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Als ich die Augen wieder öffne, ist es Vormittag. Peeta liegt neben mir und schläft. An den Zweigen über uns hat jemand eine Grasmatte befestigt, die unsere Gesichter vor dem Sonnenlicht schützt. Ich setze mich auf und stelle fest, dass Finnick auch sonst nicht untätig gewesen ist. In zwei geflochtenen Schalen schwappt frisches Wasser. Eine dritte enthält einen Haufen Muscheln.

Finnick setzt sich in den Sand und bricht die Schalen mit einem Stein auf. »Frisch schmecken sie am besten«, sagt er, während er ein Stück Fleisch aus einer Muschel reißt und sich in den Mund steckt. Seine Augen sind geschwollen, aber ich tue so, als würde ich es nicht bemerken.

Bei dem Geruch von Essen fängt mein Magen an zu knurren und ich will mir eine Muschel nehmen. Als ich meine blutverkrusteten Fingernägel sehe, halte ich inne. Ich muss mir im Schlaf die Haut aufgekratzt haben.

»Wenn du kratzt, entzündet es sich, das weißt du doch«, sagt Finnick.

»Ach nee«, sage ich. Ich gehe ins Salzwasser und wasche das Blut ab, während ich überlege, was ich schlimmer finde, den Schmerz oder das Jucken. Restlos bedient stapfe ich auf den Strand, schaue nach oben und blaffe: »He, Haymitch, falls du nicht zu betrunken bist, wir könnten was für unsere Haut brauchen.«

Es ist fast schon ulkig, wie schnell der Fallschirm heruntergesegelt kommt. Ich strecke den Arm aus und die Tube landet direkt in meiner geöffneten Hand. »Wurde aber auch Zeit«, sage ich, schaffe es jedoch nicht, weiter böse zu gucken. Haymitch. Was gäbe ich darum, nur fünf Minuten mit ihm reden zu können.

Ich lasse mich neben Finnick in den Sand fallen und schraube den Deckel von der Tube. Darin ist eine dickflüssige schwarze Salbe, die einen beißenden Geruch verströmt, eine Mischung aus Teer und Kiefernnadeln. Ich rümpfe die Nase, während ich einen Klecks Salbe auf die Handfläche drücke und damit mein Bein einreibe. Im Nu lässt der Juckreiz nach und ein wohliges Seufzen entfährt mir. Das Zeug färbt meine schorfige Haut scheußlich graugrün. Ich nehme mir das zweite Bein vor und werfe die Tube dann Finnick zu. Er schaut mich skeptisch an.

»Das sieht ja aus, als würdest du verwesen«, sagt er. Aber offenbar gewinnt das Jucken die Oberhand, denn kurz darauf reibt auch Finnick seine Haut ein. Die Kombination aus Schorf und Salbe sieht wirklich ekelhaft aus. Ich kann der Versuchung, mich über seine Verzweiflung lustig zu machen, nicht widerstehen.

»Armer Finnick. Ist wohl das erste Mal in deinem Leben, dass du nicht hübsch aussiehst, hm?«, sage ich.

»Allerdings. Ein völlig neues Gefühl. Wie hast du das all die Jahre ausgehalten?«, fragt er.

»Einfach alle Spiegel meiden. Dann vergisst man’s«, erwidere ich.

»Nicht, wenn man dich dauernd vor Augen hat«, sagt er.

Wir beschmieren uns tüchtig, reiben uns sogar gegenseitig den Rücken ein, wo die Unterhemden die Haut nicht geschützt haben. »Ich wecke jetzt Peeta«, sage ich.

»Nein, warte«, sagt Finnick. »Wir wecken ihn gemeinsam. Damit er unsere beiden Gesichter sieht.«

In meinem jetzigen Leben gibt es so wenig Raum für Spaß, dass ich zustimme. Wir hocken uns rechts und links von Peeta hin, beugen uns vor, bis unsere Gesichter nur wenige Zentimeter vor seiner Nase sind, und rütteln ihn wach. »Peeta, Peeta, aufwachen«, säusele ich.

Seine Lider zucken, und als er die Augen öffnet, springt er auf wie von der Tarantel gestochen. »Aaaa!«

Finnick und ich lassen uns nach hinten in den Sand fallen und lachen uns kaputt. Immer, wenn wir aufhören wollen, schauen wir zu Peeta, der sich bemüht, eine verächtliche Miene zu wahren, und prusten wieder los. Als wir uns endlich zusammenreißen, kommt mir der Gedanke, dass Finnick Odair vielleicht doch ganz in Ordnung ist. Oder zumindest nicht so ein eitler Wichtigtuer, wie ich immer dachte. Wirklich gar nicht übel. Und just in dem Augenblick, als ich zu diesem Schluss komme, landet ein Fallschirm mit einem Laib Brot neben uns. Vom letzten Jahr weiß ich noch, dass Haymitch den Zeitpunkt für seine Geschenke häufig so wählt, dass er damit eine Botschaft übermittelt, deshalb präge ich mir ein: Freundet euch mit Finnick an. Dann bekommt ihr Essen.

Finnick dreht das frische Brot in seinen Händen hin und her und betrachtet die Kruste. Ein bisschen sehr besitzergreifend. Dabei wäre das gar nicht nötig. Das Brot hat die typische grüne Farbe von Seetang, wie alles Brot aus Distrikt 4. Jeder weiß, dass es ihm gehört. Vielleicht ist ihm eben erst klar geworden, wie wertvoll es ist und dass er jetzt möglicherweise zum letzten Mal einen solchen Laib zu Gesicht bekommt. Vielleicht ist mit der Kruste auch irgendeine Erinnerung an Mags verbunden. Doch er sagt nur: »Das schmeckt bestimmt gut zu den Muscheln.«

Während ich Peeta helfe, seine Haut mit der Salbe einzureiben, löst Finnick geschickt das Fleisch aus den Muscheln. Wir setzen uns zusammen hin und essen das köstliche süße Fleisch mit dem salzigen Brot aus Distrikt 4.

Wir sehen zwar fürchterlich aus - die Salbe bewirkt, dass sich an einigen Stellen der Schorf löst -, aber ich freue mich über die Arznei. Nicht nur, weil sie den Juckreiz lindert, sondern auch, weil sie vor der sengenden weißen Sonne am rosa Himmel schützt. An ihrem Stand lese ich ab, dass es fast zehn Uhr sein muss, wir sind also schon einen ganzen Tag in der Arena. Elf von uns sind tot. Dreizehn leben. Zehn von ihnen verstecken sich irgendwo im Dschungel. Drei bis vier sind Karrieros. Ich hab keine Lust, mir die anderen ins Gedächtnis zu rufen.

Der Dschungel hat sich für mich schnell von einem schützenden Ort in eine teuflische Falle verwandelt. Mir ist klar, dass wir irgendwann gezwungen sein werden, erneut in seine Tiefen einzutauchen, um zu jagen oder gejagt zu werden, doch fürs Erste habe ich nicht vor, unseren kleinen Strand zu verlassen. Peeta und Finnick scheinen das genauso zu sehen. Eine Weile wirkt der Dschungel fast statisch, summend und schillernd, keine Spur von den Gefahren, die er birgt. Doch plötzlich hören wir von fern Schreie und gegenüber beginnt ein Stück Dschungel zu vibrieren. Eine riesige Welle türmt sich bis über den Hügel auf, schwappt über die Bäume hinweg und rast tosend den Abhang hinunter. Sie trifft mit solcher Wucht auf das Meerwasser, dass die Gischt trotz der Entfernung um unsere Knie aufschäumt und unsere wenigen Habseligkeiten mit sich zu reißen droht. Mit vereinten Kräften gelingt es uns, die Sachen einzusammeln, ehe sie weggeschwemmt werden. Nur unsere durchlöcherten Overalls lassen wir davonschwimmen, sie sind von dem Nervengift so zerfressen, dass wir nicht an ihnen hängen.

Eine Kanone knallt. Über dem Gebiet, wo die Welle ihren Ausgang nahm, taucht ein Hovercraft auf und pflückt einen Körper von den Bäumen. Zwölf, denke ich.

Der Ring aus Wasser hat die Riesenwelle geschluckt und kommt allmählich zur Ruhe. Wir deponieren unsere Sachen wieder auf dem nassen Sand. Als wir uns schon darauf niederlassen wollen, sehe ich sie. Drei Gestalten, die zwei Radspeichen entfernt auf den Strand taumeln. »Da«, sage ich ganz ruhig und nicke in ihre Richtung. Peeta und Finnick folgen meinem Blick. Wie auf Kommando ziehen wir uns ins Dunkel des Dschungels zurück.

Das Trio ist reichlich mitgenommen, das sieht man sofort. Einer schleift einen anderen mit sich und der Dritte torkelt wie geistesgestört in irren Kreisen umher. Ihre Haut ist knallrot, als hätte jemand sie in Farbe getaucht und zum Trocknen rausgehängt.

»Wer ist das?«, fragt Peeta. »Oder was? Mutationen?«

Ich lege einen Pfeil ein und mache mich angriffsbereit. Aber nichts geschieht, außer dass der eine, der mitgeschleppt wurde, plötzlich am Strand zusammenbricht. Sein Helfer stampft frustriert mit dem Fuß auf. Er fährt herum, schubst den Verwirrten, der im Kreis gelaufen ist, vor sich her, lässt seine Wut an ihm aus.