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Ich habe nur einen richtigen Freund hier drin. Und der stammt nicht aus Distrikt 4.

Ich lasse mir von der schwachen, feuchten Brise die Wangen kühlen, während ich zu einer Entscheidung gelange. Trotz des Armreifs sollte ich es einfach hinter mich bringen und Finnick erschießen. Dieses Bündnis hat einfach keine Zukunft. Und er ist zu gefährlich, um ihn laufen zu lassen. Vielleicht ist jetzt, da wir sein zögerliches Vertrauen haben, meine einzige Chance, ihn zu töten. Ich könnte ihm leicht einen Pfeil in den Rücken schießen, während wir gehen. Das ist natürlich verachtenswert, aber wird es weniger verachtenswert, wenn ich warte? Ihn besser kennenlerne? Ihm noch mehr zu verdanken habe? Nein, jetzt ist der richtige Moment. Von meinem Baum aus schaue ich ein letztes Mal zu den Kämpfenden, auf die blutige Erde, um mich in meinem Entschluss zu bestärken, dann lasse ich mich zu Boden gleiten.

Doch als ich unten ankomme, merke ich, dass Finnick mit meinen Gedanken Schritt gehalten hat. Als wüsste er, was ich gesehen habe und wie es auf mich gewirkt haben muss. Er hat seinen Dreizack in einer lässigen Verteidigungshaltung erhoben.

»Was ist da unten los, Katniss? Halten sie sich alle an den Händen? Haben sie die Waffen ins Meer geworfen, um dem Kapitol die Stirn zu bieten?«, fragt Finnick.

»Nein«, sage ich.

»Nein«, wiederholt er. »Denn was gestern passiert ist, war gestern. Keiner in dieser Arena ist zufällig Sieger geworden.« Er wirft einen Seitenblick zu Peeta. »Außer vielleicht Peeta.«

Dann weiß Finnick also, was Haymitch und ich wissen. Über Peeta. Dass er wirklich und wahrhaftig besser ist als wir anderen. Finnick hat diesen Tribut aus Distrikt 5 umgelegt, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wie lange habe ich gebraucht, um mich zum Töten zu entschließen? Ich habe auf Enobaria und Gloss und Brutus gezielt. Peeta hätte wenigstens erst mal versucht zu verhandeln. Hätte versucht, ein breiteres Bündnis herzustellen. Aber mit welchem Ziel? Finnick hat recht. Und ich habe recht. Diejenigen, die jetzt und hier in der Arena sind, wurden nicht für ihre Barmherzigkeit zu Siegern gekrönt.

Ich halte seinem Blick stand, schätze ab, wer von uns beiden schneller ist. Die Zeit, die ich brauche, um ihm einen Pfeil durchs Hirn zu jagen, gegen die Zeit, die sein Dreizack bis zu mir braucht. Ich sehe, wie er darauf wartet, dass ich den ersten Schritt mache. Er wägt ab, ob er sich lieber schützen oder direkt zum Angriff übergehen soll. Ich spüre, dass wir beide so weit sind, als Peeta sich zwischen uns stellt.

»Wie viele sind tot?«, fragt er.

Aus dem Weg, du Idiot, denke ich. Aber er weicht nicht von der Stelle.

»Schwer zu sagen«, antworte ich. »Mindestens sechs, glaube ich. Und sie kämpfen immer noch.«

»Kommt, wir gehen weiter. Wir brauchen Wasser«, sagt er.

Bis jetzt gibt es keinen Hinweis auf einen Bach oder Tümpel und das Salzwasser kann man nicht trinken. Wieder denke ich an die letzten Spiele, als ich fast verdurstet wäre.

»Wir sollten zusehen, dass wir schnell welches finden«, sagt Finnick. »Heute Nacht müssen wir uns verstecken, da machen die anderen Jagd auf uns.«

Wir. Uns. Jagd. Na gut, vielleicht wäre es etwas voreilig, Finnick jetzt umzubringen. Bisher war er hilfsbereit. Haymitch hat ihn abgesegnet. Und wer weiß, was die Nacht bereithält?

Schlimmstenfalls kann ich ihn immer noch abmurksen, während er schläft. Also lasse ich die Gelegenheit verstreichen. Wie Finnick.

Die Tatsache, dass wir kein Wasser haben, verstärkt meinen Durst. Ich halte gut Ausschau, während wir weiter bergauf gehen, doch ohne Erfolg. Nach einem weiteren Kilometer sehe ich das Ende des Waldes und schließe daraus, dass wir gleich auf dem Gipfel des Hügels angelangt sind. »Vielleicht haben wir auf der anderen Seite mehr Glück. Vielleicht finden wir da eine Quelle oder so.«

Aber es gibt keine andere Seite. Das weiß ich als Erste, obwohl ich am weitesten vom Gipfel entfernt bin. Mein Blick fällt auf ein merkwürdiges geriffeltes Viereck, das wie eine verzogene Fensterscheibe in der Luft hängt. Erst denke ich, es ist der Glanz der Sonne oder die Hitze, die über dem Boden flimmert. Doch es bleibt immer an derselben Stelle, wandert nicht mit, als ich weitergehe. Urplötzlich stelle ich die Verbindung zwischen dem Viereck und Wiress und Beetee im Trainingscenter her, und ich begreife, was da vor uns liegt. Ich habe den Warnruf auf den Lippen, aber er kommt zu spät: Peeta schwingt schon das Messer, um einige Ranken wegzuschlagen.

Ein lautes Zischeln ertönt. Einen Moment lang sind die Bäume verschwunden und auf einem kleinen Fleck sehe ich die nackte Erde. Dann wird Peeta von dem Kraftfeld zurückgeschleudert und reißt Finnick und Mags mit zu Boden.

Ich renne zu ihm, reglos liegt er in einem Geflecht aus Ranken. »Peeta?« Es riecht schwach nach versengten Haaren. Wieder rufe ich seinen Namen, rüttele an ihm, doch er reagiert nicht. Ich streiche über seine Lippen, und dort ist kein warmer Atem, obwohl er eben noch gekeucht hat. Ich lege das Ohr an seine Brust, dorthin, wo ich immer den Kopf ausruhe, wo ich den starken, gleichmäßigen Schlag seines Herzens höre. Aber es ist ganz still.

20

»Peeta!«, schreie ich. Ich rüttele fester, gebe ihm sogar eine Ohrfeige, aber es hat keinen Sinn. Sein Herz hat versagt. Meine Schläge gehen ins Leere. »Peeta!«

Finnick lehnt Mags an einen Baum und schiebt mich beiseite. »Lass mich mal.« Er berührt Punkte an Peetas Hals, fährt über seine Rippen und die Wirbelsäule. Dann hält er Peeta die Nase zu.

»Nein!«, schreie ich und stürze mich auf Finnick. Bestimmt will er sich vergewissern, dass Peeta tot ist, dass keine Hoffnung besteht, er könne je wieder zum Leben erwachen. Finnick hebt die Hand und schlägt mir so fest vor die Brust, dass ich gegen den nächsten Baumstamm fliege. Einen Augenblick lang bin ich benommen von dem Schmerz und versuche nur, wieder zu Atem zu kommen. Finnick hält Peeta wieder die Nase zu. Im Sitzen ziehe ich einen Pfeil heraus, lege an und will ihn schon abschießen, als Finnick sich herunterbeugt und Peeta küsst. Und das ist selbst für Finnicks Verhältnisse so absurd, dass ich innehalte. Aber nein, er küsst ihn nicht. Er hält Peeta die Nase zu, den Mund jedoch geöffnet, und jetzt bläst er ihm Luft in die Lunge. Ich kann es sehen, ich sehe regelrecht, wie Peetas Brust sich hebt und senkt. Dann öffnet Finnick den Reißverschluss von Peetas Overall und presst die Handballen auf Peetas Herz. Jetzt, da ich den Schock überwunden habe, begreife ich, was er macht.

Ich habe meine Mutter schon mal bei so was beobachtet, allerdings nur ganz selten. Wenn in Distrikt 12 jemandem das Herz versagt, schafft die Familie es meist nicht, ihn rechtzeitig zu meiner Mutter zu bringen. Ihre Patienten haben gewöhnlich Verbrennungen erlitten, sie sind verwundet oder krank. Oder ausgehungert natürlich.

Aber Finnick kommt aus einer anderen Welt. Er weiß, was er tut, das hat er auf jeden Fall schon öfter gemacht. Er geht methodisch vor, in einem festgelegten Rhythmus. Ich lasse den Pfeil zu Boden sinken, lehne mich zurück und warte verzweifelt auf ein Zeichen des Erfolgs. Quälende Minuten verstreichen und meine Hoffnung schrumpft. Als ich zu dem Schluss komme, dass es zu spät ist, dass Peeta tot ist, weitergezogen, für immer unerreichbar, hustet er leicht, und Finnick lehnt sich zurück.

Ich werfe meine Waffen weg und stürze zu ihm. »Peeta?«, flüstere ich. Ich streiche ihm die feuchten blonden Haarsträhnen aus der Stirn, spüre, wie der Puls an seinem Hals gegen meine Finger pocht.

Seine Lider gehen flatternd auf und er schaut mir in die Augen. »Pass auf«, sagt er schwach. »Da vorn ist ein Kraftfeld.«

Ich lache, aber Tränen laufen mir über die Wangen.

»Muss stärker sein als das im Trainingscenter«, sagt er. »Aber mir geht’s gut. Bin nur ein bisschen fertig.«