Dante bog um eine Straßenecke, dann schlich er in eine weitere enge Gasse hinein, die zwischen einigen alten Ziegelgebäuden in die Dunkelheit führte. Vor sich hörte er eine Frau aufschreien. Sofort stürzte er los und stürmte dem Geräusch entgegen.
Keine Sekunde zu früh.
Der Rogue hatte die beiden von vorhin angefallen, die zwei jungen Vampire aus den Dunklen Häfen und ihre menschlichen Begleiterinnen. Er sah in seiner Standardmontur der Gothicszene, die er unter einem langen, schwarzen Trenchcoat trug, sehr jung aus. Aber jung oder nicht, er war groß und stark und tobte vor Hunger. Eine der Frauen hielt der Vampir im Blutrausch schon im Todesgriff gepackt und hatte sich in ihrem Hals verbissen, die beiden Möchtegern-Krieger standen hilflos und vor Schreck wie versteinert dabei.
Dante zog den Dolch aus der Scheide an seiner Hüfte und ließ ihn fliegen. Die Klinge traf den Rogue tief zwischen die Schulterblätter. Es war eine Spezialanfertigung aus Stahl und Titan, Letzteres von hochtoxischer Wirkung auf den verseuchten Blutkreislauf und die verkümmernden Organe der Rogues. Ein Kuss dieser tödlichen Klinge, und ein Roguevampir begann in Rekordgeschwindigkeit von innen heraus zu kochen und sich zu zersetzen, bis nur noch eine Handvoll Asche von ihm übrig blieb. Jeder Rogue.
Nur dieser nicht.
Er warf den Kopf herum und warf Dante einen wilden Blick zu, seine Augen glühten bernsteinfarben, als er ihm zwischen blutverschmierten Fangzähnen eine bösartige Warnung zuzischte. Aber sein Körper hielt dem Angriff des Dolches stand, er umklammerte seine Beute nur noch fester. Schlaff pendelte ihr Kopf hin und her, während er sie noch gieriger aussaugte als zuvor.
Was zum Teufel war das?
Dante rannte mit seiner zweiten Waffe auf den trinkenden Vampir zu. Er vergeudete keine Sekunde, dieses Mal zielte er direkt auf den Hals, um ihn glatt durchzuschneiden, und jagte die Klinge tief hinein. Aber bevor Dante die Sache zu Ende bringen konnte, drehte sich der Bastard um und brachte sich mit einem Sprung außer Reichweite. Mit einem schmerzerfüllten Aufbrüllen ließ er sein Opfer los und konzentrierte all seine Wut auf Dante.
„Bringt die Menschen weg!“, rief Dante den beiden jungen Vampiren zu, riss die Frau aus der Kampfbahn und stieß sie in ihre Richtung. „Los! Worauf wartet ihr! Säubert sie, löscht ihre Erinnerungen aus, und dann macht, dass ihr mit ihnen fortkommt!“
Die schreckstarren Jungen kamen zu sich. Sie packten die schreienden Frauen und zogen sie vom Schauplatz des Geschehens, während Dante sich den Kopf zerbrach, wie das möglich war:
Der Roguevampir hatte sich nicht aufgelöst, wie er es eigentlich hätte tun müssen nach der doppelten Dosis Titan, die Dante ihm verpasst hatte. Also war er gar kein Rogue. Obwohl er auf Beutejagd gewesen war und gesoffen hatte wie der schlimmste Blutjunkie, konnte er kein Rogue sein.
Dante starrte in die verzerrte Fratze, registrierte die ausgefahrenen Fangzähne, die geschlitzten Pupillen in den gelb glühenden Augen. Der Mund war verschmiert von einer faulig stinkenden, rosafarbenen Speichelschliere, von deren stechendem Gestank sich Dante fast der Magen umdrehte.
Angewidert wich er zurück. Dieser Vampir konnte höchstens im selben Alter sein wie die beiden Jungs aus den Dunklen Häfen – das war ja nur ein verdammter Teenie! Ohne die pulsierende Wunde, die in seinem Hals klaffte, sonderlich zu beachten, griff der Vampir nach hinten und zog sich Dantes Dolch aus der Schulter. Er knurrte, seine Nasenflügel bebten, als wollte er Dante jeden Moment anfallen.
Aber dann ergriff er die Flucht.
Der Bastard machte eine scharfe Kehrtwendung, sein Trenchcoat flatterte wie ein Segel hinter ihm her, während er auf einem Zickzackkurs tiefer in die City rannte. Dante, der ihn keine Sekunde aus den Augen ließ, blieb ihm hart auf den Fersen. Es war eine wilde Verfolgungsjagd durch unzählige Straßen, durch Hintergassen und ganze Stadtviertel und dann weiter hinaus zu den Hafenanlagen am Stadtrand von Boston, wo leere Fabrikhallen und alte Industrieanlagen am Flussufer aufragten wie stumme Wächter. Aus einem der Gebäude drang pulsierende Musik mit wummernden Bässen, Lichtblitze zuckten durch die Nacht, anscheinend war irgendwo in der Nähe eine Raveparty im Gange.
Ein paar hundert Meter vor ihm rannte der Vampir ein Dock entlang auf ein baufälliges altes Bootshaus zu. Sackgasse. Er schäumte vor Wut, schwang sich herum und ging zum Angriff über, stürmte auf Dante zu, brüllend wie ein Wahnsinniger. Seine ganze Vorderseite war von frischem Blut getränkt, dem der jungen Frau, die er so brutal angefallen hatte. Der Vampir schnappte nach Dante, hackte mit seinen Krallen nach ihm, von den ausgefahrenen Fangzähnen troff der Speichel, die gelben Augen glühten in wilder Bosheit. Und aus dem klaffenden Maul drang wieder dieser seltsame, faulig riechende rosafarbene Schaum.
Dante fühlte, wie die Raserei auch ihn überkam. Kampflust brauste ihm durch die Adern und machte ihn zu einem Geschöpf, das sich von dem, das er bekämpfte, gar nicht so sehr unterschied. Mit einem Knurren warf er den Scheißkerl auf die hölzernen Planken des Docks nieder, rammte ihm ein Knie in die breite Brust und zog seine Malebranche-Zwillingsschwerter. Die geschwungenen Klingen glänzten silbern im Mondlicht, von atemberaubender, tödlicher Schönheit. Auch wenn das Titan sich erneut als nutzlos erweisen sollte – es gab mehr als eine Art, einen Vampir zu töten, ob er ein Rogue war oder nicht. Dante stach mit beiden Klingen zu, erst mit der einen, dann mit der anderen, er riss den fleischigen Hals der Bestie auf und trennte mit einem sauberen Schnitt den Kopf ab.
Dante kickte die Überreste über den Rand des Docks ins Wasser. Der dunkle Fluss würde die Leiche bis zum Morgen verbergen, und wenn das Tageslicht kam, würden die UV-Strahlen den Rest erledigen.
Am Wasser kam eine Brise auf, sie führte den Gestank der Verschmutzung durch die angrenzenden Fabriken mit sich, und … noch etwas anderes. Dante vernahm eine Bewegung in der Nähe, aber erst, als er spürte, wie das Fleisch an seinem Bein aufgerissen wurde, war ihm klar, dass er schon wieder angegriffen wurde. Und wieder traf ihn etwas schmerzhaft, dieses Mal am Rumpf.
Du lieber Himmel.
Irgendwo hinter ihm, oben an der alten Fabrik, stand einer und schoss auf ihn. Die Schüsse klangen gedämpft, kamen aber unverkennbar aus einem Maschinengewehr.
Damit war sein langweiliger Abend unvermittelt ereignisreicher geworden, als ihm lieb war.
Dante ließ sich auf den Boden fallen, wieder pfiff eine Kugel an ihm vorbei und in den Fluss. Er rollte sich eben herum, um hinter dem Bootshaus in Deckung zu gehen, als der Scharfschütze erneut ein paar Salven in die Nacht feuerte. Eine schlug in die Ecke der baufälligen Hütte ein, im Kugelhagel zerstob das alte Holz wie Konfetti. Dante bevorzugte den Kampf mit den Klingen, aber er hatte auch immer eine schwere Pistole vom Kaliber neun Millimeter dabei. Nun zog er sie, aber ihm war klar, dass sie auf diese Entfernung nichts gegen den Scharfschützen ausrichten konnte.
Wieder schlug eine Salve in das Bootshaus ein. Eine Kugel steifte Dantes Wange, als er um die Ecke spähte, um einen Blick auf seinen Angreifer zu erhaschen.
Oh, nicht gut. Gar nicht gut.
Es war nicht bloß einer, es waren vier. Vom Fabrikgelände her kamen die dunklen Gestalten langsam das abschüssige Ufer hinab, alle trugen schwere Maschinengewehre. Die Vampire des Stammes konnten Hunderte von Jahren alt werden, sie konnten schwerste physische Verletzungen überstehen, aber deshalb bestanden sie trotzdem nur aus Fleisch und Knochen. Wenn man sie mit Blei vollpumpte, ihnen die Hauptschlagadern durchschnitt oder, noch schlimmer, ihnen den Kopf abhackte – dann starben sie, genau wie jedes andere Lebewesen.