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Ein Jungenfahrrad lag halb auf dem Gras, halb auf der Zufahrt, und ein paar Gartengeräte lagen neben einem halb gejäteten Blumenbeet. Ich hielt vor der Garage an, blickte auf die geschlossene Vordertür und ging um das Haus herum nach hinten.

Ich sah sie alle vier, bevor sie mich sahen: als schaute ich von draußen durch ein Fenster. Zwei kleine Jungen planschten mit einem schwarzweißen Wasserball im Schwimmbecken herum. Nicht weit davon ein etwas verblaßter Sonnenschirm, in dessen Schatten ein kleines Mädchen auf einer Luftmatratze lag. Eine junge Frau mit kurzen kastanienbraunen Haaren saß auf einer Decke in der Sonne und hielt ihre Knie umfaßt.

Einer von den Jungen blickte hoch und sah, wie ich dastand und sie von der anderen Seite des Rasens beobachtete.

«He«, rief er,»Dad ist wieder da«, und duckte seinen Bruder. Ich ging lächelnd auf sie zu. Charlie löste sich von der Decke und kam mir ohne Eile entgegen.

«Hallo«, sagte sie.»Ich bin voller Öl. «Sie spitzte ihren Mund zu einem Kuß und hielt mein Gesicht zwischen den Innenseiten ihrer Handgelenke.

«Was hast du denn bloß mit dir angestellt?«fragte sie.»Du siehst furchtbar dünn aus.«

«Es war heiß in Spanien«, sagte ich. Ich ging mit ihr zurück ans Schwimmbecken und zog dabei meinen gelockerten Schlips, dann mein Hemd aus.

«Sehr braun geworden bist du ja nicht.«

«Nein. Hab’ die meiste Zeit im Auto gesessen.«

«Ist es was geworden?«

Ich verzog das Gesicht.»Das wird sich rausstellen. Wie geht’s den Kindern?«

«Bestens.«

Ich war einen Monat weggewesen. Es hätte auch ein Tag sein können. Irgendein Vater, der nach einem Arbeitstag heim zu seiner Familie kam.

Peter stemmte sich bäuchlings aus dem Becken und lief patschend über das Gras.

«Was hast du uns mitgebracht?«wollte er wissen.

«Ich hab dich doch gewarnt, Pete«, sagte Charlie gereizt,»wenn du fragst, bekommst du nichts.«»Jedenfalls gibt es diesmal nicht viel«, erklärte ich ihm.»Da war meilenweit kein vernünftiger Laden. Und jetzt schaff mal dein Rad von der Einfahrt runter.«

«Also ehrlich «sagte er.»Kaum bist du daheim, schon haben wir was falsch gemacht. «Er trollte sich ums Haus, und sein Rücken war steif vor Empörung.

Charlie lachte.»Ich bin froh, daß du wieder da bist.«

«Ich auch.«

«Dad, guck mal. Guck mal, was ich mache, Dad.«

Ich sah gehorsam zu, wie Chris einen komplizierten Purzelbaum über den Wasserball vollführte. Mit einem siegesbewußten Lächeln kam er wieder zum Vorschein, schüttelte sich das Wasser aus den Augen und wartete auf Lob.

«Klasse«, sagte ich.

«Guck noch mal, Dad.«

«Gleich.«

Charlie und ich gingen hinüber zu dem Sonnenschirm, und ich sah auf unsere Tochter nieder. Sie war fünf Jahre alt, braunhaarig und richtig süß. Ich setzte mich neben ihre Luftmatratze und kitzelte ihr den Bauch. Sie lachte leise und lächelte mich goldig an.

«Wie war’s mit ihr?«

«Wie immer.«

«Soll ich sie mit ins Wasser nehmen?«

«Sie war heute morgen schon mit mir drin… aber es gefällt ihr. Schadet nichts, wenn sie noch mal reingeht.«

Charlie kauerte sich neben sie.»Daddy ist wieder da, Kleines«, sagte sie. Aber Libby, unserer Kleinen, sagten Worte fast gar nichts. Ihre geistige Entwicklung hatte sich zum Schneckentempo verlangsamt, nachdem sie mit zehn

Monaten einen Schädelbruch erlitten hatte. Peter, der damals fünf war, hatte sie aus dem Kinderwagen genommen, weil er sich nützlich machen und sie zum Mittagessen ins Haus bringen wollte. Aber Charlie, die herauskam, um sie zu holen, hatte gesehen, wie er stolperte und hinfiel, und dabei war Libby mit dem Kopf auf die Steinstufe der Terrasse unserer damaligen Londoner Wohnung aufgeschlagen. Das Baby war kurz bewußtlos gewesen, doch ein, zwei Stunden darauf hatte der Arzt nichts bei ihr feststellen können.

Erst zwei oder drei Wochen später war sie krank geworden, und erst als sie sich von dieser sehr schweren Krankheit erholte, teilten die Ärzte der Klinik uns mit, da sei eine haarfeine Fraktur an der Schädelbasis gewesen, die sich infiziert und eine Hirnhautentzündung hervorgerufen habe. Wir waren so erleichtert, weil sie noch lebte, daß wir die vorsichtig formulierten Hinweise kaum zur Kenntnis nahmen.»Wir dürfen uns nicht wundern, wenn sie in der Entwicklung ein wenig hinterherhinkt. «Natürlich würde sie ein bißchen hinterherhinken, nachdem sie so krank gewesen war. Aber sie würde doch bestimmt aufholen, oder? Und wir verbannten den zweifelnden Gesichtsausdruck ebenso aus unseren Gedanken wie das unbekannte Wort» retardiert«.

Im darauffolgenden Jahr sollten wir lernen, was es bedeutet, und dadurch, daß wir uns einem solchen Schicksalsschlag stellen mußten, auch viel über uns selbst erfahren. Vor dem Unglück wäre unsere Ehe unter dem Ansturm von Wohlstand und Erfolg beinah in die Brüche gegangen; danach hatten wir das Band zwischen uns allmählich wieder gefestigt und eine viel klarere Vorstellung gewonnen von dem, was wirklich wichtig war und was nicht.

Wir hatten dem Rampenlicht, der Schmeichelei und dem Tamtam adieu gesagt und waren aufs Land gezogen, wo wir beide auch ursprünglich herkamen. Besser für die Kinder, hatten wir gesagt — und gewußt, daß es auch für uns selbst besser war.

Libbys Zustand bereitete uns keinen akuten Kummer mehr. Akzeptiert und vertraut, war es einfach ein Teil unseres Lebens. Die Jungen waren gutmütig im Umgang mit ihr, Charlie liebevoll und ich sanft; und da sie selten krank war und durchaus zufrieden zu sein schien, hätte es sehr viel schlimmer kommen können.

Letztlich war es schwieriger gewesen, sich gegen die Reaktionen Fremder abzuhärten, aber nach all den Jahren war es Charlie und mir völlig gleich, was irgend jemand sagte. Es mochte also sein, daß Libby noch nicht sprechen, nicht richtig laufen konnte, daß sie beim Essen kleckerte und nicht ganz und gar trocken war, aber sie war unsere Tochter, und damit hatte es sich.

Ich ging ins Haus, zog die Badehose an und nahm Libby mit ins Becken. Sie lernte langsam schwimmen und hatte keine Angst vor dem Wasser. Vergnügt planschte sie in meinem Arm liegend umher, patschte mir mit den nassen Händchen ins Gesicht und rief mich» Dada«, schlang dann die Arme um meinen Hals und klebte wie eine Klette an mir.

Nach einer Weile gab ich sie Charlie raus zum Abtrocknen und spielte mit Peter und Chris etwas, das wir unter uns» Wasserpolo «nannten, um nach zwanzig Minuten zu dem Schluß zu kommen, daß selbst Evan Pentelow einen nicht so hart drannahm.

«Weiter, Dad«, sagten sie, und:»Na, hör mal, Dad, du willst doch nicht etwa schon rausgehn?«

«Doch«, sagte ich bestimmt und trocknete mich neben Charlie auf der Decke ab.

Sie brachte die Kinder ins Bett, während ich auspackte, und ich las ihnen Geschichten vor, während sie kochte, und wir verbrachten den Abend allein, indem wir Hähnchen aßen und uns einen alten Spielfilm (von vor meiner Zeit) im Fernsehen anschauten. Danach räumten wir das Geschirr in die Spülmaschine und gingen zu Bett.

Außer uns wohnte niemand in dem Haus. Viermal die Woche kam morgens eine Frau aus dem Dorf für die gröberen Hausarbeiten, und es gab auch eine pensionierte Kinderschwester, die, wenn wir ausgehen wollten, gern auf Libby und die Jungen aufpaßte. Charlie selbst hatte das so geregelt: Ich hatte ein ruhiges, intelligentes Mädchen geheiratet, das zu einer praktischen, realistischen und

— zu ihrer eigenen Überraschung — häuslichen Frau geworden war. Seit unserem Wegzug von London hatte sie eine Stärke dazugewonnen, die man nur als Gelassenheit bezeichnen konnte, und obwohl sie mitunter ebenso in helle Wut geriet wie ich, waren ihre Fundamente jetzt doch auf Fels gebaut.

Viele Leute in der Filmwelt fanden meine Frau nicht aufregend genug und mein Familienleben langweilig, und sie erwarteten, daß ich bei jeder Gelegenheit Rotschöpfe und Blondinen pflückte. Aber ich hatte sehr wenig gemeinsam mit dem überlebensgroßen Draufgängertyp, den ich serienmäßig im Film verkörperte. Die Filme waren meine Arbeit, und ich arbeitete hart an ihnen, doch ich nahm sie nicht mit nach Hause.