Gesicht auf Fahnen malen, und das wird die Leute besser mobilisieren, als eine lebende Katniss es könnte. Aber Peeta wird lebendig mehr wert sein, als tragischer Held wird er seinen Schmerz in Worte fassen können, die die Menschen verändern.

Peeta würde ausrasten, wenn er wüsste, dass ich so etwas denke, deshalb sage ich nur: »Und was sollen wir mit unseren letzten Tagen anfangen?«