Wir treffen Effie, Haymitch, Portia und Peeta vor dem Aufzug. Peeta trägt einen eleganten Smoking und weiße Handschuhe. So zieht man sich hier im Kapitol als Bräutigam an.
Bei uns zu Hause ist alles so viel bescheidener. Die Frau leiht sich normalerweise ein weißes Kleid, das schon unzählige Male getragen wurde. Der Mann zieht irgendetwas Sauberes an, das er nicht im Bergwerk trägt. Sie füllen im Justizgebäude ein paar Formulare aus und dann wird ihnen ein Haus zugewiesen. Freunde und Verwandte kommen zu einem Essen oder etwas Kuchen zusammen, wenn man es sich leisten kann. Und auch wenn nicht, ein traditionelles Lied wird immer gesungen, wenn das Paar über die Schwelle zum neuen Heim tritt. Und dann haben wir eine kleine Zeremonie: Das Brautpaar zündet sein erstes Feuer an, röstet ein wenig Brot und teilt es. Es mag altmodisch sein, aber bevor man das Brot nicht geröstet hat, fühlt man sich in Distrikt 12 nicht richtig verheiratet.
Die anderen Tribute haben sich bereits hinter den Kulissen versammelt und reden leise miteinander, doch als Peeta und ich kommen, verstummen sie. Ich merke, dass sie alle mein Brautkleid anstarren. Sind sie neidisch, weil es so schön ist? Darauf, dass es vielleicht die Macht hat, die Massen zu beeinflussen?
Schließlich sagt Finnick: »Ich fasse es nicht, dass Cinna dich in dieses Ding gesteckt hat.«
»Er hatte keine Wahl. Präsident Snow hat ihn gezwungen«, sage ich trotzig. Ich lasse es nicht zu, dass jemand etwas gegen Cinna sagt.
Cashmere wirft die blonde Lockenmähne zurück und giftet: »Du siehst lächerlich aus!« Sie fasst ihren Bruder bei der Hand und zieht ihn mit sich, damit sie die Prozession auf die Bühne anführen können. Auch die anderen Tribute stellen sich auf. Ich bin verwirrt, denn irgendwie sind alle wütend, aber manche klopfen uns trotzdem mitfühlend auf die Schulter, und Johanna Mason bleibt sogar stehen, um meine Perlenkette zu richten.
»Zahl es ihm heim, ja?«, sagt sie.
Ich nicke, aber ich weiß nicht, was sie meint. Erst als wir alle auf der Bühne sitzen und Caesar Flickerman, Haare und Gesicht dieses Jahr lavendelfarben, seinen Eröffnungssermon hinter sich gebracht hat und die Tribute mit den Interviews beginnen - erst da wird mir bewusst, wie betrogen sich die meisten Sieger fühlen und wie wütend sie sind. Doch sie sind gerissen, sie drücken es so gekonnt aus, dass alles auf die Regierung und besonders auf Präsident Snow zurückfällt. Zwar gilt das nicht für alle, zum Beispiel nicht für die Unverbesserlichen, Brutus und Enobaria, für die dies einfach nur irgendwelche Spiele sind, und einige andere, die zu verwirrt oder betäubt oder verloren sind, um bei dem Angriff mitzumachen. Doch es gibt genügend Sieger, die den Mut und die Geistesgegenwart besitzen, um zu kämpfen.
Cashmere bringt die Sache ins Rollen, indem sie erzählt, dass sie gar nicht aufhören kann zu weinen, wenn sie daran denkt, wie sehr die Menschen im Kapitol leiden müssen, weil sie uns verlieren werden. Gloss erinnert an den freundlichen Empfang, der ihm und seiner Schwester hier zuteilwurde. Beetee zieht in seiner nervösen, unruhigen Art die Rechtmäßigkeit des Jubel-Jubiläums in Zweifel, er fragt sich, ob die Angelegenheit in letzter Zeit einmal von den Experten überprüft worden sei. Finnick trägt ein selbst verfasstes Gedicht für seine einzige wahre Liebe im Kapitol vor, und an die hundert Damen fallen in Ohnmacht, weil sie sich angesprochen fühlen. Johanna Mason steht auf und fragt, ob man nichts an der Lage ändern könne. Sicher hätten die Erfinder des Jubel-Jubiläums nicht geahnt, dass sich zwischen den Siegern und dem Kapitol eine solche Liebe entwickeln würde. Niemand könne so grausam sein, eine solch tiefe Verbundenheit zu zerstören. Seeder sinniert ruhig darüber, dass in Distrikt 11 alle davon ausgingen, Präsident Snow sei allmächtig. Doch wenn er allmächtig sei, warum schaffe er dieses Jubel-Jubiläum dann nicht ab? Und Chaff, der gleich nach ihr dran ist, behauptet, der Präsident könne dieses Jubel-Jubiläum abschaffen, wenn er wollte, aber er glaube wohl nicht, dass es jemandem viel bedeute.
Als ich vorgestellt werde, ist das Publikum schon völlig fertig. Die Leute weinen, einige sind zusammengebrochen, sogar eine Änderung des Programms wird gefordert. Als ich in meinem Brautkleid aus weißer Seide auftrete, bricht ein Tumult los. Mein Ende, das Ende des tragischen Liebespaars, das glücklich bis in alle Zeit lebt, das Ende der Hochzeit. Selbst Caesars Professionalität bekommt Risse, als er vergeblich versucht, die Menge so weit zu beruhigen, dass ich sprechen kann, doch meine drei Minuten schrumpfen schnell zusammen.
Schließlich tritt eine Ruhepause ein und er kann anbringen: »Tja, Katniss, offenbar ist das für alle eine sehr bewegende Nacht. Möchtest du etwas sagen?«
Als ich spreche, zittert meine Stimme. »Nur, dass es mir so leidtut, dass Sie alle nicht zu meiner Hochzeit kommen können … aber ich bin froh, dass Sie mich wenigstens in dem Kleid sehen können. Ist es nicht … einfach wunderschön?« Ich muss Cinna nicht anschauen, um das Zeichen zu bekommen. Ich weiß, dass jetzt der richtige Moment ist. Langsam beginne ich mich im Kreis zu drehen und hebe die Ärmel des schweren Kleides über den Kopf.
Als ich Schreie in der Menge höre, denke ich, es ist, weil ich so umwerfend aussehe. Da merke ich, dass um mich herum Rauch aufsteigt. Rauch von einem Feuer. Nicht das flackernde Zeug wie letztes Jahr bei der Wagenparade, sondern echte Flammen, die mein Kleid verschlingen. Panik erfasst mich, als der Rauch dichter wird. Verkohlte Fetzen geschwärzter Seide wirbeln in die Luft, Perlen prasseln auf die Bühne. Irgendwie traue ich mich nicht, stehen zu bleiben, denn meine Haut brennt ja gar nicht, und ich weiß, dass Cinna hinter alldem stecken muss. Also drehe ich mich rundherum, rundherum. Kurz bekomme ich keine Luft mehr, bin eingehüllt in die seltsamen Flammen. Dann ist das Feuer ganz plötzlich aus. Langsam bleibe ich stehen, ich frage mich, ob ich wohl nackt bin und warum Cinna es so eingerichtet hat, dass mein Hochzeitskleid verbrennt.
Aber ich bin nicht nackt. Ich trage ein Kleid, das genauso aussieht wie mein Hochzeitskleid, nur dass es die Farbe von Kohle hat und aus winzigen Federn besteht. Erstaunt hebe ich die langen, fließenden Ärmel und in diesem Moment sehe ich mich auf dem Bildschirm. Ganz in Schwarz bis auf die weißen Flecken auf den Ärmeln. Oder sollte ich sagen, auf den Flügeln? Cinna hat mich in einen Spotttölpel verwandelt.
18
Ich glimme immer noch ein wenig, deshalb streckt Caesar die Hand etwas zögerlich aus, um meinen Schleier zu berühren. Das Weiß ist abgebrannt, übrig geblieben ist ein glatter schwarzer Schleier, der hinten über den Halsausschnitt des Kleides fällt. »Federn«, sagt Caesar. »Du siehst aus wie ein Vogel.«
»Wie ein Spotttölpel, oder?«, sage ich und schlage ein wenig mit den Flügeln. »Das ist der Vogel auf der Brosche, die ich als Glücksbringer getragen habe.«
Ein Schatten der Erkenntnis huscht über Caesars Gesicht, er weiß, dass der Spotttölpel nicht nur mein Glücksbringer ist. Dass er jetzt für so viel mehr steht. Dass das, was im Kapitol als spektakulärer Gag wahrgenommen wird, in den Distrikten einen ganz anderen Widerhall findet. Doch er macht das Beste daraus.
»Also, Hut ab vor deinem Stylisten. Es wird wohl keiner bestreiten, dass wir so etwas Spektakuläres in einem Interview noch nie zu sehen bekommen haben. Cinna, eine Verbeugung bitte!« Caesar gibt Cinna mit einer Geste zu verstehen, dass er sich erheben soll. Er tut es und macht eine kleine, elegante Verbeugung. Und auf einmal habe ich riesige Angst um ihn. Was hat er getan? Etwas furchtbar Gefährliches. Ein rebellischer Akt. Und er hat es für mich getan. Ich erinnere mich an seine Worte …
»Keine Bange. Ich lasse meine Gefühle in meine Arbeit einfließen. Auf diese Weise tue ich niemandem weh außer mir selbst.«