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„Scheiße, Tess. Es tut mir leid. Aber es ist die einzige Möglichkeit.“

Er fügte sich mit der rasiermesserscharfen Spitze seiner langen Fangzähne einen vertikalen Schnitt zu und legte sein Handgelenk an ihren Mund. Blut trat aus und lief als kleines Rinnsal seinen nackten Arm runter. Sacht hob er Tess’ Kopf an, um ihr sein Blut zu trinken zu geben, und registrierte nur nebenher die eiligen Schritte, die auf den Wagen zukamen.

Die Vordertüren öffneten sich, und Tegan und Chase stiegen ein. Tegan blickte nach hinten und sah die verletzte rechte Hand von Tess, die unter Dantes Jacke herausgerutscht war – die Hand, die das Mal mit der Träne und dem Halbmond trug. Die Augen des Kriegers verengten sich zu Schlitzen, dann sah er Dante an. In seinem Blick lag eine Frage, aber auch Vorsicht.

„Sie ist eine Stammesgefährtin.“

„Ich weiß, was sie ist“, antwortete Dante seinem Waffenbruder. Er versuchte gar nicht erst, die tiefe Besorgnis in seiner Stimme zu verbergen.

„Fahr, Tegan. Bring uns so schnell du kannst zum Anwesen.“

Der Krieger legte den Gang ein und gab Gas. Dante legte sein Handgelenk auf Tess’ leblose Lippen und sah zu, wie sein Blut langsam in ihren Mund rann.

29

Tess nahm an, dass sie starb. Sie fühlte sich schwerelos und bleiern zugleich, schwebte in einem Niemandsland zwischen dem Schmerz der einen und dem großen Unbekannten der anderen Welt. Der dunkle Sog dieser fernen, fremdartigen Welt zerrte an ihr, doch sie hatte keine Angst. Eine tröstende Wärme umhüllte sie, als hätten sich starke Engelsflügel um sie gelegt und hielten sie hoch empor, sodass die steigende Flut nur sanft an ihre Gliedmaßen plätscherte.

Sie überließ sich dieser warmen Umarmung. Sie brauchte diese beständige, ruhige Kraft.

Um sie herum waren Stimmen; ihr Klang tief und besorgt, doch Worte waren nicht zu unterscheiden. Ihr Körper vibrierte vom stetigen Brummen irgendeiner Bewegung unter ihr, und ein gelegentliches Schaukeln machte ihre Sinne ganz träge. Wurde sie irgendwo hingebracht? Sie war zu entkräftet, um sich Gedanken darüber zu machen, zufrieden ließ sie sich treiben in der schützenden Wärme, die sie umfing.

Sie wollte schlafen. Sich einfach auflösen und für immer schlafen …

Ein Tröpfchen von etwas Warmem benetzte ihre Lippen. Wie Seide glitt es langsam ihren Mund entlang, sein verlockender Duft stieg ihr in die Nase. Ein weiterer Tropfen fiel auf ihre Lippen – warm und nass und berauschend wie Wein –, und sie rührte ihre Zunge, um davon zu kosten.

Sobald ihr Mund ein Stück geöffnet war, wurde er mit flüssiger Hitze überschwemmt. Sie stöhnte, unsicher, wovon sie da kostete, aber voller Gewissheit, dass sie mehr davon wollte. Der erste Schluck rauschte durch sie hindurch wie eine gewaltige Welle. Es gab noch mehr für sie, ein beständiger Fluss, an den sie sich mit Lippen und Zunge hängte und aus dieser Quelle trank, als wäre sie am Verdursten. Vielleicht war sie das. Sie wusste nur, dass sie es wollte, dass sie es brauchte und gar nicht genug davon kriegen konnte.

Jemand murmelte sanft und tief ihren Namen, während sie das seltsame Elixier in sich aufnahm. Sie kannte diese Stimme. Sie kannte den Duft, der überall um sie herum zu erblühen schien und in ihren Mund lief.

Sie wusste, dass er sie rettete, der dunkle Engel, dessen Arme sie schützten.

Dante.

Dante war bei ihr in diesem eigentümlichen Gefühl der Leere; sie wusste es mit jeder Faser ihres Seins.

Noch immer schwebte Tess über der schäumenden See des Unbekannten. Langsam stieg das dunkle Wasser an – dicklich wie Rahm und warm wie ein eingelassenes Bad –, um sie zu umfangen. Dante half ihr hinein, seine Arme hielten sie sicher, so sanft und stark. Sie löste sich auf in der strömenden Flut, trank sie leer und fühlte, wie sie in ihre Muskeln, ihre Knochen und ihre kleinste Zelle drang.

In dem Frieden, der sie umspülte, glitt ihr Bewusstsein in eine andere Welt; eine Welt aus tiefem Scharlachrot, Purpur und Bordeaux.

Die Fahrt zum Anwesen dauerte eine Ewigkeit, obwohl Tegan einige Geschwindigkeitsrekorde aufstellte, als er den Wagen durch Bostons geschäftige, kurvenreiche Straßen lenkte und schließlich in den Privatweg einbog, der zum Hauptquartier des Ordens führte. Sobald der Wagen in der Garage des Fuhrparks zum Stehen kam, riss Dante die Tür auf und hob Tess vorsichtig aus dem Fahrzeug.

Sie war noch immer zeitweilig ohne Bewusstsein und stark geschwächt von Schock und Blutverlust, aber er hatte Hoffnung, dass sie überleben würde. Sie hatte nur eine geringe Menge von seinem Blut zu sich genommen. Jetzt, wo sie im Quartier und damit in Sicherheit war, würde er dafür sorgen, dass sie so viel bekam, wie sie brauchte.

Verdammt, er würde ohne Zögern seinen letzten Blutstropfen hergeben, wenn sie das rettete.

Das war nicht einfach bloß so ein gewollt nobler Gedanke, er meinte es ganz ernst. Dafür, dass Tess überlebte, würde er bis zum Äußersten gehen – ja, er war bereit, für sie zu sterben. Ihre nun vervollständigte Blutsverbindung bewirkte, dass er sich als ihr Beschützer fühlte, aber dies ging weit darüber hinaus. Es ging tiefer, als er sich je hatte vorstellen können.

Er liebte sie.

Die Wildheit seines Gefühls tobte in ihm, als er Tess in den Fahrstuhl der Garage trug, Tegan und Chase dicht hinter ihm. Jemand drückte den Knopf, und der Lift begann seinen sanften, ruhigen Abstieg durch die über hundert Meter Erdreich und Stahl, die das Quartier des Stammes vor dem Rest der Welt schützten.

Als die Türen aufglitten, erwartete Lucan sie im Korridor. Gideon stand neben ihm; beide Krieger waren bewaffnet und machten ernste Gesichter. Ohne Zweifel war Lucan durch die eilige Ankunft des Rovers alarmiert worden, die die Sicherheitskameras am Tor des Anwesens aufgezeichnet hatten.

Er warf einen Blick auf Dante und die verletzte Frau in seinen Armen und stieß einen düsteren Fluch aus. „Was ist passiert?“

„Lasst mich durch“, sagte Dante und eilte an seinen Ordensbrüdern vorbei. „Sie braucht sofort Ruhe und Wärme. Sie hat eine Menge Blut verloren …“

„Das sehe ich. Also was zur Hölle war da draußen los?“

„Rogues“, warf Chase ein und übernahm es, Lucan die Ereignisse zu schildern, während Dante ganz auf Tess konzentriert den Korridor entlangging. „Ein Rogues-Trupp hat die Wohnung des Crimson-Dealers auf den Kopf gestellt. Ich weiß nicht, wonach sie gesucht haben. Die Frau muss irgendwie auf sie gestoßen sein. Vielleicht ist sie ihnen in die Quere gekommen. Sie hat Bisswunden an Arm und Hals von mehr als einem Angreifer.“

Dante nickte zur Bestätigung, dankbar für die verbale Unterstützung des Vampirs aus dem Dunklen Hafen, da seine eigene Stimme ihm im Hals vertrocknet zu sein schien.

„Himmel“, sagte Lucan und warf Dante einen ernsten Blick zu. „Ist das die Stammesgefährtin, von der du gesprochen hast? Ist das Tess?“

„Ja.“ Er sah auf sie herab. Sie lag bewegungslos und bleich in seinen Armen, und er empfand einen stechenden Schmerz, der sich in seine Brust bohrte. „Noch ein paar Sekunden, und ich wäre zu spät gekommen …“

„Gottverdammte Blutsauger“, zischte Gideon und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich lasse in der Krankenstation ein Zimmer für sie herrichten.“

„Nein.“ Dantes Erwiderung war schärfer als beabsichtigt – und unnachgiebig. Er zeigte sein Handgelenk mit dem Einschnitt; die Haut war noch immer rot und nass an der Stelle, wo er Tess hatte trinken lassen. „Sie ist mein. Sie bleibt bei mir.“