Und ich fürchte, er hat sich so wehgetan, dass es nicht wiedergutzumachen ist. Die tiefere Bedeutung meiner feurigen Verwandlung kann Präsident Snow nicht entgangen sein.
Das Publikum ist erst starr vor Staunen und applaudiert dann heftig. Ich höre kaum den Signalton, der anzeigt, dass meine drei Minuten um sind. Caesar dankt mir und ich gehe wieder zu meinem Platz, mein Kleid fühlt sich jetzt leichter an als Luft.
Ich begegne Peeta, der nach mir dran ist, aber er weicht meinem Blick aus. Vorsichtig setze ich mich hin, doch abgesehen von einigen Rauchspuren scheine ich unversehrt zu sein, und so richte ich meine Aufmerksamkeit auf ihn.
Seit ihrem Auftritt vor einem Jahr sind Caesar und Peeta ein eingespieltes Team. Die Leichtigkeit, mit der sie sich die Bälle zuspielen, die treffsicheren Pointen und der gekonnte Übergang zu Herz und Schmerz wie damals, als Peeta seine Liebe zu mir eingestanden hat, haben ihnen großen Erfolg beim Publikum beschert. Mühelos eröffnen sie das Gespräch mit ein paar witzigen Bemerkungen über Feuer und Federn und verbranntes Geflügel. Aber man sieht, dass Peeta mit den Gedanken weit weg ist, deshalb spricht Caesar direkt das Thema an, das allen am Herzen liegt.
»Erzähl mal, wie das war, Peeta, als du, nach allem, was du durchgemacht hattest, die Neuigkeit vom Jubel-Jubiläum erfuhrst«, sagt Caesar.
»Es war ein Schock für mich. Eben noch hatte ich Katniss gesehen, so wunderschön in all den Hochzeitskleidern, und im nächsten Augenblick …« Der Satz bleibt in der Luft hängen.
»Da wurde dir klar, dass es niemals eine Hochzeit geben wird?«, fragt Caesar sanft.
Peeta schweigt lange, als müsse er etwas überdenken. Er sieht zu den gebannten Zuschauern, dann auf den Boden, dann schließlich zu Caesar. »Caesar, meinst du, unsere Freunde hier können ein Geheimnis für sich behalten?«
Ein unbehagliches Lachen ist im Publikum zu hören. Was meint er wohl damit? Vor wem sollen sie ein Geheimnis bewahren? Die ganze Welt schaut uns zu.
»Da bin ich mir ganz sicher«, sagt Caesar.
»Wir sind bereits verheiratet«, sagt Peeta ruhig. Das Publikum reagiert mit Erstaunen, und ich muss das Gesicht in meinem Kleid verbergen, damit man meine Verwirrung nicht sieht. Worauf will er bloß hinaus?
»Aber … wie ist das möglich?«, fragt Caesar.
»Oh, es war keine offizielle Hochzeit. Wir sind nicht zum Justizgebäude gegangen oder so. Aber wir haben in Distrikt 12 so ein Hochzeitsritual. Ich weiß nicht, wie es in den anderen Distrikten ist. Wir machen da etwas ganz Spezielles«, sagt Peeta und beschreibt kurz die Sache mit dem Brot.
»Waren eure Familien dabei?«, fragt Caesar.
»Nein, wir haben niemandem davon erzählt. Nicht einmal Haymitch. Und Katniss’ Mutter wäre bestimmt nicht einverstanden gewesen. Aber wir wussten ja, wenn wir im Kapitol heiraten, dann findet das Ritual nicht statt. Und wir wollten beide nicht länger warten. Also haben wir es eines Tages einfach gemacht«, sagt Peeta. »Und wir fühlen uns mehr verheiratet, als wir es durch irgendein Stück Papier oder eine große Feier könnten.«
»Dann war das also vor der Ankündigung des Jubel-Jubiläums?«, fragt Caesar.
»Ja, natürlich war das vorher. Bestimmt hätten wir es niemals getan, nachdem wir davon wussten«, sagt Peeta. Er redet sich in Rage. »Aber wer hätte das kommen sehen? Niemand. Wir haben die Spiele durchgemacht, wir wurden Sieger, alle schienen so begeistert zu sein, uns zusammen zu sehen, und dann, aus dem Nichts - ich meine, wie hätten wir das vorhersehen können?«
»Das konntet ihr nicht, Peeta.« Caesar legt ihm einen Arm um die Schultern. »Wie du sagst, das konnte niemand. Doch ich muss zugeben, ich bin froh, dass ihr beide wenigstens ein paar glückliche Monate miteinander hattet.«
Tosender Applaus. Als wäre ich dadurch ermutigt, hebe ich den Blick von den Federn und zeige dem Publikum zum Dank ein tragisches Lächeln. Von dem Rauch in den Federn tränen mir passenderweise die Augen.
»Ich bin nicht froh«, sagt Peeta. »Mir wäre es lieber, wir hätten bis zur offiziellen Trauung gewartet.«
Das überrascht sogar Caesar. »Aber selbst eine kurze Zeit ist doch besser als gar nichts, oder?«
»Vielleicht würde ich auch so denken, Caesar«, sagt Peeta bitter. »Wenn das Baby nicht wäre.«
Da. Er hat es schon wieder geschafft. Hat eine Bombe hochgehen lassen, die alle Anstrengungen der Tribute vor ihm zunichtemacht. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht hat er dieses Jahr nur eine Bombe gezündet, die die Sieger selbst gebaut haben. In der Hoffnung, dass jemand sie zur Explosion bringen würde. Zum Beispiel ich in meinem Brautkleid. Sie wissen ja nicht, wie abhängig ich von Cinnas Talenten bin, während Peeta nur seinen Grips benötigt.
Als Echo auf die Bombe fliegen Vorwürfe in alle Richtungen: ungerecht, barbarisch, grausam. Selbst der Kapitolhörigste, Spielehungrigste, Blutrünstigste im Publikum kann nicht übersehen, wenigstens für einen Augenblick, wie entsetzlich das alles ist.
Ich bin schwanger.
Die Zuschauer können die Neuigkeit nicht sofort erfassen. Sie muss erst geschluckt und verarbeitet und von anderen Stimmen bestätigt werden, ehe Laute zu hören sind wie von einer Herde verwundeter Tiere, sie stöhnen, schreien und rufen um Hilfe. Und ich? Ich weiß, dass mein Gesicht in Großaufnahme auf dem Bildschirm zu sehen ist, doch ich unternehme keine Anstrengung, es zu verbergen. Denn einen Moment lang muss selbst ich das verarbeiten, was Peeta gerade gesagt hat. Ist es nicht genau das, was mich am meisten an der Hochzeit, an der Zukunft geängstigt hat - dass ich meine Kinder an die Spiele verlieren könnte? Und jetzt könnte es Wirklichkeit werden. Wenn ich nicht mein Leben lang Abwehrmauern errichtet hätte, bis ich schon bei der bloßen Andeutung von Heirat oder Familie zurückschrecke.
Caesar bekommt die Menge nicht mehr in den Griff, nicht einmal, als das Signal ertönt. Peeta nickt zum Abschied und geht ohne ein weiteres Wort zurück zu seinem Platz. Ich sehe, wie Caesars Lippen sich bewegen, doch im Publikum herrscht der reinste Aufruhr und ich verstehe kein Wort. Einzig das Getöse der Nationalhymne, so laut aufgedreht, dass es mir durch Mark und Bein geht, zeigt uns an, wo wir mit dem Programm angekommen sind. Ich stehe automatisch auf und spüre, dass Peeta nach meiner Hand fasst. Als ich sie ergreife, laufen ihm Tränen über das Gesicht. Wie echt sind die Tränen? Sind sie ein Zeichen dafür, dass er von denselben Ängsten verfolgt wird wie ich? Wie jeder Sieger? Wie alle Eltern in jedem Distrikt von Panem?
Ich schaue wieder ins Publikum, doch die Gesichter von Rues Mutter und Vater schieben sich vor meine Augen. Ihre Trauer. Ihr Verlust. Ich drehe mich spontan zu Chaff um und reiche ihm die Hand. Meine Finger schließen sich um den Stumpf, in dem sein Arm jetzt ausläuft, und halten ihn fest.
Und dann geschieht es. Von einem Ende der Reihe bis zum anderen reichen sich die Sieger die Hände. Einige spontan, wie die Morfixer und Wiress und Beetee. Andere unsicher, aber mitgerissen durch die Aufforderung der anderen, wie Brutus und Enobaria. Als die letzten Töne der Hymne erklingen, stehen wir alle vierundzwanzig in einer geschlossenen Reihe - seit den Dunklen Tagen ist das wohl die erste öffentliche Demonstration von Einheit unter den Distrikten. Man sieht, wie diese Erkenntnis durchdringt, als die Bildschirme einer nach dem anderen schwarz werden. Doch zu spät. In der allgemeinen Verwirrung haben sie uns nicht rechtzeitig abgeschaltet. Alle haben es gesehen.
Auch auf der Bühne bricht Chaos aus, die Scheinwerfer erlöschen, und wir stolpern zurück zum Trainingscenter. Ich habe Chaff verloren, aber Peeta führt mich zu einem Aufzug. Finnick und Johanna wollen mit hinein, doch ein gestresster Friedenswächter versperrt ihnen den Weg, und wir sausen allein nach oben.
In dem Moment, als wir den Aufzug verlassen, fasst Peeta mich bei den Schultern. »Wir haben nicht viel Zeit, also sag es mir jetzt. Muss ich mich für irgendetwas entschuldigen?«
»Für gar nichts«, sage ich. Es war ein gewagter Schritt ohne meine Einwilligung, aber ich bin nur froh, dass ich nichts davon wusste und keine Zeit hatte, ihm reinzureden; froh, dass mein schlechtes Gewissen Gale gegenüber meine Gefühle für das, was Peeta getan hat, nicht schmälern konnte. Und ich fühle mich gestärkt.