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„Warum?“, fragte Tess und beobachtete, wie Dante sich auf der Rückbank regte. Sie fühlte seine Höllenqual und die Besorgnis, die seine beiden ernsten Gefährten ausstrahlten. „Wieso hat er sich überhaupt darauf eingelassen? Warum seid ihr alle hier?“

Mit kleinen, aber kontrollierten Bewegungen schaffte Dante es, einen seiner Handschuhe abzustreifen. Von dort, wo er lag, streckte er die Hand nach ihr aus.

„Tess …“

Sie nahm seine Hand in ihre und betrachtete seine starken Finger, die ihre umschlossen. Das Gefühl, das durch ihre Verbindung wanderte, reichte tief in sie hinein, eine Wärme – ein Wissen –, die ihr den Atem raubten.

Es war Liebe, so groß, so heftig, es machte sie sprachlos.

„Tess“, murmelte er, die Stimme nur wenig mehr als Luft. „Du warst es. Nicht mein Tod … deiner.“

„Was?“ Sie drückte seine Hand, Tränen traten in ihre Augen.

„Diese Visionen … Ich war das gar nicht, aber du. Ich konnte nicht …“ Er brach ab, atmete scharf in offensichtlicher Qual. „Ich musste es aufhalten. Ich konnte dich nicht … ganz egal wie.“

Tess’ Tränen liefen über, rannen über ihre Wangen, als sie Dantes Blick standhielt. „Oh Gott, Dante. Du hättest das nicht riskieren dürfen. Was, wenn du an meiner Stelle gestorben wärst?“

Seine Lippen hoben sich an einem Mundwinkel leicht und entblößten die Spitze eines schimmernden Fangzahns. „Es war es wert … dich hier zu sehen. Das war … jedes Risiko wert.“

Tess nahm seine Hand zwischen ihre, wütend und dankbar und kein bisschen ängstlich wegen seines fürchterlichen Anblicks, wie er da auf der Rückbank lag. Sie hielt ihn fest und ließ nicht los, bis sie das Hauptquartier erreichten. Chase parkte den Geländewagen in einem tief liegenden Hangar, der mit Dutzenden anderer Fahrzeuge vollgestellt war. Sie stiegen alle aus, und Tess versuchte, nicht im Weg zu stehen, während Dantes Kameraden ihn aus dem Wagen hoben und auf eine Reihe Fahrstühle zutrugen.

Dantes Verfassung schien sich mit jeder Minute zu verschlechtern. Als sie die Fahrstühle erreichten und ein Türenpaar sich öffnete, konnte Dante kaum noch aus eigener Kraft stehen. Im Korridor trafen sie auf eine Gruppe von drei Männern und zwei Frauen, die alle sofort in eilige Aktivität verfielen.

Eine der Frauen kam zu Tess und legte ihr eine freundliche Hand auf die Schulter. „Ich bin Gabrielle, Lucans Gefährtin. Bist du in Ordnung?“

Tess zuckte die Achseln und nickte schwach. „Wird Dante wieder gesund?“

„Ich glaube, es wird ihm viel besser gehen, wenn er weiß, dass du in der Nähe bist.“

Gabrielle bedeutete Tess, ihr hinunter in den Flur zur Krankenstation zu folgen. So stand sie nun wieder in dem Flügel, wo sie vorhin vor Dante geflohen war. Sie betraten den Raum, in den Dante gebracht worden war, und Tess sah zu, wie seine Freunde ihm die Waffen abnahmen, ihn aus dem Arbeitsanzug und den Stiefeln pellten und ihn vorsichtig in ein Krankenbett legten.

Tess war bewegt von der Besorgnis aller in diesem Raum. Dante wurde hier geliebt, akzeptiert für das, was er war. Er hatte eine Familie hier, ein Heim, ein Leben – und jetzt hatte er das alles riskiert, um sie zu retten. So sehr sie ihn fürchten wollte, ihm zum Vorwurf machen wollte, was zwischen ihnen passiert war – sie konnte es nicht. Sie sah Dante an, der litt, weil er sich für sie geopfert hatte, und alles, was sie fühlte, war Liebe.

„Lasst mich“, sagte sie sanft und trat an Dantes Bettkante. Sie begegnete den besorgten Blicken der Leute, die sich um ihn kümmerten – der Krieger, die um ihn versammelt waren, der zwei Frauen, deren zärtliche Blicke sagten, dass sie verstanden, was sie empfand. „Lasst mich ihm helfen … bitte.“

Tess berührte Dantes Wange, streichelte sein starkes Kinn. Sie konzentrierte sich auf seine Verbrennungen, ließ ihre Finger über seine nackte Brust streichen, über die schönen Zeichnungen, die roh und voller Blasen waren und in wütendem Farbwechsel changierten. So sachte sie konnte, legte sie ihre Hände auf das versengte Fleisch, gebrauchte ihre Gabe, um die Strahlung herauszuziehen, den Schmerz zu nehmen.

„O mein Gott“, flüsterte einer der Krieger. „Sie heilt ihn.“

Tess hörte jemanden ehrfürchtig nach Luft schnappen, vernahm die Worte der Hoffnung, die zwischen Dantes Freunden – seiner Familie – hin und her flogen. Sie fühlte etwas von ihrer Zuneigung auf sich überfließen, aber so willkommen die Wärme dieser Grüße auch war, Tess war vollständig auf Dante konzentriert. Darauf, ihn gesund zu machen.

Sie beugte sich über ihn und drückte einen Kuss auf seinen schlaffen Mund, unerschüttert vom Kratzen seiner Fangzähne an ihren Lippen. Sie liebte ihn vollständig, so wie er war, und sie betete für die Chance, ihm das sagen zu können.

Dante war auf dem Wege der Besserung. Seine UV-Verbrennungen waren schwer gewesen – lebensbedrohlich –, aber die heilenden Hände seiner Stammesgefährtin hatten sich als wesentlich mächtiger erwiesen als der Tod, der ihn gejagt hatte. Wie die anderen im Hauptquartier war Chase sehr erstaunt über Tess’ Fähigkeit und über ihre völlige Hingabe an Dante. Sie war jeden Augenblick an seiner Seite und pflegte ihn, wie er es für sie getan hatte, nachdem er sie vor dem Angriff der Rogues gerettet hatte.

Jeder stimmte zu, dass sie ein gutes Paar sein würden: Beide stark als Individuen, würden sie zusammen unzerstörbar sein.

Nun, da der schlimmste Teil des Sturms hinter ihnen lag, breitete sich ein Geist des Friedens und der Ruhe im Quartier der Krieger aus. In Erwartung der Nacht wanderten auch Chase’ Gedanken zu seinem Heim. Seine eigene Reise war noch nicht zu Ende, und die Straße vor ihm war düster und unsicher. Einst war ihm alles so klar erschienen. Was die Zukunft für ihn bereithielt, wo er hingehörte … und zu wem.

Jetzt war er sich in nichts mehr sicher.

Er sagte den Kriegern und ihren Gefährtinnen Lebewohl und ging, hinaus aus der Welt des Ordens, zurück in seine eigene. Die Fahrt zurück in die Stadt war ruhig. Die Räder seines geborgten Wagens drehten sich, die Straße verschwand hinter ihm in der Dunkelheit, aber wo sollte er hin, nach alledem?

Konnte er einfach wieder seine Heimat im Dunklen Hafen aufsuchen? Die Sinne geschärft durch die kurze Zeit, die er in der Gesellschaft von Kriegern verbracht hatte, der Körper beschwert durch all das Metall, das er unter seinem Mantel trug – die verschiedenen Klingen, die Neunmillimeter Beretta, die irgendwie ein angenehmer Druck an der Hüfte geworden war – wie konnte er erwarten, je wieder in das gesetzte Leben zurückzukehren, das er einst geführt hatte?

Und was war mit Elise?

Er konnte nicht wieder in jene quälende Existenz eintreten, in der er eine Frau begehrte, die er nie bekommen würde. Er musste ihr erzählen, was er für sie empfand, musste die Würfel fallen lassen, was immer sie ihm auch zeigen würden. Sie musste alles erfahren. Chase machte sich keine Illusionen, er hatte wenig Hoffnung, dass sie seine Zuneigung willkommen heißen würde. Tatsächlich war er nicht sicher, ob es überhaupt irgendetwas zu erhoffen gab. Er wusste nur, dass das Halbleben, das er bislang geführt hatte, nun vorbei war. Er fing ein neues Leben an.

Chase fuhr auf die Torstraße des Dunklen Hafens zu, überwältigt von einem Gefühl der Freiheit. Die Dinge waren dabei, sich für ihn zu ändern. Und obwohl er keine Ahnung hatte, wie sich hier alles entwickeln würde, fühlte er sich befreit von dem Wissen, dass er einen Wendepunkt seines Lebens erreicht hatte. Er rollte die Kiespiste hoch und parkte neben der Residenz.

Das Haus war von innen erleuchtet. Aus Elises Schlafzimmer und den Wohnräumen schien sanftes Licht. Sie war wach. Wahrscheinlich wartete sie besorgt darauf, dass er mit Nachricht aus dem Hauptquartier zurückkehrte.

Chase stellte den Motor ab und öffnete die Tür des Fahrzeugs. Sowie seine Stiefel den Boden berührten, spürte er das prickelnde Gefühl, das ihm verriet: Er war nicht allein. Er steckte die Schlüssel in die Tasche und richtete sich auf, wobei er unauffällig seinen Mantel aufknöpfte. Seine Augen tasteten die Schatten der Nacht ab, bohrten in der Dunkelheit nach einem Zeichen des Feindes, von dem er wusste, dass er da war. Seine Ohren waren auf die kleinsten Geräusche der Umgebung eingestellt – das Rascheln der nackten Zweige, wenn der Wind in ihnen rauschte, das gedämpfte Summen der Stereoanlage im Haus, im Hintergrund lief Elises geliebter Softjazz …