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»Ich würde gern jede Minute meines restlichen Lebens mit dir verbringen«, antwortet er.

»Dann komm«, sage ich und ziehe ihn in mein Zimmer.

Es ist der reine Luxus, wieder mit Peeta in einem Bett zu schlafen. Erst jetzt merke ich, wie sehr es mich nach menschlicher Nähe verlangt. Nach seinem Körper neben mir in der Dunkelheit. Hätte ich die letzten Nächte doch nicht vergeudet, indem ich ihn aussperrte. Ich lasse mich in den Schlaf sinken, eingehüllt in seine Wärme, und als ich die Augen öffne, flutet das Tageslicht durch die Fenster herein.

»Keine Albträume«, sagt er.

»Keine Albträume«, bestätige ich. »Und du?«

»Auch keine. Ich hatte schon ganz vergessen, wie es ist, eine Nacht richtig zu schlafen.«

Eine Weile liegen wir da, wir haben es nicht eilig, den Tag zu beginnen. Morgen Abend sind die Fernsehinterviews, also werden Effie und Haymitch uns heute darauf vorbereiten. Schon wieder hochhackige Schuhe und sarkastische Bemerkungen, denke ich. Doch dann bringt uns das rothaarige Avoxmädchen einen Zettel von Effie, auf dem steht, dass sie und Haymitch nach der Tour durch die Disktrikte der Meinung seien, dass wir uns in der Öffentlichkeit angemessen zu verhalten wüssten. Die Vorbereitungssitzungen sind gestrichen.

»Echt?«, sagt Peeta, nimmt mir den Zettel aus der Hand und wirft einen Blick darauf. »Weißt du, was das heißt? Wir haben den ganzen Tag für uns!«

»Schade, dass wir nirgendwohin können«, sage ich wehmütig.

»Wer sagt das?«, fragt er.

Das Dach. Wir bestellen jede Menge Essen, schnappen uns ein paar Decken und verziehen uns zu einem Picknick aufs Dach. Ein Picknick von morgens bis abends im Blumengarten, in dem überall die Windspiele klimpern. Wir essen. Wir liegen in der Sonne. Ich breche herabhängende Lianen ab und nutze mein neues Wissen aus dem Training, um Knoten zu machen und Netze zu knüpfen. Peeta zeichnet mich. Wir erfinden ein Spiel mit dem Kraftfeld, von dem das Dach umgeben ist - einer wirft einen Apfel hinein, und der andere muss ihn fangen.

Niemand stört uns. Am späten Nachmittag liege ich mit dem Kopf in Peetas Schoß und flechte einen Blumenkranz, während er die Hände in meinem Haar hat, um Knoten zu üben, wie er behauptet. Nach einer Weile verharren seine Hände. »Was ist?«, frage ich.

»Am liebsten würde ich diesen Augenblick anhalten, hier und jetzt, und für immer darin leben«, sagt er.

Normalerweise bekomme ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen und fühle mich schrecklich, wenn er solche Bemerkungen macht und auf seine unsterbliche Liebe zu mir anspielt. Doch in diesem Moment fühle ich mich so warm und entspannt, so weit entfernt von der Sorge um eine Zukunft, die ich niemals haben werde, dass ich das Wort einfach hinausschlüpfen lasse. »Okay.«

Ich höre das Lächeln in seiner Stimme. »Dann lässt du es zu?«

»Ich lasse es zu«, sage ich.

Er vergräbt die Finger wieder in meinem Haar, und ich döse ein, doch zum Sonnenuntergang weckt er mich. Es ist ein spektakulärer gelborangefarbener Lichtschein hinter der Skyline des Kapitols. »Den willst du dir bestimmt nicht entgehen lassen, dachte ich mir«, sagt er.

»Danke«, sage ich. Ich kann die Sonnenuntergänge, die mir noch bleiben, an den Fingern abzählen, und keinen davon möchte ich versäumen.

Zum Abendessen gehen wir nicht zu den anderen, es ruft uns auch niemand.

»Ein Glück. Ich bin es leid, alle um mich herum so unglücklich zu machen«, sagt Peeta. »Zum Weinen zu bringen. Und Haymitch …« Er braucht nicht weiterzusprechen.

Wir bleiben auf dem Dach, bis es Zeit zum Schlafengehen ist, dann huschen wir leise hinunter und in mein Zimmer, ohne jemandem zu begegnen.

Am nächsten Morgen werden wir von meinem Vorbereitungsteam geweckt. Der Anblick von Peeta und mir, wie wir nebeneinander schlafen, ist zu viel für Octavia, sie bricht sofort in Tränen aus. »Denk daran, was Cinna uns gesagt hat«, sagt Venia eindringlich. Octavia nickt und geht schluchzend aus dem Zimmer.

Peeta muss zur Vorbereitung in sein Zimmer und ich bleibe mit Venia und Flavius allein. Das übliche Geplapper fällt heute aus. Es wird überhaupt kaum geredet, höchstens wenn ich das Kinn heben soll oder wenn etwas über eine Schminktechnik gesagt wird. Es ist fast Mittag, als ich merke, dass etwas auf meine Schulter tropft, und als ich mich umdrehe, sehe ich Flavius, wie er mir die Haare schneidet, während ihm stumm die Tränen über das Gesicht laufen. Venia wirft ihm einen strengen Blick zu und da legt er die Schere vorsichtig auf dem Tisch ab und geht.

Dann ist nur noch Venia übrig, ihre Haut ist so blass, dass die Tattoos herauszuspringen scheinen. Fast starr vor Entschlossenheit frisiert sie mich, sie manikürt mir die Nägel und schminkt mich mit schnellen Fingern, so macht sie das Fehlen ihrer Kollegen wett. Die ganze Zeit weicht sie meinem Blick aus. Erst als Cinna kommt, um mich zu begutachten, nimmt sie meine Hände, schaut mir direkt in die Augen und sagt: »Wir möchten dir alle sagen, was für eine … Ehre es war, dich schön machen zu dürfen.« Dann geht sie eilig aus dem Zimmer.

Mein Vorbereitungsteam. Meine albernen, oberflächlichen, liebevollen Schätzchen mit ihren Feder-und Partyticks brechen mir mit ihrem Abschied fast das Herz. Venias letzte Worte zeigen es deutlich: Wir alle wissen, dass ich nicht zurückkehren werde. Weiß es die ganze Welt?, frage ich mich. Ich schaue Cinna an. Er weiß es, ganz bestimmt. Doch er hält sein Versprechen, von ihm drohen keine Tränen.

»Also, was ziehe ich heute Abend an?«, frage ich mit einem Blick auf die Tasche, in der mein Kleid steckt.

»Präsident Snow höchstpersönlich hat die Kleiderordnung festgelegt«, sagt Cinna. Er zieht den Reißverschluss auf, und zum Vorschein kommt eins der Hochzeitskleider, die ich beim Fototermin getragen habe. Schwere weiße Seide mit tiefem Ausschnitt, eng anliegender Taille und Ärmeln, die vom Handgelenk bis zum Boden fallen. Und Perlen über Perlen. Eingestickt in das Kleid und in die Bänder, die ich um den Hals trage, ebenso wie auf der Krone für den Schleier. »Am Abend des Fotoshootings wurde zwar das Jubel-Jubiläum verkündet, aber die Leute haben trotzdem über ihr Lieblingskleid abgestimmt, und das hier hat gewonnen. Der Präsident sagt, du musst es heute Abend tragen. Unsere Einwände blieben ungehört.«

Ich reibe ein Stück Seide zwischen den Fingern und versuche Präsident Snows Gedankengang nachzuvollziehen. Da mich die größte Schuld trifft, will er offenbar meinen Schmerz, meinen Verlust und meine Erniedrigung in den Mittelpunkt rücken. Und hiermit glaubt er das deutlich machen zu können. Es ist so barbarisch, mein Hochzeitskleid zu meinem Totenhemd zu machen, dass es mich hart trifft und einen dumpfen Schmerz in meinem Innern hinterlässt. »Tja, es war ja auch schade um das schöne Kleid«, ist alles, was ich sage.

Vorsichtig hilft Cinna mir in das Kleid. Als ich es auf den Schultern spüre, ziehe ich sie unwillkürlich hoch. »War das immer schon so schwer?«, frage ich. Ich erinnere mich, dass einige der Kleider aus dickem Stoff waren, aber dieses scheint einen Zentner zu wiegen.

»Ich musste es wegen der Beleuchtung ein wenig ändern«, sagt Cinna. Ich nicke, ohne zu verstehen, was das damit zu tun hat. Er zieht mir die Schuhe an und schmückt mich mit Perlen und Schleier. Verleiht meinem Make-up den letzten Strich. Lässt mich ein paar Schritte gehen.

»Du siehst hinreißend aus«, sagt er. »Katniss, das Oberteil ist so passgenau, dass ich dich bitte, die Arme nicht über den Kopf zu heben. Jedenfalls nicht, ehe du dich drehst.«

»Soll ich mich wieder drehen?«, frage ich und denke an mein Kleid vom letzten Jahr.

»Bestimmt wird Caesar dich darum bitten. Und wenn nicht, schlag es selbst vor. Aber nicht gleich. Bewahr es dir für das große Finale auf«, sagt Cinna.

»Gib mir ein Zeichen, damit ich Bescheid weiß, wann es so weit ist«, sage ich.

»Mach ich. Hast du dir für das Interview irgendwas überlegt? Ich weiß, dass Haymitch es ganz euch überlassen hat«, sagt er.

»Nein, dieses Jahr werde ich einfach improvisieren. Komischerweise bin ich überhaupt nicht aufgeregt.« Das bin ich wirklich nicht. Sosehr Präsident Snow mich auch hassen mag, das Publikum im Kapitol gehört mir.