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»Du warst tot! Dein Herz stand still!«, platze ich heraus, ehe ich darüber nachdenken kann, ob das klug ist. Ich schlage mir die Hand vor den Mund, denn jetzt kommen diese schrecklichen erstickten Laute heraus, wie immer, wenn ich schluchze.

»Na, jetzt scheint’s ja wieder zu schlagen«, sagt er. »Es ist alles gut, Katniss.« Ich nicke, doch die Geräusche hören nicht auf. »Katniss?« Jetzt macht Peeta sich Sorgen um mich, was das Ganze noch verrückter macht.

»Alles okay. Sind nur ihre Hormone«, sagt Finnick. »Wegen des Babys.« Ich schaue auf. Finnick kniet da und lehnt sich zurück, immer noch ein wenig keuchend vom Anstieg und der Hitze und der Anstrengung, Peeta wieder zum Leben zu erwecken.

»Nein. Das ist es nicht …«, stoße ich hervor, aber da werde ich von einem noch hysterischeren Heulkrampf übermannt, eine weitere Bestätigung für Finnicks Bemerkung mit dem Baby. Er schaut mir in die Augen und ich starre ihn durch die Tränen hindurch wütend an. Ich weiß, es ist idiotisch, dass ich mich so über ihn ärgere. Ich wollte Peeta unbedingt das Leben retten, ich konnte es nicht, und Finnick konnte es, also müsste ich ihm einfach nur dankbar sein. Das bin ich ja auch. Aber zugleich bin ich wütend, denn es bedeutet, dass ich Finnick Odair für immer und ewig zu Dank verpflichtet sein werde. Wie soll ich ihn da umbringen, während er schläft?

Ich hätte einen selbstzufriedenen oder sarkastischen Gesichtsausdruck erwartet, doch er sieht seltsam verwirrt aus. Er schaut zwischen Peeta und mir hin und her, als wollte er etwas herausfinden, dann schüttelt er leicht den Kopf, als könnte er so besser denken. »Wie geht es dir?«, fragt er Peeta. »Meinst du, du kannst weiter?«

»Nein, er muss sich ausruhen«, sage ich. Meine Nase läuft wie verrückt, und ich habe nicht mal einen Stofffetzen, den ich als Taschentuch benutzen könnte. Mags reißt eine Handvoll loses Moos von einem Ast ab und gibt es mir. Ich bin zu durcheinander, um mich darüber zu wundern. Ich putze mir lautstark die Nase und wische mir die Tränen ab. Das Moos fühlt sich schön an. Es ist saugfähig und überraschend weich.

Ich bemerke etwas Goldschimmerndes auf Peetas Brust. Ich strecke die Hand aus und fasse es an: eine Scheibe, die an einer Kette um seinen Hals hängt. Darauf ist mein Spotttölpel eingraviert. »Ist das dein Talisman?«, frage ich.

»Ja. Stört es dich, dass ich deinen Spotttölpel übernommen habe? Ich wollte, dass wir das gleiche Zeichen haben«, sagt er.

»Nein, warum sollte mich das stören?«, sage ich. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Dass Peeta mit einem Spotttölpel in der Arena auftaucht, ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits gibt es den Rebellen in den Distrikten bestimmt Auftrieb. Andererseits wird Präsident Snow es kaum übersehen, und das macht es noch schwieriger, Peeta das Leben zu retten.

»Wollt ihr euch hier häuslich niederlassen, oder was?«, fragt Finnick.

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, antwortet Peeta. »Ohne Wasser und ohne Schutz hierzubleiben. Mir geht es wirklich schon wieder ganz gut. Wir müssen eben langsam gehen.«

»Besser langsam als gar nicht.« Finnick hilft Peeta auf und ich reiße mich zusammen. Seit ich heute Morgen aufgestanden bin, habe ich mit angesehen, wie Cinna zu Brei geschlagen wurde, ich bin zum zweiten Mal in einer Arena gelandet und habe Peeta sterben sehen. Ich bin froh, dass Finnick die Schwangerschaft für mich ins Feld führt, denn aus Sicht eines Sponsors mache ich meine Sache nicht besonders gut.

Ich überprüfe meine Waffen, obwohl ich weiß, dass sie völlig in Ordnung sind, aber so sieht es aus, als hätte ich alles im Griff. »Ich gehe voran«, verkünde ich.

Peeta will widersprechen, doch Finnick schneidet ihm das Wort ab. »Nein, lass sie das machen.« Er sieht mich mit finsterer Miene an. »Du wusstest, dass da ein Kraftfeld war, stimmt’s? Im allerletzten Moment wolltest du uns warnen.« Ich nicke. »Woher wusstest du es?«

Ich zögere. Es könnte gefährlich sein, wenn ich verrate, dass ich den Trick von Beetee und Wiress habe. Ich weiß nicht, ob die Spielmacher es beim Training mitbekommen haben. Ich bin im Besitz einer sehr wertvollen Information. Und wenn sie das wissen, könnten sie das Kraftfeld so verändern, dass ich das Flimmern nicht mehr erkenne. Also lüge ich. »Ich weiß nicht. Es ist fast, als könnte ich es hören. Horcht mal.« Wir sind alle still. Wir hören Insekten, Vögel, den leichten Wind in den Blättern.

»Ich höre nichts«, sagt Peeta.

»Doch«, sage ich. »Es ist wie in Distrikt 12, wenn der Zaun angeschaltet ist, nur viel, viel leiser.« Wieder lauschen sie konzentriert. Auch ich lausche, obwohl es nichts zu hören gibt. »Da!«, sage ich. »Hört ihr? Genau aus der Richtung, wo Peeta den Schlag gekriegt hat.«

»Ich höre auch nichts«, sagt Finnick. »Aber wenn du es hörst, dann geh auf jeden Fall voran.«

Ich beschließe, das Spiel auf Teufel komm raus weiterzuspielen. »Komisch«, sage ich. Ich drehe den Kopf hin und her, als wäre ich ganz verwundert. »Ich höre es nur mit dem linken Ohr.«

»Mit dem Ohr, das die Ärzte repariert haben?«, fragt Peeta.

»Ja«, sage ich, dann zucke ich die Achseln. »Vielleicht haben sie es besser hingekriegt, als sie dachten. Weißt du, manchmal höre ich links echt komische Sachen. Sachen, von denen man gar nicht denkt, dass sie Geräusche machen. Zum Beispiel Insektenflügel. Oder Schnee, der auf den Boden fällt.« Genial. Jetzt werden sie sich auf die Chirurgen stürzen, die mein taubes Ohr nach den Spielen im letzten Jahr operiert haben, und die werden erklären müssen, wieso ich auf einmal hören kann wie eine Fledermaus.

»Du«, sagt Mags. Sie schiebt mich vorwärts und ich übernehme die Führung. Da wir sowieso langsam gehen müssen, möchte Mags einen Ast als Gehhilfe. Im Handumdrehen hat Finnick ihr einen Spazierstock gebastelt. Für Peeta macht er auch einen Stock, und das ist gut so, denn Peeta protestiert zwar, aber ich glaube, dass er sich eigentlich am liebsten hinlegen würde. Finnick bildet das Schlusslicht, sodass wir wenigstens jemanden haben, der nach hinten absichert.

Das Kraftfeld zu meiner Linken, weil das ja angeblich die Seite mit meinem übermenschlichen Ohr ist, bewege ich mich vorwärts. Doch da das alles frei erfunden ist, schneide ich sicherheitshalber ein paar harte Nüsse ab, die wie Trauben an einem Baum hängen, und werfe sie vor mich, denn ich habe das Gefühl, dass mir die Flecken, an denen man ein Kraftfeld erkennt, meist entgehen. Immer wenn eine Nuss auf das Feld trifft, entsteht eine Rauchwolke, und dann landet die Nuss, schwarz und mit aufgebrochener Schale, zu meinen Füßen.

Nach einer Weile höre ich hinter mir ein schmatzendes Geräusch. Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie Mags eine Nuss aus der Schale pellt und in ihren bereits vollen Mund stopft. »Mags!«, schreie ich. »Spuck sie aus. Die könnten giftig sein.«

Sie murmelt irgendwas, beachtet mich jedoch nicht weiter und leckt sich genüsslich die Lippen. Ich schaue Hilfe suchend zu Finnick, aber der lacht nur. »Das werden wir schon merken«, sagt er.

Ich gehe weiter und wundere mich über Finnick, der die alte Mags gerettet hat, aber nichts dagegen unternimmt, dass sie unbekannte Nüsse isst. Den Haymitch abgesegnet hat. Der Peeta wieder zum Leben erweckt hat. Warum hat er ihn nicht einfach sterben lassen? Man hätte ihm nichts vorwerfen können. Ich hätte nie gedacht, dass es in seiner Macht stünde, ihn wiederzubeleben. Warum wollte er Peeta bloß retten? Und warum war er so wild entschlossen, sich mit mir zu verbünden? Und mich notfalls auch zu töten. Wobei er die Entscheidung, ob wir gegeneinander kämpfen, mir überlassen hat.

Ich gehe weiter, werfe meine Nüsse, entdecke hier und da einen Zipfel des Kraftfelds, versuche mich weiter links zu halten, einen Durchschlupf zu finden, weg vom Füllhorn und hoffentlich hin zu einer Wasserquelle. Doch nach etwa einer Stunde merke ich, dass es zwecklos ist. Wir kommen nicht weiter nach links. Der Weg scheint in einem Bogen um das Kraftfeld herum zu verlaufen. Ich bleibe stehen und schaue zu der humpelnden Mags, sehe den Schweiß auf Peetas Gesicht glänzen. »Kommt, wir machen hier eine Pause«, sage ich. »Ich muss mir das noch mal von oben angucken.«