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Ich kann nur einen klaren Gedanken fassen.

Das ist kein Ort für ein Mädchen in Flammen.

Teil 3

Der Feind

19

»Meine Damen und Herren, die fünfundsiebzigsten Hungerspiele sind eröffnet!« Die Stimme von Claudius Templesmith, dem Moderator der Hungerspiele, hämmert mir in den Ohren. Ich habe weniger als eine Minute Zeit, mich zu orientieren. Dann wird der Gong ertönen und die Tribute können sich von ihren Metallplatten entfernen. Doch wohin?

Ich kann nicht klar denken. Die ganze Zeit habe ich Cinna vor Augen, wie er blutig am Boden liegt. Wo ist er jetzt? Was tun sie ihm an? Foltern sie ihn? Bringen sie ihn um? Verwandeln sie ihn in einen Avox? Offenbar sollte der Anschlag auf ihn mich aus dem Gleichgewicht bringen, genauso wie Darius’ plötzliches Auftauchen in meinem Quartier. Und er hat mich wirklich aus dem Gleichgewicht gebracht. Am liebsten würde ich auf meiner Metallplatte zusammenbrechen. Aber nach allem, was ich gerade mit angesehen habe, ist das kaum möglich. Ich muss stark sein. Das bin ich Cinna schuldig, der alles riskiert hat, indem er Präsident Snow verhöhnt und mein Brautkleid in das Gefieder eines Spotttölpels verwandelt hat. Und ich bin es den Rebellen schuldig, die, durch Cinnas Beispiel ermutigt, in diesem Moment vielleicht kämpfen, um das Kapitol zu stürzen. Meine Weigerung, die Spiele nach den Regeln des Kapitols zu spielen, soll mein letzter rebellischer Akt sein. Also beiße ich die Zähne zusammen und mache gute Miene zum bösen Spiel.

Wo bin ich? Ich werde aus meiner Umgebung immer noch nicht schlau. Wo bin ich?! Ich verlange eine Antwort von mir und langsam bekommt die Welt Konturen. Blaues Wasser. Rosa Himmel. Weiß gleißende Sonne, die vom Himmel knallt. Ach ja, da ist das Füllhorn aus goldglänzendem Metall, etwa vierzig Meter entfernt. Erst sieht es so aus, als befände es sich auf einer runden Insel. Doch bei genauerem Hinsehen erkenne ich schmale Streifen Land, die strahlenförmig von der Füllhorninsel ausgehen wie die Speichen eines Rades. Es sind schätzungsweise zehn bis zwölf und sie scheinen alle den gleichen Abstand voneinander zu haben. Zwischen den Speichen ist nur Wasser. Wasser und je zwei Tribute.

So ist das also. Es gibt zwölf Speichen, dazwischen jeweils zwei Tribute, die sich auf Metallplatten halten. Der zweite Tribut in meinem Wasserkeil ist der alte Woof aus Distrikt 8. Er befindet sich zu meiner Rechten, etwa genauso weit entfernt wie der Landstreifen zu meiner Linken. Jenseits des Wassers liegt, wohin man auch blickt, ein schmaler Strand und dahinter dichtes Grün. Ich suche den Kreis nach Tributen ab, halte nach Peeta Ausschau, doch das Füllhorn versperrt mir den Blick.

Ich schöpfe eine Handvoll Wasser und rieche daran. Dann berühre ich mit dem nassen Finger meine Zunge. Salzwasser, ganz wie ich gedacht habe. Genau wie die Wellen, die Peeta und ich auf unserem kurzen Abstecher zum Strand in Distrikt 4 gesehen haben. Aber immerhin scheint es sauber zu sein.

Es gibt keine Boote, keine Seile, nicht mal ein bisschen Treibholz, an dem man sich festhalten könnte. Nein, es gibt nur einen Weg zum Füllhorn. Als der Gong ertönt, zögere ich nicht und tauche nach links. Es ist weiter, als ich gewohnt bin, und durch die Wellen zu schwimmen, ist nicht so einfach wie das Schwimmen in meinem ruhigen See zu Hause, doch mein Körper fühlt sich eigenartig leicht an, und ich gleite mühelos durchs Wasser. Vielleicht liegt es an dem Salz. Tropfnass ziehe ich mich an Land und renne über den Sand bis zum Füllhorn. Ich sehe niemanden, der sich von meiner Seite her nähert, allerdings versperrt mir das goldene Horn zu einem Gutteil die Sicht. Doch ich lasse mich von dem Gedanken an mögliche Gegner nicht bremsen. Ich denke jetzt wie ein Karriero und als Erstes will ich mir eine Waffe schnappen.

Im letzten Jahr waren die Vorräte ziemlich weit um das Füllhorn herum verstreut und die wertvollsten Sachen befanden sich ganz nah am Horn. Doch in diesem Jahr scheint die Beute an der gut sechs Meter hohen Öffnung gestapelt zu sein. Mein Blick fällt sofort auf einen goldenen Bogen in Reichweite und ich reiße ihn heraus.

Da ist jemand hinter mir. Eine leichte Bewegung im Sand oder vielleicht nur eine Veränderung des Luftstroms hat mich alarmiert. Ich ziehe einen Pfeil aus dem Köcher, der immer noch in dem Stapel eingeklemmt ist, und während ich mich umdrehe, spanne ich die Sehne.

Da steht ein paar Meter von mir entfernt Finnick in all seiner Pracht, er hält einen Dreizack bereit. An seiner anderen Hand baumelt ein Netz. Er lächelt ein wenig, aber die Muskeln seines Oberkörpers sind schon gespannt. »Du kannst ja auch schwimmen«, sagt er. »Wo hast du das in Distrikt 12 gelernt?«

»Wir haben eine große Badewanne«, gebe ich zurück.

»Sieht ganz so aus«, sagt er. »Gefällt dir die Arena?«

»Nicht besonders. Aber dir doch sicherlich. Sie haben sie bestimmt extra für dich erbaut«, sage ich eine Spur bitter. So sieht es jedenfalls aus, mit all dem Wasser, denn garantiert kann nur eine Handvoll der Sieger schwimmen. Und im Trainingscenter gab es kein Schwimmbecken, keine Chance, es zu lernen. Entweder kommt man als Schwimmer hierher oder man sollte es schleunigst lernen. Selbst wer nur an dem anfänglichen Blutbad teilnehmen will, muss erst mal zwanzig Meter Wasser durchqueren. Damit hat Distrikt 4 einen gewaltigen Vorteil.

Einen Augenblick lang sind wir wie erstarrt, schätzen einander ab, die Waffen des anderen, sein Geschick. Da grinst Finnick plötzlich los. »Gut, dass wir Verbündete sind. Oder?«

Ich wittere eine Falle und will den Pfeil schon abschießen, in der Hoffnung, dass er sein Herz durchbohrt, bevor ich von dem Dreizack aufgespießt werde, doch da bewegt er die Hand, und etwas auf seinem Handgelenk blitzt in der Sonne auf. Ein Armreif aus massivem Gold mit Flammenmuster. Derselbe, den ich heute Morgen an Haymitchs Handgelenk gesehen habe, als ich mit dem Training anfing. Ganz kurz überlege ich, ob Finnick ihn gestohlen hat, um mich reinzulegen, aber irgendwie weiß ich, dass es nicht so ist. Haymitch hat ihm den Armreif gegeben. Als Zeichen für mich. Oder besser als Befehl. Ich soll Finnick vertrauen.

Ich höre weitere Schritte näher kommen. Ich muss mich sofort entscheiden. »Na gut!«, sage ich schroff, denn auch wenn Haymitch mein Mentor ist und versucht, mir das Leben zu retten, ärgert es mich. Warum hat er mir nichts von diesem Arrangement erzählt? Wahrscheinlich, weil Peeta und ich Verbündete ausgeschlossen hatten. Da hat Haymitch einfach selbst einen ausgesucht.

»Duck dich!«, kommandiert Finnick mich mit durchdringender Stimme, die so ganz anders ist als sein einschmeichelndes Gesäusel, dass ich gehorche. Sein Dreizack saust über meinen Kopf und ich höre einen ekelerregenden Schlag, als er sein Ziel trifft. Der Mann aus Distrikt 5, der Trinker, der sich bei der Schwertkampfstation übergeben hat, sinkt auf die Knie, während Finnick den Dreizack aus seiner Brust zieht. »1 und 2 darfst du nicht trauen«, sagt Finnick.

Es bleibt keine Zeit, das infrage zu stellen. Ich ziehe den Köcher mit den Pfeilen aus dem Stapel heraus. »Jeder eine Seite?«, sage ich. Er nickt und ich sause um den Stapel herum. Etwa vier Speichen weiter schaffen es Enobaria und Gloss gerade an Land. Entweder sind sie langsame Schwimmer, oder sie dachten, im Wasser könnten andere Gefahren lauern, was auch gut möglich ist. Manchmal sollte man sich gar nicht zu viele Gedanken machen. Aber jetzt, da sie am Strand sind, werden sie in wenigen Sekunden bei uns sein.

»Irgendwas Brauchbares?«, höre ich Finnick rufen.

Schnell suche ich den Stapel auf meiner Seite ab und finde Keulen, Schwerter, Pfeil und Bogen, Dreizacke, Messer, Speere, Äxte, Metallgegenstände, die ich nicht benennen kann … und sonst nichts.

»Waffen!«, rufe ich. »Nichts als Waffen!«

»Hier auch«, gibt er zur Antwort. »Schnapp dir irgendwas und dann weg hier!«