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Plötzlich ruckt der Boden unter meinen Füßen und ich werde seitwärts in den Sand geschleudert. Der Ring aus Land rund um das Füllhorn beginnt sich zu drehen, immer schneller, bis der Dschungel zu einem verschwommenen Etwas wird. Ich spüre die Fliehkraft, die mich zum Wasser zieht, und grabe auf der Suche nach Halt Hände und Füße in den Sand. Umherwirbelnder Sand und Schwindelgefühl zwingen mich, die Augen fest zu schließen. Ich kann buchstäblich nichts tun außer durchhalten, bis wir ohne Vorankündigung abrupt wieder anhalten.

Hustend und würgend setze ich mich langsam auf und stelle fest, dass es meinen Gefährten genauso ergangen ist. Finnick, Johanna und Peeta haben sich halten können. Die drei Toten sind hinaus ins Salzwasser geschleudert worden.

Von dem Zeitpunkt an, da Wiress aufgehört hat zu singen, sind nicht mehr als ein oder zwei Minuten vergangen. Keuchend sitzen wir da und pulen uns den Sand aus dem Mund.

»Wo ist Minus?«, fragt Johanna plötzlich. Im Nu sind wir auf den Beinen, wenn auch wackelig. Ein Gang rund um das Füllhorn bestätigt, dass er fort ist. Finnick entdeckt ihn zwanzig Meter entfernt verzweifelt strampelnd im Wasser und schwimmt hinaus, um ihn zu bergen.

In diesem Moment fällt mir die Drahtrolle ein, die so wichtig für Beetee ist. Hektisch schaue ich mich um. Wo ist sie? Wo ist sie? Dann entdecke ich sie, Wiress hält sie immer noch fest, weit draußen im Wasser. Bei dem Gedanken, was ich jetzt tun muss, zieht sich mir der Magen zusammen. »Gebt mir Deckung«, sage ich zu den anderen. Ich werfe meine Waffen weg und laufe den Streifen entlang, der ihrem Körper am nächsten ist. Ohne abzubremsen, springe ich ins Wasser und schwimme auf sie zu. Aus dem Augenwinkel erkenne ich das Hovercraft, das über uns erscheint, und den Greifer, der heruntergelassen wird, um Wiress fortzuschaffen. Aber ich werde nicht langsamer. Ich schwimme, so schnell ich kann, rassele in ihren Körper. Keuchend tauche ich auf, versuche so wenig wie möglich von dem Wasser zu schlucken, das sich mit dem Blut aus der offenen Wunde an ihrem Hals vermischt. Wiress treibt auf dem Rücken, ihr Gürtel und der Tod halten sie über Wasser, die Augen starren in die erbarmungslose Sonne. Während ich Wasser trete, entreiße ich ihren Fingern, die nichts mehr hergeben wollen, gewaltsam die Drahtrolle. Ich kann nichts mehr für sie tun, außer ihr die Lider zu schließen, ihr Lebewohl zuzuflüstern und sie dann sich selbst zu überlassen. Als ich die Drahtrolle auf den Sand werfe und mich aus dem Wasser ziehe, ist ihr Körper schon fort. Aber ich schmecke noch immer ihr Blut, vermischt mit Meersalz.

Ich gehe zurück zum Füllhorn. Finnick hat Beetee wiederbelebt, der reichlich Wasser geschluckt hat. Er setzt sich auf und prustet. Zum Glück hat er daran gedacht, seine Brille festzuhalten, so kann er wenigstens sehen. Ich lege ihm die Drahtrolle in den Schoß. Sie ist blitzsauber, kein Blut mehr daran zu sehen. Er wickelt ein Stück Draht ab und lässt es durch die Finger laufen. Zum ersten Mal sehe ich genauer hin. Dieser Draht ist ganz anders als der, den ich kenne. Er ist blassgolden und so dünn wie ein Haar. Er muss viele Kilometer lang sein, wenn ich mir die Rolle so anschaue. Aber ich frage nicht, weil ich weiß, dass Beetee mit den Gedanken bei Wiress ist.

Ich schaue in die ernsten Gesichter der anderen. Alle haben sie nun ihre Distriktpartner verloren, Finnick, Johanna und Beetee. Ich gehe hinüber zu Peeta und schlinge die Arme um ihn und eine Zeit lang sagt keiner was.

»Lasst uns von dieser stinkenden Insel verschwinden«, sagt Johanna schließlich. Unsere Waffen haben wir weitgehend retten können. Zum Glück halten die Ranken hier was aus und der Fallschirm mit Zapfhahn und Salbe hängt noch fest an meinem Gürtel. Finnick zieht das Unterhemd aus und bindet es um die Wunde, die Enobarias Messer in seinem Schenkel hinterlassen hat; sie ist nicht tief. Beetee meint, dass er jetzt laufen kann, wenn wir langsam gehen, ich helfe ihm hoch. Wir beschließen, zum Zwölf-Uhr-Strand zu gehen. Dort dürften wir ein paar Stunden Ruhe haben, ohne mit giftigen Dämpfen rechnen zu müssen. Aber dann laufen Peeta, Johanna und Finnick jeder in eine andere Richtung.

»Zwölf Uhr, oder?«, sagt Peeta. »Die Spitze zeigt auf die Zwölf.«

»Das hat sie, bevor sie uns durcheinandergewirbelt haben«, sagt Finnick. »Ich orientiere mich lieber an der Sonne.«

»Die Sonne sagt dir nur, dass es bald vier Uhr ist, Finnick«, sage ich.

»Wenn ich recht verstehe«, mischt Beetee sich ein, »will Katniss sagen, dass wir zwar wissen, wie viel Uhr es ist, aber nicht unbedingt, wo auf der Uhr sich die Vier befindet. Wir haben vielleicht eine ungefähre Ahnung, in welche Richtung es geht. Vorausgesetzt, sie haben den äußeren Ring nicht auch versetzt.«

Nein, Katniss wollte nichts derart Ausgefeiltes sagen. Beetees Theorie geht weit über meine Bemerkung zur Sonne hinaus. Aber ich nicke nur, als wäre genau das mein Gedanke gewesen. »Ja, und das bedeutet, dass jeder dieser Sandstreifen zur Zwölf führen könnte«, sage ich.

Wir umrunden das Füllhorn und erforschen den Dschungel. Er ist verwirrend gleichförmig. Ich erinnere mich an den großen Baum, in den um zwölf Uhr der erste Blitz einschlug, doch in jedem Sektor gibt es einen ähnlichen Baum. Johanna schlägt vor, den Spuren von Brutus und Enobaria zu folgen, aber sie sind verweht oder weggewaschen worden. Es ist unmöglich, irgendetwas zu erkennen. »Hätte ich die Uhr doch nie erwähnt«, sage ich verbittert. »Jetzt haben sie uns auch noch diesen Vorteil genommen.«

»Nur vorübergehend«, sagt Beetee. »Um zehn, wenn die Welle kommt, sind wir wieder auf Kurs.«

»Genau, die ganze Arena können sie nicht neu designen«, stimmt Peeta zu.

»Was soll’s«, sagt Johanna ungeduldig. »Du musstest es uns sagen, sonst hätten wir doch nie unser Lager abgebrochen, Dummerchen.« Eigenartig, aber ihre logische, wenn auch erniedrigende Antwort ist die einzige, die mich tröstet. Ja, ich musste es ihnen sagen, damit sie sich aufraffen. »Vorwärts, ich brauche Wasser. Hat einer ein gutes Bauchgefühl?«

Wir entscheiden uns für irgendeinen Streifen und folgen ihm, ohne zu wissen, auf welche Ziffer wir uns zubewegen. Als wir den Dschungel erreichen, spähen wir hinein und versuchen zu erraten, was uns dort erwarten mag.

»Müsste eigentlich die Affenstunde sein. Aber ich kann keine Affen entdecken«, sagt Peeta. »Ich schau mal, ob ich einen Baum anzapfen kann.«

»Nein, ich bin dran«, sagt Finnick.

»Dann gebe ich dir wenigstens Rückendeckung«, erklärt Peeta.

»Das kann Katniss übernehmen«, sagt Johanna. »Dich brauchen wir, um eine neue Karte zu zeichnen. Die andere ist doch weggespült worden.« Sie reißt ein großes Blatt von einem Baum und reicht es ihm.

Einen Augenblick lang keimt in mir der Verdacht auf, sie wollen Peeta und mich trennen und uns beide töten. Aber das ist unlogisch. Solange Finnick sich an dem Baum zu schaffen macht, bin ich im Vorteil, und Peeta ist viel stärker als Johanna. Also folge ich Finnick etwa fünfzehn Meter in den Dschungel hinein, wo er einen brauchbaren Baum findet und mit seinem Messer ein Loch hineinzustechen beginnt.

Wie ich so dastehe, mit schussbereitem Bogen, werde ich das beklemmende Gefühl nicht los, dass hier etwas vorgeht und dass es mit Peeta zu tun hat. Ich gehe die Ereignisse durch, von dem Moment an, als der Gong ertönte, und suche nach dem Grund für mein Unbehagen. Finnick, der Peeta von seiner Metallscheibe wegzieht. Finnick, der Peeta wiederbelebt, nachdem das Kraftfeld sein Herz zum Stillstand brachte. Mags, die in den Nebel rennt, damit Finnick Peeta tragen kann. Die Morfixerin, die sich zwischen Peeta und den Affen wirft. Der Kampf mit den Karrieros ging so schnell und war im Nu wieder vorbei, aber hat Finnick nicht Brutus’ Speer abgefangen, bevor er Peeta traf, obwohl er dadurch Enobaria Gelegenheit gab, ihm ihr Messer ins Bein zu rammen? Und jetzt will Johanna, dass er eine Karte zeichnet, anstatt sich den Gefahren des Dschungels auszusetzen …