»Wir müssen ihn weiter ins Wasser ziehen«, flüstere ich. Doch wir können ihn nicht mit dem Gesicht zuerst eintauchen, nicht solange er in diesem Zustand ist. Peeta macht eine Kopfbewegung zu Finnicks Füßen. Wir fassen jeder einen, drehen Finnick ganz herum und ziehen ihn langsam ins Salzwasser. Immer nur ein paar Zentimeter. Bis zu den Knöcheln. Ein paar Minuten warten. Dann bis zur Wade. Warten. Bis zu den Knien. Weiße Wolken wirbeln um seinen Körper, Finnick stöhnt. Wir entgiften ihn immer weiter, Stückchen für Stückchen. Ich merke, dass es mir umso besser geht, je länger ich im Wasser sitze. Nicht nur meine Haut, auch mein Gehirn erholt sich, und ich habe meine Muskeln wieder in der Gewalt. Ich sehe, wie Peetas Gesicht langsam wieder normal wird, sein Lid zieht sich hoch, der Mund ist nicht mehr so verzerrt.
Allmählich kommt wieder Leben in Finnick. Er öffnet die Augen, schaut uns an und begreift, dass wir ihm helfen. Ich lege seinen Kopf in meinen Schoß und wir lassen ihn zehn Minuten im Wasser, er ist vom Hals an abwärts ganz eingetaucht. Als er die Arme übers Wasser hebt, lächeln Peeta und ich uns an.
»Jetzt nur noch der Kopf, Finnick. Das ist das Schlimmste, aber wenn du das aushältst, wird es dir anschließend viel besser gehen«, sagt Peeta. Wir helfen Finnick auf, und er hält sich an unseren Händen fest, während er Augen, Nase und Mund reinigt. Seine Kehle ist immer noch so rau, dass er nicht sprechen kann.
»Ich versuche mal einen Baum anzuzapfen«, sage ich. Ich fummele an meinem Gurt herum und finde den Zapfhahn, der immer noch an der Ranke hängt.
»Warte, ich bohre erst ein Loch«, sagt Peeta. »Du bleibst bei ihm. Du bist die Heilerin.«
Haha, denke ich. Aber ich sage es nicht laut, denn Finnick hat so schon genug Probleme. Er hat am meisten von dem Nebel abbekommen, warum auch immer. Vielleicht, weil er der Größte von uns ist, oder vielleicht, weil er sich am meisten anstrengen musste. Und dann natürlich die Sache mit Mags. Ich verstehe immer noch nicht, was das sollte. Weshalb er sie praktisch im Stich gelassen hat, um Peeta zu tragen. Und weshalb sie das nicht nur nicht infrage gestellt hat, sondern, ohne zu zögern, geradewegs in den Tod gelaufen ist. Vielleicht weil ihre Tage ohnehin gezählt waren? Dachte sie, Finnick hätte mit Peeta und mir als Verbündeten bessere Chancen zu gewinnen? Ein Blick in Finnicks verzerrtes Gesicht sagt mir, dass jetzt nicht der richtige Moment ist zu fragen.
Also versuche ich lieber, mich zu sortieren. Ich rette die Spotttölpelbrosche von meinem zerfetzten Overall und befestige sie am Träger meines Unterhemds. Der Schwimmgurt scheint säureresistent zu sein, er sieht aus wie neu. Ich kann schwimmen, brauche den Gurt also eigentlich nicht, aber da Brutus meinen Pfeil mit seinem Gurt abgewehrt hat, denke ich mir, dass er vielleicht etwas Schutz bieten kann, und lege ihn wieder an. Ich löse den Zopf und kämme die Haare mit den Fingern, wodurch ich sie ziemlich ausdünne, die Nebeltröpfchen haben einigen Schaden angerichtet. Dann flechte ich die verbliebenen Haare wieder zu einem Zopf.
Etwa zehn Meter von dem schmalen Strand entfernt hat Peeta einen guten Baum entdeckt. Peeta ist kaum zu sehen, aber das Geräusch seines Messers am Baumstamm ist kristallklar. Ich frage mich, was mit der Ahle passiert ist. Mags muss sie entweder fallen gelassen oder mit sich in den Nebel genommen haben. So oder so ist sie weg.
Ich bin jetzt ein bisschen weiter im seichten Wasser und lasse mich abwechselnd auf dem Bauch und auf dem Rücken treiben. Peeta und mich hat das Salzwasser geheilt, aber Finnick scheint es regelrecht zu verwandeln. Langsam fängt er an, sich zu bewegen, probiert zunächst seine Glieder aus und schwimmt dann los. Aber nicht so, wie ich schwimme, gleichmäßig, mit rhythmischen Zügen. Es ist, als würde ein seltsames Meereswesen zum Leben erwachen. Er taucht unter und wieder auf, spuckt Wasser, kullert in einer verrückten Korkenzieherbewegung herum, von der mir schon beim Zuschauen schwindelig wird. Und dann, als er so lange unter Wasser bleibt, dass ich schon denke, er ist ertrunken, taucht sein Kopf direkt neben mir wieder auf, und ich zucke zusammen.
»Lass das«, sage ich.
»Was? Hochkommen oder unter Wasser bleiben?«, sagt er.
»Beides. Keines von beidem. Egal. Bleib einfach im Wasser und benimm dich«, sage ich. »Wenn es dir so gut geht, lass uns lieber Peeta helfen.«
Während wir die paar Schritte zum Rand des Dschungels gehen, merke ich, dass etwas anders ist. Vielleicht liegt es an der jahrelangen Jagderfahrung, vielleicht funktioniert mein repariertes Ohr wirklich besser, als es sollte. Jedenfalls nehme ich die vielen warmen Körper wahr, die über uns lauern. Sie brauchen nicht zu schnattern oder zu schreien. Ihr bloßes Atmen genügt.
Ich berühre Finnick am Arm und er folgt meinem Blick nach oben. Ich weiß nicht, wie sie es geschafft haben, sich so leise anzuschleichen. Vielleicht waren sie auch gar nicht leise. Wir waren nur damit beschäftigt, uns wiederherzustellen. Währenddessen haben sie sich versammelt. Nicht fünf oder zehn - es sitzen so viele Affen in den Dschungelbäumen, dass sich die Äste biegen. Die beiden, die wir gesehen haben, als wir vor dem Nebel geflohen sind, waren wohl nur das Empfangskomitee. Von dieser Menge geht etwas Unheilvolles aus.
Ich hole zwei Pfeile heraus und Finnick hält den Dreizack bereit. »Peeta«, sage ich, so ruhig ich kann. »Ich brauche mal deine Hilfe.«
»Okay, einen Moment. Ich glaube, ich hab’s gleich«, sagt er. Er macht sich immer noch an dem Baum zu schaffen. »Na also. Hast du mal den Zapfhahn?«
»Ja. Aber wir haben hier etwas entdeckt, das du dir besser mal ansehen solltest«, sage ich beherrscht. »Aber komm ganz ruhig her, damit du es nicht aufschreckst.« Aus irgendeinem Grund will ich nicht, dass er die Affen bemerkt oder auch nur in ihre Richtung schaut. Es gibt Lebewesen, die schon bloßen Blickkontakt als Herausforderung verstehen.
Peeta dreht sich zu uns, er ist außer Atem von der Arbeit an dem Baum. An dem merkwürdigen Ton, in dem ich gesprochen habe, merkt er, dass irgendetwas nicht stimmt. »Na gut«, sagt er lässig. Er geht durch den Dschungel, und ich weiß, dass er sich alle Mühe gibt, leise zu sein, doch das war noch nie seine Stärke, selbst als er noch zwei gesunde Beine hatte. Aber immerhin kommt er, und die Affen bleiben, wo sie sind. Er ist nur noch fünf Meter vom Strand entfernt, als er sie bemerkt. Ganz kurz nur schnellt sein Blick nach oben, doch es ist, als hätte er eine Bombe gezündet. Die Affen werden zu einer kreischenden Masse aus orangefarbenem Fell und stürmen auf ihn los.
Noch nie habe ich Tiere gesehen, die sich so schnell bewegt haben. Sie gleiten an den Lianen herab, als wären die Dinger geschmiert. Springen über unglaubliche Entfernungen von Baum zu Baum. Die Zähne gebleckt, die Nackenhaare gesträubt, die Klauen ausgefahren wie Springmesser. Ich kenne mich zwar nicht mit Affen aus, aber so verhalten sich Tiere in der Natur nicht. »Mutationen!«, stoße ich hervor, als Finnick und ich uns ins Gestrüpp stürzen.
Ich weiß, dass jeder Pfeil treffen muss, und das gelingt auch. Einen Affen nach dem anderen bringe ich in dem gespenstischen Licht zur Strecke, ziele auf Augen, Herz, Kehle, sodass jeder Treffer den Tod bedeutet. Doch selbst das würde nicht ausreichen, wären da nicht Finnick, der die Viecher wie Fische aufspießt und zur Seite schleudert, und Peeta, der mit dem Messer um sich stößt. Ich spüre, wie sich Klauen in mein Bein und meinen Rücken bohren, bis jemand den Angreifer erledigt. Die Luft wird schwer von den zertrampelten Pflanzen, dem Geruch von Blut und dem muffigen Geruch der Affen. Rücken an Rücken stellen Peeta, Finnick und ich uns ein paar Meter voneinander entfernt in einem Dreieck auf. Als ich den letzten Pfeil losschnellen lasse, rutscht mir das Herz in die Hose. Da fällt mir ein, dass auch Peeta einen Köcher hat. Und er schießt nicht, er stößt mit dem Messer zu. Jetzt ziehe auch ich das Messer, doch die Affen sind schneller, sie springen so schnell hin und her, dass ich kaum reagieren kann.