Ich sah ihm gerade ins Gesicht.
«Haben Sie es gewußt?«
Er seufzte.»Sie sind ganz schön zynisch, lieber Junge. Nein, ich wußte es nicht.«
Kapitel 6
Danilo erschien um vier am Iguana Rock, mit einem gemieteten Triumph, einem knallroten, offenen Hemd und seinem sonnengebräunten breiten Lächeln.
Ich war selbst noch keine Stunde wieder zurück, da Conrad und ich bei Bier und Sandwiches lange in einer unauffälligen Bar herumgesessen hatten. Katya war ins Krankenhaus gekommen, einen verstörten Roderick im Schlepptau, und die anderen Reporter klopften sich momentan die Finger auf ihren Schreibmaschinen wund. Clifford Wenkins war irgendwann im Laufe der Ereignisse unbemerkt entflattert, und als Conrad und ich gingen, sahen wir auch ihn ernst in ein Telefongespräch vertieft. Zweifellos erstattete er Worldic Bericht. Ich unterdrückte einen mutlosen Seufzer. Nicht die Chance eines Schmetterlings im Schneesturm, daß irgendwer die ganze Geschichte als uninteressant abtun würde.
Danilo plauderte auf seine sorglose Art, während er uns die erhöhte Sir-de-Villiers-Graaf-Umgehungsstraße entlang fuhr, Gottes Geschenk an die Bewohner der Stadt, das den Durchgangsverkehr über ihre Häupter verlegte.
«Ich kann mir nicht vorstellen, wie Johannesburg war, bevor sie diese Schnellstraße gebaut haben«, bemerkte Danilo.»Die haben auch jetzt noch ein schweres Verkehrsproblem im Zentrum, und was das Parken angeht — da unten stehen mehr Autos am Straßenrand als einarmige Banditen in Nevada.«
«Sie sind schon länger hier, ja?«
«Ach woher«, sagte er grinsend.»Erst ein paar Tage. Aber ich war schon einmal hier, und man braucht sowieso nur zwanzig Minuten herumzukurven, bis man raushat, daß die Parkplätze dauernd belegt sind und die nächste Lücke mindestens eine Viertelmeile von da weg ist, wo man hinwill.«
Er fuhr ruhig und geschickt auf der für ihn verkehrten Straßenseite.
«Greville wohnt in der Nähe von Turffontein«, sagte er.»Wir gehen jetzt gleich von der Hochstraße runter… Stand auf dem Schild da Ausfahrt Eloff Street?«
«Ja«, bestätigte ich.
«Prima. «Er nahm die Abzweigung, und wir verließen die südafrikanische M 1, um bald darauf an einigen Fußballplätzen und einer Eisbahn vorbeizukommen.
«Sie nennen das Wembley«, sagte Danilo.»Und da drüben ist ein See namens Wemmer Pan, zum Bootfahren. Da haben sie auch eine Wasserorgel, die bunte Fontänen im Takt zur Musik in die Luft schießt.«
«Waren Sie mal dort?«
«Nein… Greville hat mir das erzählt, glaub’ ich. Er sagt auch, es ist eine ideale Stelle, um halbverweste Leichen und Torsos ohne Kopf an Land zu ziehen.«
«Hübsch«, sagte ich.
Er lachte.
Bevor wir nach Turffontein kamen, bog er auf eine Nebenstraße ab, die kurz darauf zu harter, festgebackener Erde wurde, bedeckt mit einer Lage Staub.
«Hier hat es schon vier oder fünf Monate nicht geregnet«, sagte Danilo.»Sieht alles ganz schön trocken aus.«
Das Gras war in der Tat bräunlich, aber damit hatte ich gerechnet. Dagegen erstaunte es mich, von Danilo zu hören, daß in einem Monat, wenn der Regen kam und die Tage wärmer wurden, die ganze Gegend farbenfroh und grün im Saft stehen würde.
«Schade, daß Sie die Jacarandas nicht mehr erleben werden«, sagte Danilo.»Die blühen hier überall, wenn Sie wieder weg sind.«
«Haben Sie sie mal gesehen?«
Er zögerte.»Na ja, also nicht direkt. Als ich voriges Mal hier war, haben sie nicht geblüht. Es ist nur das, was Greville sagt.«
«Verstehe«, sagte ich.
«Wir sind da. Zu Greville geht’s da rauf. «Er zeigte, bog dann zwischen ein paar schmucklosen Backsteinsäulen ein und fuhr eine kiesbestreute Auffahrt entlang zu einem Stall, der aussah, als sei er geradewegs aus England hierher verpflanzt worden.
Arknold war bereits draußen auf dem Hof und unterhielt sich mit einem schwarzen Afrikaner, den er als seinen Futtermeister Barty vorstellte. Er sah so hart aus wie Arknold selbst; ein kräftiger, untersetzter Mann um die Dreißig mit einem dicken Hals und ernsten, kalten Augen. Der erste Schwarzafrikaner, dachte ich ein wenig überrascht, dessen Gesichtsausdruck auf mich nicht gutmütig wirkte. In seinem Benehmen lag jedoch nichts als Höflichkeit, und er erwiderte Danilos Gruß mit einem Nicken, wie es unter Leuten üblich ist, die sich öfter sehen.
Arknold sagte, es sei alles bereit, und ohne weitere Umstände begannen wir mit dem Stallrundgang. Die Pferde waren alle wie die, die ich auf der Bahn gesehen hatte: steilgefesselt, von etwas weniger starkem Knochenbau als die daheim.
Es gab nichts, was Nerissas Pferde von ihren Stallgefährten unterschied. Sie sahen genauso gut aus, hatten genauso feste Beine, genauso glänzende Augen; und sie waren auch nicht in einem Block zusammengelegt, sondern zwischen den übrigen verteilt. Hengste in einem Komplex, Stuten in einem anderen. Alles wie es sein sollte, wie es normalerweise in England war.
Die Pfleger — die Boys — waren alle jung und alle schwarz. Wie Pferdepfleger auf der ganzen Welt hingen sie voller Stolz an den Tieren, die sie betreuten, doch neben dem Stolz trat ein zweites Verhaltensmuster recht klar zutage.
Sie begegneten mir lächelnd, Arknold mit Respekt und Barty mit unverkennbarer Furcht.
Ich wußte nicht, ob vielleicht irgendeine Stammessituation ihm solche Macht über sie gab, und fand es nie heraus, doch ihren argwöhnischen Blicken und ihrem Zurückweichen, wenn er sich näherte, war zu entnehmen, daß er sie in einer viel strengeren Knechtschaft hielt, als ein britischer Futtermeister es sich je hätte erlauben können.
Ich dachte an die eiserne Hand zurück, mit der einst mein Vater regierte. Die Pfleger hatten vor ihm gekuscht, die Lehrlinge hatten pariert, und auch ich war seinen Wünschen zügig nachgekommen, aber ich entsann mich nicht, daß jemand regelrecht Angst vor ihm gehabt hätte.
Ich sah Barty an, und mir schauderte leicht. Ich hätte nicht gern unter ihm gearbeitet, so wenig wie Arknolds Pfleger.
«Das ist Tables Turned«, sagte Arknold gerade und ging auf die Tür der Box eines dunklen Fuchshengstes zu.»Ein Pferd von Mrs. Cavesey. Läuft am Samstag in Ger-miston.«»Ich wollte vielleicht nach Germiston fahren«, sagte ich.
«Großartig«, meinte Danilo begeistert.
Arknold nickte eher zurückhaltend und sagte, er werde an der Kasse Freikarten für mich bereitlegen lassen.
Wir gingen in die Box und musterten Tables Turned von Kopf bis Fuß, wie üblich zunächst schweigend, wobei Arknold besonders auf Veränderungen gegenüber dem Vortag achtete und ich auf etwas nicht zu Unvorteilhaftes sann, das sich über ihn sagen ließ.
«Guter Hals«, lobte ich.»Gute, kraftvolle Schultern. «Und ein bißchen rattenartig um den Kopf rum, dachte ich.
Arknold zuckte bedrückt die Achseln.»Für die Wintersaison habe ich ihn mit nach Natal genommen, genau wie die anderen. Hatte fast das ganze Lot für knapp drei Monate da unten, wie jedes Jahr. Wir halten sie in Summerveld, verstehen Sie?«
«Wo ist Summerveld?«fragte ich.
«Besser, was ist Summerveld«, sagte er.»Es ist ein großes Gebiet mit Stallungen für rund achthundert Pferde in Shongweni bei Durban. Wir buchen immer einen Stallblock für die Saison. Sie haben dort alles, was man braucht, in Reichweite — Arbeitsbahn, Restaurants, Herbergen für die Boys, alles. Und die Schule für Jockeys und Lehrlinge ist auch da.«
«Aber dieses Jahr hatten Sie nicht viel Erfolg?«sagte ich mitfühlend.
«Wir haben mit den anderen ein paar Rennen gewonnen, aber Mrs. Caveseys Lot… Also, das sind so viele, da kann ich’s mir offen gestanden nicht leisten, wenn die alle ausfallen. Schadet meinem Ruf, verstehen Sie?«
Ich verstand es. Und ich dachte bei mir, daß er es gelassener nahm, als am Platz gewesen wäre.