„Wie geht es ihr?“, fragte Savannah, die offenbar ahnte, was ihn umtrieb.
„Besser“, erwiderte er. „Sie ist wach und erholt sich. Körperlich geht es ihr gut. Ansonsten habe ich versucht, sie in alles einzuweihen, aber ich merke, dass sie ziemlich durcheinander ist.“
Savannah nickte. „Wer wäre das nicht? Ich dachte, Gideon spinnt, als er mir zum ersten Mal von alledem erzählt hat.“
„Du denkst doch immer noch meistens, dass ich spinne, Liebes, das ist ein Teil meines Charmes.“ Er beugte sich zu ihr hinüber und deutete einen Biss in ihren jeansverpackten Schenkel an, ohne dass seine Finger auf der Tastatur aus dem Rhythmus kamen.
Spielerisch schlug sie nach ihm, dann richtete sie sich auf und schlenderte zu Dante, der dabei war, eine Furche in den Teppich zu laufen. „Meinst du, Tess ist hungrig? Ich habe in der Küche gerade Frühstück für Gabrielle und mich gemacht. Ich kann ein Tablett für Tess zusammenstellen, wenn du es ihr mitbringen willst.“
„Oh ja! Danke, Savannah, etwas zu essen wäre großartig.“
Gott, er hatte gar nicht bedacht, dass Tess etwas essen musste. Da zeigte sich bereits, was für ein umsichtiger Gefährte er doch war. Er kümmerte sich kaum anständig um sich selbst, und jetzt hatte er eine Stammesgefährtin mit menschlichen Bedürfnissen und Wünschen, die weit außerhalb seiner Kompetenz lagen. Seltsam genug, dass dieser Gedanke, der ihm in nicht allzu ferner Vergangenheit schwer zu schaffen gemacht hätte, sich nun irgendwie … beglückend anfühlte. Er wollte Tess versorgen, auf jede Art. Er wollte sie beschützen und sie glücklich machen, sie verwöhnen wie eine Prinzessin.
Zum ersten Mal in seinem langen Leben fühlte er sich, als hätte er seine eigentliche Erfüllung gefunden. Nicht Ehre und Pflicht, die Maximen, die ihn als Krieger auswiesen, aber gleichermaßen zwingend und rechtschaffen. Etwas, das alles Männliche in ihm ansprach.
Er hatte das Gefühl, als könnte diese Verbindung, die er gefunden hatte – die Liebe, die er für Tess empfand –, tatsächlich stark genug sein, um ihn den Tod und die Qual vergessen zu lassen, die ihn seit jeher verfolgten. Ein hoffnungsvoller Teil seines Selbst wollte glauben, dass er mit Tess an seiner Seite vielleicht einen Weg finden konnte, seiner Vision einen Strich durch die Rechnung zu machen.
Dante war noch nicht dazu gekommen, diesen Hoffnungsschimmer richtig zu genießen, als ein Schrei ihn durchfuhr wie eine Klinge. Er fühlte es körperlich, doch der Angriff war nur in seinen Sinnen, was er daran merkte, dass weder Savannah noch Gideon auf das schreckliche Kreischen reagierten, von dem ihm das Herz in der Brust zu Eis gefror.
Wieder durchfuhr es ihn und ließ ihn schaudernd zurück.
„O Gott. Tess!“
„Was ist los?“ Savannah unterbrach ihren Gang in die Küche. „Dante?“
„Es ist Tess“, rief er und konzentrierte seinen Geist auf sie, um ihren genauen Aufenthaltsort im Quartier zu lokalisieren. „Sie ist irgendwo im Haupttrakt – ich glaube, in der Krankenstation.“
„Ich hole das Bild auf den Schirm.“ Am Computer hatte Gideon schnell den Monitor der Überwachungskameras aktiviert und die richtige gefunden. „Ich hab sie, D. Oh, verdammt. Sie ist Rio über den Weg gelaufen. Er hat sie gestellt …“
Dante rannte los, als gelte es sein Leben, noch ehe die Worte Gideons Mund verlassen hatten. Er brauchte keinen Bildschirm, um zu wissen, wo Tess war und was ihr solche Angst machte. Er stürzte aus der Wohnung und wie der Teufel ins Herz des Hauptquartiers. Er kannte den Grundriss des Quartiers in- und auswendig und nahm den kürzesten Weg zur Krankenstation mit der übernatürlichen Geschwindigkeit, zu der er fähig war.
Dante hörte Rios Stimme, noch bevor er die Schwingtüren zur medizinischen Abteilung erreichte.
„Ich habe dir eine Frage gestellt, Weib. Was zur Hölle hast du hier zu suchen?“
„Weg von ihr!“, brüllte Dante, als er die Krankenstation erreichte, und betete im Stillen, dass er sich nicht mit einem seiner Art würde schlagen müssen. „Zurück, Rio, sofort!“
„Dante!“, schrie Tess, die vor Angst keuchte. Ihr Gesicht war aschfahl, und sie zitterte unkontrolliert hinter der massiven Wand von Rios Körper. Der Krieger hatte sie zwischen sich und der Korridorwand gefangen. Feindseligkeit strahlte in blendend heißen Wellen von ihm ab.
„Lass sie gehen“, befahl Dante seinem Bruder.
„Dante, sei vorsichtig! Er wird dich töten!“
„Nein, wird er nicht. Es ist in Ordnung, Tess.“
„Diese Frau gehört hier nicht her“, knurrte Rio wild.
„Doch, das tut sie. Weil ich es sage. Jetzt hör auf und lass sie in Ruhe.“
Rio entspannte sich nur geringfügig. Er warf den Kopf herum, um Dante anzusehen. Herrje, es war schwer, sich an den Krieger zu erinnern, der er gewesen war – bis sie in den Hinterhalt gerieten, der ihn so zerstört hatte. Physisch wie mental. Das einst angenehme Gesicht des Spaniers mit dem steten Lächeln und dem gemütlichen Witz war jetzt ein Gewirr aus rötlichen Narben. Sein Humor hatte ihn längst im Stich gelassen, dafür war er besessen von einer Wut, die vielleicht nie mehr vergehen würde.
Dante baute sich direkt vor Rio auf und starrte durch die Narben auf Wangen und Stirn hindurch in seine Augen. Im Moment glommen sie so roguehaft, dass sogar Dante für eine Sekunde stutzte. „Ich sagte, hör auf!“, knurrte er. „Die Frau ist mit mir hier. Sie gehört zu mir. Verstehst du das?“
Vernunft flackerte in den leuchtenden Bernsteintiefen von Rios Augen auf. Ein kurzer Schimmer von Bewusstsein, von Reue und Bedauern. Er wandte sich mit einem Grunzen von Dante ab, sein Atem drang immer noch sägend aus dem offenen Mund.
„Tess, es ist alles in Ordnung. Geh einfach an ihm vorbei und komm rüber zu mir.“
Sie stieß ein abgehacktes Keuchen aus, schien aber unfähig, sich zu rühren.
Dante streckte ihr die Hand entgegen. „Komm, mein Engel. Alles ist gut. Ich verspreche dir, dass du sicher bist.“
Es sah aus, als kostete es sie all ihren Mut, aber sie schob sich von Rio weg und legte ihre Hand in Dantes. Er zog sie rasch an sich und küsste sie, erleichtert, sie bei sich zu haben.
Als Rio langsam an der Korridorwand zusammensackte und schließlich auf allen vieren am Boden kniete, verlangsamte sich Dantes Puls und erreichte wieder eine Frequenz, die fast normal erschien. Tess war immer noch außer sich und zitterte heftig. Dante glaubte zwar nicht, dass Rio eine ernste Gefahr für sie darstellte – schon gar nicht jetzt, nachdem Dante seine Haltung deutlich gemacht hatte –, doch er musste sich nun dringend um die Schadensbegrenzung kümmern.
„Warte hier. Ich gehe und helfe Rio zurück in sein Bett.“
„Bist du verrückt? Dante, wir müssen hier raus. Er wird uns beiden die Kehle aufreißen!“
„Nein, das wird er nicht.“ Er begegnete Tess’ ängstlichem Blick, während er sich Rios zusammengesunkener Gestalt näherte. „Er wird mir nichts tun. Er hätte dir auch nichts getan. Er wusste nur nicht, wer du bist. Ihm ist vor einiger Zeit etwas Schreckliches zugestoßen, das ihn Frauen gegenüber sehr argwöhnisch gemacht hat. Glaub mir, er ist kein Monster.“
Tess starrte Dante an, als sei er wahnsinnig geworden. „Dante, diese Fangzähne … diese Augen! Er ist einer von denen, die mich angegriffen haben …“
„Nein“, sagte Dante. „Er sieht nur so aus, weil er wütend ist, und er lebt in großem Schmerz. Sein Name ist Rio. Er ist ein Stammeskrieger wie ich.“
„V-Vampir“, keuchte sie stotternd. „Er ist ein Vampir …“
Verdammt noch mal, er hatte sich nicht vorgestellt, dass sie die Wahrheit auf diese Weise erfuhr. Vielleicht war das naiv gewesen, aber er hatte gedacht, er könnte sie sanft in seine Welt ziehen – eine Welt, die zu ihnen beiden gehörte. Er hatte gehofft, dass sie in Ruhe verstehen lernen würde, dass sie die Vampirrasse nicht zu fürchten brauchte. Dass sie ihre Furcht verlieren und begreifen würde, dass sie zu ihnen gehörte, weil sie nun mal eine Stammesgefährtin war.