Выбрать главу

Er war zu weit gegangen. Lucan sagte nichts, aber ein Blick in die Runde und dann zur Tür schickte alle außer Dante aus dem Raum. Unglücklich starrte Dante den weißen Marmorfußboden unter seinen durchweichten Stiefeln an und ahnte, dass er sich eine derbe Rüge eingehandelt hatte.

Niemand verlor in Lucans Gegenwart ungestraft die Beherrschung.

Er war der Anführer des Ordens. Das war er schon seit der ursprünglichen Gründung des Elitekaders von Stammeskriegern vor fast siebenhundert Jahren, lange ehe Dante und die meisten anderen derzeitigen Mitglieder überhaupt geboren waren. Lucan war ein Vampir erster Generation. Er hatte die Gene der Alten im Blut, jener Wesen aus einer anderen Dimension, die vor Jahrtausenden auf diesen Planeten gekommen waren, sich mit Menschenfrauen gepaart und so die erste Generation des Mitternachtsstammes gezeugt hatten. Gen-Eins-Vampire wie Lucan waren heutzutage selten geworden. Aber sie waren immer noch die mächtigsten – und reizbarsten – von allen Angehörigen des Vampirvolks.

Er war Dantes Mentor, ein wahrer Freund, wenn Dante sich erdreisten durfte, den legendären Krieger so zu bezeichnen.

Aber das hieß nicht, dass Lucan ihn nicht zur Schnecke machte, wenn er glaubte, dass Dante es nötig hatte.

„Die PR der Dunklen Häfen geht mir genauso am Arsch vorbei wie dir“, sagte Lucan, die tiefe Stimme beherrscht und kühl. „Aber diese Droge macht mir Sorgen. Wir müssen herausfinden, woher sie kommt, und die Verteilerkette lahmlegen. Das ist zu wichtig, um es den Leuten aus den Reservaten zu überlassen. Wenn wir dadurch, dass Agent Chase ein paar Nächte Krieger spielen darf, gewährleisten können, dass die Operation geheim und im Rahmen bleibt, bis wir die Situation unter Kontrolle haben, und zwar zu unseren Bedingungen, dann müssen wir das in Kauf nehmen.“

Dante öffnete den Mund, um mit einem weiteren Gegenargument zu kontern, aber Lucan hob eine schwarze Augenbraue und brachte ihn damit zum Verstummen, noch ehe ihm das erste Wort über die Lippen gekommen war.

„Ich habe beschlossen, dass du es bist, mit dem Agent Chase auf Streife gehen wird.“

Dante biss sich auf die Zunge. Er wusste, Lucans Entscheidung stand unwiderruflich fest, er würde nicht mit ihm darüber diskutieren.

„Ich habe dich ausgewählt, weil du der Beste für den Job bist, Dante. Tegan würde den Agenten wahrscheinlich sofort umbringen, einfach weil er ihm auf die Nerven geht. Und Niko ist zwar ein fähiger Krieger, aber er hat nicht deine jahrelange Erfahrung auf der Straße. Pass auf, dass der Agent nicht in Schwierigkeiten kommt, aber lass dabei das eigentliche Ziel nicht aus den Augen: unsere Feinde auszulöschen. Ich weiß, du wirst mich nicht enttäuschen. Das hast du noch nie getan. Ich werde Chase kontaktieren und ihn wissen lassen, dass seine erste Tour morgen Abend beginnt.“

Dante nickte stumm. Jetzt, wo ihm die Empörung heiß durch die Adern schoss, wagte er nicht zu sprechen. Lucan schlug ihm auf die Schulter, als wollte er ihm bedeuten, dass er Dantes kochenden Ärger verstand, dann ging er aus dem Labor. Einen Moment lang konnte Dante nur dastehen, seine Kiefer so schmerzhaft aufeinandergepresst, dass seine Backenzähne schmerzten.

Hatte er, als er das Gelände betreten hatte, wirklich geglaubt, diese Nacht könnte nicht mehr schlimmer werden?

Da hatte er sich verdammt noch mal ordentlich getäuscht.

Nach allem, was er in den vergangenen zwölf Stunden durchgemacht hatte, kriegte er nun auch noch diesen ungewollten Babysitterjob als krönenden Abschluss. Offenbar musste er seine Definition von „Rettungslos verfahrener Scheiße“ noch einmal ganz neu überdenken.

7

„Da haben Sie ihn wieder, Mrs. Corelli.“ Tess reichte einen Katzentransportkorb aus Plastik über den Empfangstresen und gab den knurrenden, fauchenden weißen Perser seiner Eigentümerin zurück. „Angel ist gerade nicht in bester Laune, aber in ein paar Tagen ist er wieder ganz auf dem Damm. Ich würde ihn allerdings nicht rauslassen, solange sich die Fäden noch nicht ganz aufgelöst haben. Seine Tage als Casanova sind jetzt auf jeden Fall gezählt.“

Die ältere Dame schnalzte mit der Zunge. „Seit Monaten geht das jetzt schon so. Ich schau die Straße hoch, die Straße runter – überall rennen lauter kleine Angels herum. Und mein armes Miezekätzchen, jeden Abend kam er zugerichtet wie ein Preisboxer nach Hause, sein armes Gesichtchen ganz zerrissen und blutig.“

„Tja, viel Interesse am Raufen wird er jetzt nicht mehr haben. Oder an seinem anderen Lieblingshobby. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, ihn kastrieren zu lassen, Mrs. Corelli.“

„Mein Mann lässt fragen, ob Sie das nicht auch für den aktuellen Freund unserer Enkelin tun könnten. Oh, das ist vielleicht ein wilder Junge. Nichts als Ärger, dabei ist er erst fünfzehn!“

Tess lachte. „Ich fürchte, ich darf wirklich nur Tiere behandeln.“

„Schade, das ist alles, was ich dazu sage. Also, was bin ich Ihnen schuldig, meine Liebe?“

Tess sah der älteren Frau zu, wie sie mit aufgesprungenen, arthritischen Händen umständlich ihr Scheckbuch zückte. Sie wusste, Mrs. Corelli war schon eine Weile im Rentenalter, trotzdem arbeitete sie immer noch fünf Tage die Woche als Putzfrau. Es war harte Arbeit, die schlecht bezahlt wurde, aber seit die Invalidenrente ihres Mannes vor ein paar Jahren ausgelaufen war, war Mrs. Corelli diejenige, die ihre Familie durchbringen musste. Immer, wenn Tess in Versuchung kam, wegen ihrer finanziellen Lage zu verzweifeln, dachte sie an diese Frau und mit wie viel Würde sie sich durchs Leben schlug.

„Wir haben gerade eine spezielle Rabattaktion, Mrs. Corelli. Deshalb kostet es Sie heute nur zwanzig Dollar.“

„Sind Sie sicher, meine Liebe?“ Als Tess bestätigend nickte, zahlte die Frau die Gebühr, klemmte sich den Transportkorb unter den Arm und ging auf den Ausgang zu.

„Danke, Dr. Tess.“

„Gern geschehen.“

Als sich die Tür hinter ihrem Patienten schloss, warf Tess einen Blick auf die Uhr an der Wand des Wartezimmers. Erst kurz nach vier. Der Tag wollte und wollte nicht vergehen, kein Wunder nach der seltsamen Nacht, die sie hinter sich hatte. Sie hatte schon daran gedacht, alle Termine abzusagen und zu Hause zu bleiben, aber dann hatte sie sich zusammengerissen und doch den ganzen Tag durchgearbeitet. Nur noch ein Termin, dann konnte sie die Klinik für heute zumachen.

Obwohl sie eigentlich keine Ahnung hatte, was sie nach Hause in ihre leere Wohnung trieb. Sie fühlte sich nervös und erschöpft, ihr ganzer Körper summte von einer seltsamen Unruhe.

„Du hast eine Nachricht von Ben“, verkündete Nora, als sie aus dem Behandlungsraum kam, in dem sie die Fellpflege von Hunden durchführten. „Auf einem Klebezettel beim Telefon. Irgendwas von so einem noblen Kunstevent morgen Abend? Er sagte, vor ein paar Wochen hast du mal erwähnt, dass du mit ihm dorthin willst, aber er wollte sichergehen, dass du’s nicht vergessen hast.“

„Oh, Mist. Die Ausstellungseröffnung im Museum der schönen Künste ist schon morgen Abend?“

Nora warf ihr einen trockenen Blick zu. „Scheint, als hättest du es tatsächlich vergessen. Es klingt jedenfalls nach einem tollen Abend. Ach, und deine Vierundzwanzig-Stunden-Impfung hat eben angerufen und abgesagt. Eins der Mädels beim Schnellimbiss hat sich krankgemeldet, darum arbeitet sie jetzt zwei Schichten hintereinander. Sie wollte einen neuen Termin für nächste Woche.“

Tess fasste ihr langes Haar im Nacken zusammen und massierte die angespannten Muskeln am Schädelansatz. „Das geht klar. Rufst du sie für mich zurück und machst den neuen Termin mit ihr?“

„Hab ich doch schon gemacht. Geht’s dir gut?“

„Ja. War gestern nur eine lange Nacht, das ist alles.“

„Davon hab ich schon gehört. Ben hat mir erzählt, was passiert ist. Bist wieder am Schreibtisch eingepennt, was?“ Nora lachte und schüttelte den Kopf. „Und Ben hat sich Sorgen gemacht und die Cops gerufen, um nach dir zu sehen? Bin ich froh, dass er mit denen keine ernsten Probleme bekommen hat wegen dieser streunenden Katze, die er da aufgesammelt hat.“