«Hallo, Sie«, sagte er,»sind Sie nicht Edward Lincoln?«
Ich nickte, lächelte ein wenig und ging weiter.
«Es ist wohl besser, ich stelle mich mal vor. Danilo Cavesey. Ich glaube, Sie kennen meine Tante.«
Da blieb ich dann doch stehen. Ich gab ihm die Hand, und er drückte sie herzlich.
«Ich habe natürlich gehört, daß Sie kommen wollten. Tante Nerissa hat Greville telegrafiert, Sie seien auf dem Weg hierher zu einer Filmpremiere und er solle auf der Rennbahn nach Ihnen Ausschau halten. So habe ich Sie also erwartet.«
Er sprach ein langsames, kalifornisch gedehntes Englisch voll träger Wärme. Es war sofort ersichtlich, wieso Nerissa ihn sympathisch fand. Sein sonnengebräuntes, hübsches Gesicht, sein offener, angenehmer Ausdruck, sein dunkelblondes Haar, lässig, aber sauber — all das entsprach dem überlieferten Idealbild vom jungen Amerikaner.
«Sie hat nicht gesagt, daß Sie in Südafrika sind«, bemerkte ich überrascht.
«Na ja, nein. «Er zog entwaffnend die Nase kraus.»Ich glaub auch nicht, daß sie das weiß. Ich bin vor ein paar
Tagen erst hergeflogen, hab Ferien. Sagen Sie, wie geht’s dem alten Mädchen? So ganz auf der Höhe war sie nicht, als ich sie zuletzt besucht hab.«
Er lächelte vergnügt. Er wußte von nichts.
Ich sagte:»Sie ist leider ziemlich krank.«
«Ach ja? Das tut mir aber leid. Ich muß ihr mal schreiben; ihr erzählen, daß ich hier bin; ihr erzählen, daß ich ein Auge auf die Pferde habe.«
«Auf die Pferde?«wiederholte ich.
«Na klar. Tante Nerissas Pferde hier laufen nicht gut. Sauschlecht, um genau zu sein. «Er grinste fröhlich.»Ich würde nicht auf die Acht im vierten Rennen setzen, wenn Sie reich sterben wollen.«
«Danke«, sagte ich.»Sie hat mir allerdings gesagt, daß sie im Moment nicht so gut sind.«
«Kann ich mir vorstellen. Die würden nicht mal siegen, wenn man ihnen zehn Minuten Vorsprung gibt und die anderen müde spritzt.«
«Wissen Sie, wie das kommt?«
«Keine Ahnung. «Er zuckte die Achseln.»Greville kann es sich nicht erklären. Er sagt, so was ist ihm noch nie passiert.«
«Kein Virus?«tippte ich an.
«Kann nicht sein. Sonst würden ihn doch alle bekommen, nicht nur die von Tante Nerissa. Wir haben uns nämlich darüber unterhalten. Greville hat einfach keinen Schimmer.«
«Ich würde ihn gern kennenlernen«, sagte ich beiläufig.
«Na klar. Natürlich. Aber hören Sie, warum verschwinden wir nicht aus dem Wind hier und trinken irgendwo ein Bier oder so? Jetzt hat Greville gerade einen Starter, aber nachher freut er sich sicher über unseren Besuch.«»In Ordnung«, sagte ich, und wir gingen ein Bier trinken. Danilo hatte recht: Der Südwind war kalt und der Frühling bisher nur eine Ahnung und eine Erinnerung.
Danilo, schätzte ich, war ungefähr zwanzig Jahre alt. Seine Augen waren strahlend blau, mit dunkelblonden Wimpern, und seine Zähne kalifornisch ebenmäßig. Er hatte das unberührte Aussehen eines, dem die Härten des Lebens noch nicht begegnet waren; nicht unbedingt ein verwöhnter Junge, aber einer, dem viel in den Schoß gefallen war.
Er studiere an der Universität von Kalifornien in Berkeley Politikwissenschaft, sagte er, und gehe ins letzte Jahr.»Nächsten Sommer um diese Zeit habe ich die Uni hinter mir.«
«Und was haben Sie dann vor?«fragte ich gesprächsweise.
Ein belustigtes Funkeln kam in die blauen Augen.»Oh, da muß ich mir wohl noch was überlegen, aber im Moment steht nichts an.«
Die Zukunft konnte für sich selber sorgen, dachte ich und sinnierte, daß sie es für Goldjungen wie Danilo gewöhnlich auch tat.
Wir schauten gemeinsam dem nächsten Rennen zu. Grevilles Starter kam knapp geschlagen als Dritter ein.
«Pech«, seufzte Danilo.»Ich hatte ihn nur auf Sieg, nicht auf Platz.«
«Haben Sie viel verloren?«fragte ich mitfühlend.
«Es geht. Nur ein paar Rand.«
Zwei Rand waren etwa ein Pfund Sterling, ein Rand ungefähr ein Dollar. Er konnte sich keinen großen Schaden zugefügt haben.
Wir verließen die Tribüne und gingen zu den Absattelplätzen hinüber.»Wissen Sie was?«sagte er.»Sie sind überhaupt nicht so, wie ich’s erwartet habe.«
«Inwiefern?«fragte ich lächelnd.
«Oh, ich glaube… Bei einem großen Filmstar hatte ich so etwas wie, na ja, Charisma erwartet. Verstehen Sie?«
«Wenn sie nicht vor der Kamera stehen, sind Filmschauspieler so farblos wie jeder andere.«
Er warf mir einen argwöhnischen Blick zu, aber ich machte mich nicht über ihn lustig. Ich meinte es ernst. Er hatte von Natur aus viel mehr Ausstrahlung als ich. Ich mochte ein paar Zentimeter größer sein, etwas breitere Schultern haben, aber das war nicht ausschlaggebend.
Der Mann, der um das Pferd herumging, das Dritter geworden war, dabei kritisch seine Beine betrachtete und ihm mit prüfender Hand über die Lende strich, war ein stämmiger, untersetzter Mensch mit einem unzufriedenen Gesicht.
«Das ist Greville«, nickte Danilo, meinem Blick folgend.
Der Trainer unterhielt sich kurz mit einer Frau, die laut Danilo die Besitzerin des Pferdes war. Sein Benehmen wirkte aus zehn Schritt Entfernung schroff und keineswegs verbindlich. Ich wußte, daß Trainer sich ein dickes Fell zulegen mußten, um bei Verstand zu bleiben: Man konnte sich nicht immerzu bei den Besitzern entschuldigen, wenn ihre Pferde unterlagen; man mußte ihnen klarmachen, daß trotz des Hafers und des investierten Trainings die Pferde anderer Leute vielleicht eben doch schneller laufen konnten. Aber Greville Arknold schien einfach unangenehm zu sein.
Nach einiger Zeit wurden die Pferde weggeführt, und die Menschenmenge zerstreute sich. Arknold hörte mit zusammengekniffenem Mund und eigensinnig zurückge-worfenem Kopf der Besitzerin zu, die nachgerade um Entschuldigung zu bitten schien. Sie hielt inne, sah, daß er sich nicht milde stimmen ließ, zuckte die Achseln, wandte sich langsam ab und ging davon.
Arknolds arrogante Augen lösten sich von ihr und hefteten sich auf Danilo. Einen Moment lang schaute er nur, ehe er fragend die Brauen hochzog. Danilo nickte kaum merklich in meine Richtung, und Arknold wandte seine Aufmerksamkeit mir zu.
Wieder das langsame Abschätzen. Dann kam er herüber.
Danilo machte uns miteinander bekannt, als wäre es wunder was für ein Spaß, daß wir uns kennenlernten. Eine Ehre für mich wie für ihn.
Großartig.
Greville Arknold war mir auf Anhieb unsympathisch und blieb es. Und doch war er durchaus freundlich zu mir: lächelte, gab mir die Hand, sagte, er sei erfreut, sagte, Mrs. Cavesey habe ihm telegrafiert, daß ich eventuell zum Pferderennen käme und daß er sich dann meiner annehmen solle.
Er sprach mit deutlich afrikaansem Akzent, und später fand ich heraus, daß er wie viele Südafrikaner dreisprachig war — Englisch, Afrikaans und Zulu. Er hatte ein aus dik-ken Fleischlappen bestehendes Gesicht, Lippen so dünn, daß sie kaum existierten, Narben von alter Akne an Kinn und Hals und einen struppigen rotblonden Schnauzer, daumendick, drei Finger breit, unter der Nase. Und bei all dem Lächeln und Begrüßungsgeplauder blieben seine Augen kalt.
«Ihr Pferd ist gerade gut gelaufen«, meinte ich gesprächsweise.
Der Ärger von vorhin zeigte sich sofort wieder in seiner Miene.»Diese dumme Person hat darauf bestanden, daß ihr Pferd heute antritt, dabei wollte ich es am Samstag laufen lassen. Es hatte letzten Samstag in Turffontein ein schweres Rennen. Da brauchte es noch drei Tage Ruhe.«
«Es sah aus, als hätte sie um Entschuldigung gebeten«, sagte ich.
«Ja. Hat sie. Zu spät natürlich. Wär’ sie mal vernünftiger gewesen. Ist ja ein ganz ordentlicher Hengst. Am Samstag hätte er gewonnen. Kein bißchen Verstand. Besitzer sollten sich immer nach dem Trainer richten. Sie bezahlen doch für das Fachwissen, oder? Dann sollten sie auch immer tun, was der Fachmann sagt.«