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Beetee ruft uns zu sich, und wir erfahren, dass er während all der Stunden, die er dagesessen und an seinem Draht gefummelt hat, tatsächlich einen Plan ausgeheckt hat. »Wir dürften uns einig sein, dass wir als Nächstes Brutus und Enobaria töten müssen«, sagt er sanft. »Ich glaube nicht, dass sie uns noch einmal offen angreifen werden, jetzt, da sie so in der Minderheit sind. Wir könnten uns wohl an ihre Fersen heften, aber das wäre gefährlich und anstrengend.«

»Meinst du, sie haben das mit der Uhr rausgekriegt?«, frage ich.

»Wenn nicht, werden sie es bald rauskriegen. Vielleicht nicht so exakt wie wir. Aber sie mussten wissen, dass zumindest einige Sektoren für Angriffe ausgerüstet sind und diese in regelmäßigen Abständen immer wieder auftreten. Und es wird ihnen nicht entgangen sein, dass unser letzter Kampf durch das Eingreifen der Spielmacher unterbunden wurde. Wir wissen, dass das ein Versuch war, uns die Orientierung zu nehmen, doch auch sie werden sich fragen, was der Grund dafür war, und am Schluss könnten sie zu der Erkenntnis gelangen, dass die Arena eine Uhr ist«, sagt Beetee. »Daher denke ich, dass wir ihnen am besten eine Falle stellen.«

»Warte, ich gehe Johanna holen«, sagt Finnick. »Sie wird stinksauer sein, wenn sie mitbekommt, dass wir ohne sie über so wichtige Dinge sprechen.«

»Oder auch nicht«, brumme ich in mich hinein, denn eigentlich ist sie immer sauer. Aber ich halte ihn nicht auf, denn wenn man mich in diesem Augenblick von einem Plan ausschließen würde, wäre ich auch ganz schön stinkig.

Als sie dazugestoßen ist, scheucht Beetee uns allesamt ein Stück zurück, damit er mehr Platz hat. Rasch zeichnet er einen Kreis in den Sand und unterteilt ihn in zwölf Segmente. Das ist die Arena, nicht mit Peetas präzisen Strichen, sondern mit den groben Strichen eines Mannes, der mit anderen, weit komplexeren Dingen beschäftigt ist. »Wenn ihr Brutus und Enobaria wärt und nun über den Dschungel Bescheid wusstest, wo würdet ihr euch am sichersten fühlen?«, fragt Beetee. Seine Stimme hat nichts Herablassendes, trotzdem erinnert er mich an einen Lehrer, der die Schüler zum Mitmachen animieren will. Vielleicht liegt es am Altersunterschied oder einfach daran, dass Beetee wahrscheinlich hunderttausendmal schlauer ist als wir anderen.

»Wo wir sind, am Strand«, sagt Peeta. »Das ist der sicherste Ort.«

»Und warum sind sie dann nicht am Strand?«, fragt Beetee.

»Weil wir hier sind«, sagt Johanna ungeduldig.

»Exakt. Wir sind hier und beanspruchen den Strand für uns. Und wo würdet ihr dann hingehen?«, fragt Beetee.

Ich denke an den tödlichen Dschungel, den besetzten Strand. »Ich würde mich am Rand des Dschungels verstecken. Dann könnte ich fliehen, wenn eine Attacke kommt. Und ich könnte uns ausspionieren.«

»Auch um zu essen«, sagt Finnick. »Im Dschungel wimmelt es von unbekannten Tieren und Pflanzen. Aber wer uns beobachtet, weiß, dass die Nahrung aus dem Meer sicher ist.«

Beetee lächelt uns an, als hätten wir seine Erwartungen übertroffen. »Sehr gut. Ihr habt’s begriffen. Jetzt hört euch meinen Vorschlag an: Wir schlagen um zwölf Uhr zu. Was passiert genau um Mittag und um Mitternacht?«

»Der Blitz schlägt in den Baum ein«, sage ich.

»Genau. Deshalb schlage ich vor, dass wir nach dem nächsten Mittagsblitz und vor dem Mitternachtsblitz meinen Draht von diesem Baum bis ins Salzwasser spannen, das, wie ihr wisst, ein sehr guter Leiter ist. Wenn der Blitz einschlägt, wird die Spannung über den Draht nicht nur ins Wasser geleitet, sondern auch in den umliegenden Strand, der noch von der Zehn-Uhr-Welle feucht sein wird. Jeder, der in diesem Augenblick Wasser oder Sand berührt, wird von dem Stromschlag getötet«, sagt Beetee.

Es entsteht eine längere Pause, in der wir Beetees Plan verdauen. Mir erscheint er fantastisch bis unmöglich. Aber warum eigentlich? Ich habe doch selbst unzählige Fallen gestellt. Ist das nicht einfach eine größere, ausgeklügeltere Falle? Kann sie vielleicht wirklich funktionieren? Dürfen wir das überhaupt infrage stellen, wir Tribute, die darauf abgerichtet sind, Fisch, Holz und Kohle zu gewinnen? Was wissen wir schon darüber, wie man die Kräfte des Himmels nutzbar macht?

Peeta hakt nach. »Hält der Draht das denn aus, so viel Energie weiterzuleiten, Beetee? Er sieht so zart aus, als würde er sofort durchschmoren …«

»Genau das wird er auch. Aber erst, nachdem der Strom hindurchgelaufen ist. Er funktioniert wie eine Sicherung. Nur, dass er Strom leitet«, sagt Beetee.

»Woher weißt du das?«, fragt Johanna, ganz und gar nicht überzeugt.

»Weil ich ihn erfunden habe«, sagt Beetee und klingt leicht überrascht. »Das ist kein herkömmlicher Draht. Genauso wenig, wie der Blitz ein natürlicher Blitz und der Baum ein natürlicher Baum ist. Du kennst dich am besten von uns allen mit Bäumen aus, Johanna. Er müsste doch inzwischen längst zerstört sein, oder?«

»Ja«, sagt sie mürrisch.

»Macht euch keine Sorgen um den Draht - er wird tun, was ich sage«, versichert Beetee uns.

»Und wo werden wir sein, wenn es passiert?«, fragt Finnick.

»Tief genug im Dschungel, dass uns nichts passieren kann«, antwortet Beetee.

»Aber dann kann den Karrieros auch nichts passieren, es sei denn, sie halten sich in der Nähe des Wassers auf«, werfe ich ein.

»Stimmt«, sagt Beetee.

»Aber das ganze Meeresgetier wird dabei doch gekocht«, sagt Peeta.

»Vermutlich mehr als gekocht«, sagt Beetee. »Ziemlich wahrscheinlich, dass wir diese Nahrungsquelle dabei vernichten. Aber du hast im Dschungel doch andere Dinge entdeckt, die man essen kann, nicht wahr, Katniss?«

»Ja. Nüsse und Ratten«, sage ich. »Und wir haben Sponsoren.«

»Na, dann sehe ich darin kein Problem«, sagt Beetee. »Aber da wir Verbündete sind und dieser Plan unsere vereinten Kräfte erfordert, liegt die Entscheidung darüber, ob wir es versuchen wollen oder nicht, bei euch vieren.«

Wir sind wie Schulkinder. Unser Horizont reicht gerade so weit, dass wir seine Theorie unter den elementarsten Gesichtspunkten betrachten können. Und die haben im Grunde gar nichts mit seinem eigentlichen Plan zu tun. Ich schaue in die ratlosen Gesichter der anderen. »Warum nicht?«, sage ich. »Wenn es schiefgeht, schadet’s nicht. Wenn es funktioniert, stehen die Chancen gut, dass sie getötet werden. Und selbst wenn uns das nicht gelingt und wir nur die Fische töten, verlieren Brutus und Enobaria auch eine Nahrungsquelle.«

»Ich sage, wir versuchen es«, sagt Peeta. »Katniss hat recht.«

Finnick hebt die Brauen und sieht Johanna an. Ohne sie wird er nicht zustimmen. »Also gut«, sagt sie schließlich. »Auf jeden Fall besser, als ihnen im Dschungel hinterherzujagen. Und ich glaube nicht, dass sie hinter unseren Plan kommen, wir kapieren ihn ja selbst kaum.«

Bevor Beetee an dem Baum herumbastelt, möchte er ihn in Augenschein nehmen. Dem Stand der Sonne nach ist es etwa neun Uhr morgens. Wir müssen unseren Strand sowieso bald verlassen. Also brechen wir das Lager ab, gehen hinüber zu dem Strand, der an den Gewittersektor grenzt, und dringen in den Dschungel ein. Beetee ist noch immer zu schwach, um den Aufstieg aus eigener Kraft zu bewältigen, deshalb tragen Finnick und Peeta ihn abwechselnd. Ich überlasse Johanna die Führung, denn zum Baum geht es ziemlich geradeaus, sie könnte uns kaum in die Irre führen. Und ich kann mit einem Köcher voller Pfeile sehr viel mehr ausrichten als sie mit den beiden Äxten. Deshalb ist es am klügsten, wenn ich die Nachhut bilde.

Die dichte, feuchtwarme Luft lastet auf mir. Seit die Spiele begonnen haben, sind wir ihr ununterbrochen ausgesetzt. Mir wäre lieber, Haymitch würde statt Brot aus Distrikt 3 mal wieder welches aus Distrikt 4 schicken, in den letzten beiden Tagen habe ich eimerweise Schweiß vergossen, und trotz all des Fischs lechze ich nach Salz. Ein Stück Eis wäre auch nicht schlecht. Oder kaltes Wasser. Ich bin durchaus dankbar für die Flüssigkeit aus den Bäumen, doch sie hat die gleiche Temperatur wie das Salzwasser und die Luft und die anderen Tribute und ich. Wir sind allesamt ein großer warmer Eintopf.