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Ich sah Evan nachdenklich an. Er war vierzig, mittelgroß, drahtig und geladen mit aggressiver Energie. Er hatte widerspenstiges schwarzes Lockenhaar, ein Gesicht, in dem sogar die Knochen entschlossen wirkten, und stechende braune Augen. An diesem Abend waren die Augen nach innen, auf Bilder in seinem Kopf gerichtet, und das turbulente Treiben, das dort herrschte, spiegelte sich deutlich in seinen angespannten Muskeln. Verkrampft hielt er den Löffel in den Fingern, und Hals und Rücken waren stocksteif.

Ich mochte seine Verbissenheit nicht, von jeher nicht und unter keinen Umständen. Sie hatte zur Folge, daß ich mich wie blöd gegen alles sperrte, was er so beharrlich wollte, auch wenn seine Ideen Hand und Fuß hatten. An diesem Abend brodelte es wieder gewaltig in ihm, und meine Antipathie wuchs entsprechend.

Er schaufelte die britannisierte Paella, die auf die Suppe folgte, flott in sich hinein und schob dann energisch seinen leeren Teller weg.

«Also…«sagte er, und alle hörten zu. Seine Stimme war laut und höher als sonst, wie unter großem inneren

Druck. Es war unmöglich, in diesem Raum zu sitzen, ohne ihn zu hören.

«Wie Sie wissen, heißt der Film, den wir drehen, Der Mann im Wagen.«

Wir wußten es.

«Und wie Sie wissen, kommt der Wagen in mindestens der Hälfte der gedrehten Szenen vor.«

Das wußten wir auch, sogar besser als er, da wir von Anfang an dabeigewesen waren.

«Also…«Er hielt inne, schaute in die Runde, zog die Blicke auf sich.»Ich habe mit dem Produzenten gesprochen, und er ist einverstanden… Ich möchte den Schwerpunkt verlagern — die ganze Form des Films ändern. Es wird jetzt nicht nur eine, sondern mehrere Rückblenden geben. Die Handlung springt jedesmal von der Wüstenszene zurück, und jede Wüstenaufnahme wird zeigen, wie die Zeit vergeht und der Mann von Tag zu Tag schwächer wird. Eine Rettung als solche gibt es nicht mehr. Womit Ihr Part, Stephen«- damit wandte er sich direkt an den anderen Schauspieler —,»leider ganz wegfällt, aber Sie bekommen selbstverständlich die vereinbarte Gage. «Dann wandte er sich wieder dem Rest der Belegschaft zu:»Die trockenen, witzigen Szenen vom Wiedersehen mit dem Mädchen, die Sie in Pinewood gedreht haben, werfen wir raus. Statt dessen beenden wir den Film mit der Umkehrung des Anfangs. Das heißt, mit einer Hubschrauberaufnahme, die erst den Wagen groß einfängt und dann allmählich von ihm weggeht, bis er nur noch ein Punkt im Gelände ist. Ganz zum Schluß erweitert sich das Blickfeld noch, so daß ein Bauer sichtbar wird, der mit seinem Esel einen Bergrücken entlangzieht, und jeder Betrachter des Films kann für sich entscheiden, ob der Bauer den Mann rettet oder vorbeiläuft, ohne ihn zu sehen.«

Er räusperte sich in eine gebannte Stille hinein.»Das bedeutet natürlich, daß wir vor Ort hier noch viel Arbeit dranhängen müssen. Ich schätze, wir werden mindestens noch zwei Wochen hier sein, denn wir brauchen noch viel mehr Szenen mit Link in dem Auto.«

Jemand stöhnte. Evan blickte grimmig in die Richtung des Protestes und erstickte ihn im Keim. Nur Conrad traute sich, etwas zu sagen.

«Ich bin froh, daß ich hinter der Kamera stehe und nicht davor«, meinte er langsam.»Link ist schon ziemlich mitgenommen.«

Ich schob die letzten beiden Stückchen Huhn mit meiner Gabel umher, ohne richtig den Teller zu sehen. Conrad starrte mich über den Tisch hinweg an; ich spürte seinen Blick. Und auch die Blicke aller anderen. Ich wußte, es war der Schauspieler in mir, der sie warten ließ, während ich einen Bissen aß, einen Schluck Wein trank und schließlich Evan ansah.

«Geht in Ordnung«, sagte ich.

Eine Art Beben lief durch das Team, und ich begriff, daß sie in Erwartung der Explosion des Jahrhunderts den Atem angehalten hatten. Ließ ich meine Gefühle aber beiseite, mußte ich zugeben, daß Evans Vorschlag filmisch ausgezeichnet war, und ich vertraute seinem Instinkt, wenn auch nicht seiner Menschlichkeit. Für einen guten Film nahm ich vieles in Kauf.

Er war erstaunt über meine bedingungslose Zustimmung und auch begeistert. Die Bilder sprudelten nur so aus ihm hervor, schneller, als er sie in Worte fassen konnte.

«Da gibt es Tränen — und Risse in der Haut und Hitzeblasen — und furchtbaren Durst — und Muskeln und Sehnen, die vor Anspannung zittern wie Geigensaiten, und Hände, die zu Klauen verkrampft sind — und Qualen und entsetzliche Verzweiflung — und die sengende, unerbittliche, dröhnende Stille — und gegen Ende den allmählichen Zerfall der Seele eines Menschen, so daß er, selbst wenn er gerettet wird, nachher nicht mehr derselbe ist. Und es wird keinen geben, der sich diesen Film ansieht und nicht hinterher erschöpft ist und gebeutelt und erfüllt von Eindrücken, die er niemals vergißt.«

Die Kameraleute hörten zu, als würden sie das alles schon kennen, und die Maskenbildnerin sah Arbeit auf sich zukommen. Wie es schien, konnte ich mich als einziger in die Geschichte hineinversetzen, und ich spürte, wie mich innerlich ein Schauder durchlief, als ob ich wirklich sterben müßte und nicht nur so tun. Es war albern. Ich schüttelte mich; schüttelte die Illusion der persönlichen Betroffenheit ab. Wenn es etwas taugen sollte, mußte das Spiel eines Schauspielers vom Verstand, nicht vom Gefühl geleitet sein.

Er unterbrach sich in seiner Rede, wartete mit starrem Blick darauf, daß ich ihm antwortete, und ich nahm an, wenn ich mich nicht völlig von ihm überrollen lassen wollte, war es Zeit, selbst etwas beizusteuern.

«Krach«, sagte ich ruhig.

«Bitte?«

«Krach«, wiederholte ich.»Er würde anfangs auch Lärm schlagen. Um Hilfe schreien. Brüllen vor Wut, vor Hunger und Entsetzen. Halb tot würde er sich schreien.«

Evans sich weitende Augen gaben mir recht.

«Ja«, sagte er. Er holte tief Luft, hingerissen von der Art, wie seine Idee Gestalt annahm.»Ja.«

Ein Teil des inneren Brandes kühlte zu einer gesünderen, eher nüchternen Erregung ab.

«Machen Sie’s?«fragte er.

Ich wußte, daß er damit nicht meinte, ob ich die Szenen irgendwie durchziehen, sondern ob ich mein Bestes in sie hineinlegen würde. Und so, wie er sich an diesem Tag mir gegenüber benommen hatte, war die Frage auch berechtigt. Ich würde es machen, dachte ich; ich würde etwas Fabelhaftes daraus machen, aber ich antwortete ihm schnoddrig:

«Es wird kein Auge im Publikum trocken bleiben.«

Er blickte verärgert und enttäuscht drein, aber das schadete nichts. Die anderen entspannten sich und begannen wieder zu plaudern, doch etwas von seiner Erregung war auf sie übergesprungen, und es wurde der beste Abend seit unserer Ankunft.

Wir gingen also für weitere zwei Wochen in die Wüste, und sie waren lausig, aber das raffiniert gemachte kleine Abenteuer entpuppte sich schließlich als ein Kassenschlager, den auch die Kritiker zu mögen schienen.

Ich überstand die ganzen vierzehn Tage mit ungetrübter Gelassenheit, und als Folge davon gewann Conrad, der richtig geraten hatte, seine Wette und bekam den Pott.

Kapitel 2

England, wohin ich im August zurückkehrte, war vergleichsweise grün und kühl. In Heathrow holte ich meinen Wagen ab, einen serienmäßigen BMW, ziemlich dunkles Blau, normal durcheinandergewürfeltes Kennzeichen, alles andere als eine Sonderanfertigung, und fuhr mit einem wohligen Gefühl westwärts nach Berkshire.

Vier Uhr nachmittags.

Der Heimweg.

Ich lachte vergnügt vor mich hin. Wie ein Kind, das aus der Schule kommt, dachte ich. Nach Haus an einem Sommernachmittag.

Das Haus war mittelgroß, teils alt, teils neu, und stand an einem sanft abfallenden Hang außerhalb eines Dorfes am Oberlauf der Themse. Es bot einen Blick über den Fluß, hatte viel Abendsonne und war über einen unbeschilderten Weg zu erreichen, den die meisten Leute übersahen.